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Gemeinsam gegen Hitler

Der Historiker Hans Ulrich Wehler vertritt die Position, dass ein von SPD und KPD angeführtes Bündnis der Hitler-Gegner, also eine Volksfront, keine Realisierungschancen gehabt hätte. Aber waren es nicht auch antagonistische Mächte, die sich im Zweiten Weltkrieg im Anti-Hitler-Bündnis vereint fanden? Warum war im deutschen Exil und im Widerstand ein vergleichbares Bündnis nicht möglich? Die Historikerin Ursula Langkau-Alex ist solchen Fragen nachgegangen und hat in jahrzehntelanger Arbeit gesammelt und ausgewertet, was sie über die Versuche, eine deutsche Volksfront zu gründen, finden konnte. Von Reiner Tosstorff.

    Was die Jahresangaben im Titel andeuten, wird in diesem Werk sogleich ausgeführt: Der Begriff "Volksfront" hat in Deutschland anders, als das man gemeinhin glaubt, eine keineswegs kommunistische Vorgeschichte. Unter diesem Slogan sollte bereits bei den Reichspräsidentenwahlen im Jahre 1932 ein Bündnis zur Wiederwahl Hindenburgs und damit zur Verhinderung des Kandidaten Hitler hergestellt werden. Geprägt hatten ihn christlich-konservative und liberale Nazi-Gegner, denen sich die Sozialdemokraten und links stehende Intellektuelle wie der Schriftsteller Heinrich Mann anschlossen. Dagegen beharrten die Kommunisten auf ihrem eigenen Kandidaten Thälmann und auf der Frontstellung gegen die Weimarer Republik. Bekanntlich erwiesen sich die republikanischen Erwartungen an Hindenburg nicht einmal ein Jahr später als trügerisch. Die Nazi-Gegner fanden sich in der Haft, in der Illegalität oder im Exil wieder. Nach heftigen Schuldzuweisungen dämmerte dann bei der Abstimmung über das Schicksal des unter internationaler Verwaltung stehenden Saargebiets Anfang 1935 vielen, dass allein das Zusammengehen Hitler Paroli bieten könne.

    Die KPD, die bis dahin die Sozialdemokraten als Hauptfeind definiert hatte, vollzog eine radikale Wende und folgte damit dem Beispiel der Sowjetunion, die angesichts der Bedrohung durch Nazi-Deutschland das Bündnis mit den Westmächten suchte. Dagegen blieb der Exilvorstand der SPD in Prag skeptisch und letztlich ablehnend. Lediglich einzelne prominente Sozialdemokraten, die sich vor allem im Pariser Exil um den langjährigen Reichstagsabgeordneten Rudolf Breitscheid versammelt hatten, sowie einige in Opposition zur Parteiführung stehende Gruppierungen waren zu einer Zusammenarbeit mit den Kommunisten bereit.

    Was allerdings dem deutschen Exil im Unterschied zu Frankreich vor allem fehlte, war eine einflussreiche, im bürgerlich-demokratischen Spektrum beheimatete politische Bewegung. Diesen Platz versuchte eine Reihe von Intellektuellen zu füllen, an ihrer Spitze der Schriftsteller Heinrich Mann. Er bot zunächst gar nicht so wenigen Hitler-Gegnern mit christlich-konservativem Hintergrund die Gewähr dafür, dass es bei der Volksfront nicht um ein reines Propaganda-Unternehmen der KPD ging. Eine weitere Kraft war die Sozialistische Arbeiterpartei, SAP, eine Vereinigung aus Linksabspaltungen der SPD und der KPD, der auch der junge Willy Brandt angehörte. Die SAP verfügte zwar über brillante Köpfe, doch ihr organisatorischer Einfluss war eher bescheiden.

    Im Verlaufe des Jahres 1935 kam es in Paris zu ersten Gesprächen über ein Bündnis, die schließlich am 2. Februar 1936 in eine große Tagung unter der Leitung Heinrich Manns mündeten. Der Kongress setzte einen Vorbereitungsausschuss zur Gründung einer deutschen Volksfront ein, Kommissionen sollten ein Programm und eine umfassende Bestandsaufnahme der Lage in Deutschland erarbeiten.

    Doch die Tätigkeit des Ausschusses stand von vornherein unter einem schlechten Stern, denn im August 1936 wurde in Moskau der erste Schauprozess gegen alte Mitarbeiter Lenins eröffnet, der den Beginn einer umfassenden Terrorwelle zur Festigung der Herrschaft Stalins markierte. Auch in Spanien wurde bald klar, dass die Sowjetunion nicht nur Waffen lieferte, sondern auch Gegner auf der Linken liquidierte.

    Dies verminderte die Chancen für eine deutsche Volksfront, zumal die KPD-Vertreter jegliche Kritik an Stalin und dessen Terror als Unterstützung Hitlers denunzierten. Zudem drängten die Kommunisten zur Verwunderung ihrer sozialdemokratischen und bürgerlichen Bündnispartner auf strikte Mäßigung in den politisch-sozialen Forderungen. Dies entsprach zwar dem diplomatischen Auftreten der Sowjetunion, war aber mit den viel weiter gehenden Vorstellungen der meisten Volksfrontpartner nicht in Übereinstimmung zu bringen. Auch kam es zu einem Machtkampf in der Pariser KPD-Führung. Walter Ulbricht bootete seinen Rivalen Willi Münzenberg aus, der als der glaubwürdigste Repräsentant der Kommunisten in den Volksfrontdiskussionen galt. Nach einem gemeinsamen Aufruf im Dezember 1936 mit der Unterschrift von 74 Vertretern des Exils kam es im Verlauf des Jahres 1937 zwar noch zu einer Reihe von Beratungen, die aber in gegenseitigen Vorwürfen endeten. Die groß angelegten Pläne zur Programmarbeit blieben in dieser Situation ohne Ergebnis. Der unermüdliche Heinrich Mann versuchte im Jahre 1938 das Projekt wiederzubeleben, scheiterte aber. Mit dem Hitler-Stalin-Pakt wurde schließlich eine Zusammenarbeit unter Einschluss der KPD undenkbar.

    Ursula Langkau-Alex hat eine die gesamte Entwicklung in ihren zahlreichen Verästelungen minutiös nachzeichnende Geschichte der deutschen Volksfront vorgelegt. In ihrer Darstellung verschränkt sie, wie sie es nennt, den Makrokosmos der internationalen Ebene mit dem Mikrokosmos der zahlreichen an der deutschen Volksfront beteiligten Individuen und Parteien. Deren interne Auseinandersetzungen wie ihr konfliktreiches Verhältnis zueinander waren bestimmt durch die Entwicklung der internationalen Diplomatie, durch die Abhängigkeit von den internationalen Organisationen der Kommunisten oder der Sozialdemokraten und nicht zuletzt von den Entwicklungen in Spanien und Frankreich. Damit werden auch die Gründe deutlich, die nach einem hoffnungsvollen Beginn im Jahre 1935 bald zum Scheitern des angestrebten Bündnisses gegen Hitler führten. Auch wenn das deutsche Volksfront-Experiment im Kampf gegen Hitler erfolglos blieb, wie das Exil insgesamt, ist es ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945.

    Zwar gibt es bereits eine umfangreiche Literatur zum deutschen Exil. Dort stehen aber vor allem kulturelle und biographische Aspekte oder die Situation in einzelnen Ländern im Vordergrund. Eine zusammenhängende und umfassende Darstellung des wichtigsten politischen Bündnisversuches fehlte bisher. Diese Lücke ist nun mit der Arbeit von Ursula Langkau-Alex geschlossen.

    Ursula Langkau-Alex: Deutsche Volksfront 1932 – 1939
    Band 1: Vorgeschichte und Gründung des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront (358 Seiten, 39,80 Euro)
    Band 2: Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront (590 Seiten, 59,80 Euro)
    Band 3: Dokumente, Chronik und Verzeichnisse (544 Seiten, 59,80 Euro)
    Akademie Verlag, Berlin 2004 – 2005