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Gemälde als Familienersatz

Die Wiener Kunsthistorikerin Birgit Schwarz hat neue Erkenntnis über die Gemäldesammlung Adolf Hitlers gewonnen. Sie habe ein Foto-Verzeichnis seiner Gemälde in der Kongressbibliothek in Washington entdeckt, mit dem nun auch Hitlers private Sammlung in seiner Münchner Wohnung dokumentiert werden könne, erläuterte Schwarz.

Moderation: Michael Köhler |
    Michael Köhler: Bilder von Cranach, Böcklin, Feuerbach, aber welche? Das war bislang die Frage. Ein Verzeichnis der privaten Kunstsammlung Adolf Hitlers ist aufgetaucht, über den Sensationsfund jetzt zuerst mehr.

    Die Wiener Kunsthistorikerin Birgit Schwarz, sie ist bekannt, sie hat vor wenigen Jahren über Hitlers Museum, die Fotoalben, Gemäldegalerie Linz groß veröffentlicht. Nun hat sie einen neuen Fund gemacht, einen spektakulären, das kann man ruhig sagen, der buchstäblich Einblick in die private Kunstsammlung des Diktators ermöglicht, also etwas anderes als die fürs Linzer Museum. Sie hat einen Fund gemacht in der Kongressbibliothek Washington. Ich habe Birgit Schwarz gefragt: Sie haben doch diesen Fund gemacht?

    Birgit Schwarz: Wenn Sie Fund mit Erkennen der Relevanz übersetzen, dann ja. Denn das Album, für das hat sich noch niemand interessiert. Also es liegt da in der Kongressbibliothek in Washington. Sie können da hingehen, jeder kann das, aber ja, bisher hat sich offensichtlich noch niemand besonders dafür interessiert.

    Köhler: Das heißt, die Wiener Kunsthistorikerin Birgit Schwarz hat das private Sammelalbum der Kunst, der Gemäldesammlung des Diktators Adolf Hitler gefunden?

    Schwarz: Ja, wenn Sie so wollen, ja.

    Köhler: Was können wir daraus erfahren, was ist die große Überraschung darin, denn es ist ja eine Art privates Verzeichnis. Kann man so sagen?

    Schwarz: Ja, natürlich. Es ist also wirklich ein privates Fotoalbum. Es gibt verschiedene Fotoalben der Kunstsammlung Adolf Hitlers, aber die sind alle beschriftet und so weiter. Aber dieses Album, das sind einfach Fotos, Schwarz-Weiß-Fotos, die in ein Pergamentalbum geklebt worden sind und wo nichts dabei steht. Das ist das Problem, und das ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb es noch nicht bisher entdeckt worden ist. Denn man muss ja was mit diesen Bildern da anfangen können.

    Köhler: Was beinhaltet die private Sammlung, Adolf-Hitler-Gemäldesammlung, nach dieser Kenntnis, nach dieser ersten Sichtung?

    Schwarz: Wenn man sich ein wenig damit auskennt, dann ist es keine so große Überraschung. Was man da sieht, sind eben hauptsächlich Gemälde des 19. Jahrhunderts, hauptsächlich Genre-Malerei oder sagen wir mal auch Landschaftsmalerei der Münchner Schule der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, also das, was zu erwarten war. Es gibt allerdings auch einige sehr hochrangige Gemälde darunter. Die Überraschung besteht weniger darin, was man darin sieht, als einfach, dass man jetzt wirklich auch die private Sammlung in der Prinz-Regenten-Straße fassen kann.

    Köhler: Das ist seine Münchner Wohnung gewesen?

    Schwarz: Das war die Münchner Wohnung, wo er mit Sammeln angefangen hat. Dann hat sich das sehr schnell ausgeweitet auf den Berghof und dann eben zu einem Museumsprojekt, eben dieses Linzer Museum. Aber für das Linzer Museum hatte er natürlich Fachleute, Kunsthistoriker, die ihn da beraten haben und die die Auswahl getroffen haben, die eingekauft haben, die also Auswahl aus beschlagnahmten Beständen getroffen haben. Das war dann so ein richtig großes Projekt. Aber eben diese Privatsammlung, das ist der Anfang. Hitler fing ganz klein an.

    Köhler: Kann man unterscheiden zwischen privat erworben und späterem Kunstraub?

    Schwarz: Ja, man kann es unterscheiden, weil das eine eine Privatsammlung ist und das andere eine Museumssammlung. Also a) gibt es da Unterschiede natürlich in der Qualität der Bilder, in der Bekanntheit der Maler zum Beispiel, und es gibt auch einfach Unterschiede in der Größe der Gemälde.

    Köhler: Frau Schwarz, Sie haben schon ausführlich zum Thema gearbeitet, die Gemäldesammlung in Linz. Ich möchte auf etwas zu sprechen kommen, was wir, finde ich, dringend noch erwähnen sollten. Ist es nicht eine Art, ich nenne es mal so, schöner Widersinn, dass ausgerechnet dieses kalte, technische Medium der Fotografie, da, wo der Geist in der Silberschicht wohnt, wie Rudolf Arnheim mal gesagt hat, uns heute hilft, Provenienzforschung zu machen? Also Sie sprachen vom Fotoalbum in Pergament. Das ist ja wie ein privates Familienalbum. Also war die Kunst seine Familie?

    Schwarz: Bis zu einem gewissen Grade kann man es so sagen, ja. Also man weiß zum Beispiel, dass er an den Bildern im Berghof, als er den Berghof dann verlassen hat und wohl auch damit gerechnet hat, dass es das letzte Mal sein könnte, dass er sie sieht, dass er da sozusagen von jedem Abschied genommen hat. So war zumindest der Eindruck seiner Sekretärin, die das überliefert hat. Dass seine Kunstsammlung erhalten bleibt, das war ganz, ganz wichtig. Da hat er sehr viel Energie reingesetzt und selbst das nie aus der Hand gegeben.

    Köhler: Frau Schwarz, ein letztes Mal, worin besteht für Sie, die sich seit Jahren mit dem Thema befasst, die Überraschung? Man wusste von Gemäldelisten, aber man wusste nichts von diesem fotografischen Bestandsverzeichnis aus der privaten Gemäldesammlung Adolf Hitlers.

    Schwarz: Die Überraschung, ja, natürlich, es gibt einige Bilder privaten Charakters, also seine Eltern nach Fotografien gemalt und von seiner Halbnichte Geli Raubal. Und das war dann schon überraschend für mich. Aus literarischen Quellen wissen wir, es gibt ja Beschreibungen dieser Wohnung, da wissen wir, dass er da Münchner Malerei des 19. Jahrhunderts hauptsächlich hängen hatte. Aber sie jetzt wirklich zu sehen, das ist eben das Besondere.

    Köhler: Und dass wir auch fotografische Dokumente haben, die ja auch für künftige Arbeit wichtig sind, nicht wahr?

    Schwarz: Ja, ja, denn was nützt es uns, wenn wir eine Gemäldeliste haben, wo Cranach "Venus" steht. Es gibt Hunderte von Cranach'schen Venussen, aber wenn man wirklich die Reproduktion des Gemäldes hat, dann haben wir das Original mehr oder weniger. Und das ist wichtig für die Provenienzforschung.