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Geliebte Priesterin

Der italienische Komponist Gaspare Spontini war seinerzeit ein hochberühmter Mann, vor allem nach dem Erfolg seiner im antiken Rom spielenden Oper "La Vestale". Am Staatstheater Karlsruhe hat Aron Stiehl das Stück wiederentdeckt, doch die Inszenierung hat Defizite.

Von Frieder Reininghaus |
    Es ist das Pathos der Revolutionsmusiken, das in der Ouverture zu "La Vestale" nachhallt, das Erbe der Hymnen und Nationalfestmusiken von Gossec und Méhul in nobilitierter Form. Etwas, was zur selben Zeit in ähnlicher Weise auch zu einem Grundmuster der Beethovenschen Musik avancierte. Vor allem den Oboen, Klarinetten und Hörnern wurden von Gaspare Spontini differenzierte Aufgaben zugemutet.

    Indem die Badische Staatskapelle unter Johannes Willig nach der langsamen Introduktion ins Allegro eintaucht, fasst der Orchesterton auch richtig Tritt. Er entfaltete Dynamik und stellte das historische Gepränge mit Schwung aus.

    Die Oper von der jungen Vesta-Priesterin, die zwar aus der ihr vorgeschriebenen Bahn nicht ausbricht, mit dem Herzen jedoch nicht bei der Sache des atavistischen Kults ist, sondern bei dem von ihr geliebten Licinius, führt mit diesem einen Sieger der Geschichte vor Augen und Ohren, der teilweise Züge Napoléon Bonapartes zugeschrieben bekam. Doch der altrömische Feldherr wird seines Triumphs über die Gallier nicht froh. Er liebt, was er nicht begehren dürfte: Eben jene Julia, die beim fanatisch strengen Orden unter strengster Observation steht. Ausgerechnet sie soll dem General beim Triumphzug den Lorbeerkranz aufsetzen.

    Katharine Tier gibt die abgründige Oberin der Vestalinnen mit Verve. Stets mit einem Metallstab zur Durchsetzung der Ordnung bewaffnet, führt sie mit diabolischer Lust die Strenge, Selbstgerechtigkeit und Doppelzüngigkeit vor. Die Hauptdarstellerin Barbara Dobrzanska muss und kann mit insgesamt gutem Erfolg eine enorme Sopranpartie bewältigen, die vom Hoffen und Bangen über die Momente der Depression bis zum strahlend-finalen Glück wechselnde Gemütszustände unmittelbar beglaubigt.

    Neben ihr profilieren sich nicht nur Konstantin Gorny, der Pontifex Maximus, als Gegenspieler mit distinguiertem Bass, sondern insbesondere die beiden Tenöre: Andrea Shin als Liebhaber Licinius und der ebenfalls brillant intonierenden Steven Ebel.

    Wie bereits das Schauspiel mit seiner unverkennbar antiklerikalen Tendenz, hält auch die sich ihm zugesellende Musik an republikanischen Usancen und Errungenschaften fest, wiewohl der Wind der politischen Großwetterlage sich kurz vor der Entstehung dieser Oper neuerlich gedreht hatte: Napoléon hatte ein Konkordat mit dem Papst geschlossen und längst begonnen, sich mit den Resten der Elite des ancien régime auszusöhnen.

    Doch noch war in der Armee und im Bürgertum Antiklerikalismus vorherrschend. Der politische Hintergrund der Jahre 1805 - 1807 erscheint mithin als ebenso ambivalent wie die Spontini-Oper selbst, die ja nicht zuletzt als Huldigungs- und Repräsentationsstück fungierte.

    Frank Philipp Schlössmanns Ausstattung verlängerte die Betonarchitektur des Badischen Staatstheaters auf die Bühne, auf der die Kostüme grellbunte Farbakzente setzen. Nur einige Embleme (wie ein riesiger Lorbeerkranz) und ein paar Ornamente spielten an auf den Antikenkult der napoleonischen Ära. Holzschnittartig wurden der Konflikt zwischen der religiös fundierten und überhöhten Staatsmacht wie die rigiden autoritären Ordnungsmuster des Vestalinnen-Ordens vorgeführt.

    Die eigentlich dem Ballett gewidmete Episode wurde zur Pantomime umgewidmet: Aron Stiehl zeigt die Großvestalin beim Tête-à-tête mit dem Oberpriester. Sie trinken Sekt und rammeln auf dem Sofa. Das konterkariert den im Stück angelegten grundsätzlichen Konflikt eher auf billige Weise, nimmt ihn in seiner historischen Bedeutung nicht ernst.

    Auch das Wunder der Selbstentzündung von Julias Schleier wird auf banale Weise entzaubert (der Pontifex Maximus hilft mit dem Streichholz nach). Es käme demgegenüber darauf an, zu zeigen, wie fortdauernder Glaube an Wunder diese immer wieder hervorbringt und alte Loyalitäten neu bestätigt - möglicherweise gerade auch in den Gesellschaftssystemen der Moderne.

    Die Defizite der Inszenierung schmälerten den Rang der Karlsruher Wiederentdeckung einer nie gänzlich verschollenen Oper. Sie hätte eine historisch-kritisch gedachte Inszenierung verdient, die der Wucht und Differenzierung der Musik eher gerecht würde.