Wenn wir mal in das in das Rentenalter kommen, sieht es dunkel aus, weil Geld kriegt man nicht mehr vom Staat, privat vorsorgen soll man, verdient aber zu wenig, um es eigentlich tun zu können. Also sieht es finanziell finster aus; man muss halt sehen, dass man privat vorsorgt und dann irgendwie über die Runden kommt.
When I get older loosing my hair,
many years from now,
Will you still be sending me a Valentine,
Birthday greetings, bottle of wine?
Ich glaube, ich würde jetzt auch einfach sagen, dass ich, bis ich nicht mehr kann, einfach mein Leben genieße. Und dann halt mal schaue, was ich dann mache, wenn es dann so weit ist.
Junge Menschen sprechen über das Altwerden – ein Ausblick ins Ungewisse. Was sie erwartet, wenn sie im Jahr 2040 oder 2050 in den Ruhestand gehen, das kann ihnen heute niemand sagen. Nur eines ist sicher: Die demografischen Veränderungen in Deutschland werden gravierende Folgen haben.
Ich glaube, man darf sich auf keinen Fall aus der gesellschaftlichen Entwicklung, die ja immer schneller geht, irgendwie ausklinken. Man muss einfach da am Ball bleiben.
Ich seh’ es aber schon so, dass die Alten immer mehr auf sich selber gestellt sind, das heißt, bei uns wird es nicht viel anders aussehen. Solange es geht, möchte ich natürlich selbstständig leben, und wenn es nicht mehr geht, muss man halt dann sehen, was man sich leisten kann und wie es weitergeht.
...will you still need me, will you still feed me,
when I’m sixty-four?
Deutschland wird älter – jeder einzelne von uns und außerdem die Gesellschaft insgesamt. Immer mehr rüstige Rentner und Hochbetagte leben mit immer weniger jungen Menschen in einem Land: Heute kommen auf zwei Rentner etwa zwei Berufstätige, im Jahr 2050 wird es nur noch ein Berufstätiger sein. Das liegt einerseits an der extrem niedrigen Geburtenrate in Deutschland, andererseits werden wir durch die Fortschritte in der Medizin immer älter. Allerdings können die Ärzte niemandem ewige Jugend verleihen - es ist der letzte Lebensabschnitt, die Zeit des hohen Alters, die sich verlängert.
Wie werden die heutigen Jugendlichen leben, wenn sie alt sind? Steht an jeder Straßenecke ein Pflegeheim? Nimmt die Einsamkeit der alten Menschen weiter zu? Oder kommt es ganz anders - erlebt die Großfamilie eine Renaissance?
Ja, und ich möchte später eigentlich auch viele Kinder kriegen und hoffe dann auch irgendwo, dass die dann auch wieder Kinder kriegen, und wenn ich dann alt bin, ich würd’ mir das schön vorstellen, dann ne große Familie um mich rum zu haben, die sich dann auch um mich kümmern und die mich dann nicht irgendwie in ein Heim schicken und mich dann vielleicht alle zwei Wochen besuchen.
Ich denke, die Familie ist die Alternative zum Staat, wenn man vom Staat nicht mehr genug Geld kriegt, dass man dann jedenfalls so’n bisschen sich auf die Familie verlassen kann, dass sie einen dann auch unterstützen – also in andern Ländern ist es auf jeden Fall noch so, nur halt bei uns, weil es uns so gut ging, ist das eben entfallen.
Die Familie als Retterin der überlasteten Sozialsysteme – der Gedanke liegt vielleicht nahe, aber es wäre leichtsinnig, darauf allzu große Hoffnungen zu setzen. Erst kürzlich hat das Statistische Bundesamt Zahlen veröffentlicht, die eine klare Sprache sprechen: Im Jahr 2002 wurden in Deutschland erstmals mehr als 200 000 Ehescheidungen rechtskräftig. Die Statistiker vermuten, dass in Zukunft wohl mehr als jede dritte Ehe scheitern wird. Und auch im Verhältnis zwischen den Generationen hat sich in den letzten Jahrzehnten einiges geändert. Die eigenen hoch betagten Eltern zu betreuen oder gar rund um die Uhr zu pflegen, ist heute nur noch für wenige Menschen selbstverständlich. In unserer modernen Gesellschaft haben sich die Generationen voneinander entfernt, jede lebt ihr eigenes Leben. Lässt sich dieser Trend umkehren? Was könnte an die Stelle familiärer Beziehungen treten? Wie können neue soziale Bindungen entstehen, auch zwischen den Generationen? Erster Versuch einer Antwort: Das Mütterzentrum in der niedersächsischen Stadt Salzgitter.
"Was möchtse denn?"
"Ich möchte ein Kaugummi."
"Ein Kaugummi. Und welche Farbe hättste gerne?"
"Weiß."
"Ein weißes Kaugummi. Bitteschön. Fünf Cent."
"Danke."
Auch für Pfennigartikel nimmt sich Angelika Bluth viel Zeit. Kinder kommen gerne in ihre kleinen Kramladen, weil sie hier Bonbons aus diesen großen Gläsern kaufen können. Und die Alten kommen gerne, weil man hier noch anschreiben lassen kann, wenn man mal das Geld vergessen hat - ganz wie früher. Das Geschäft von Angelika Bluth wirft bislang kaum Gewinn ab, aber das ist auch nicht sein wesentlicher Zweck. Der Laden ist nur einer von vielen Treffpunkten im Mütterzentrum.
Die Industriestadt Salzgitter im Süden Niedersachsens mag sonst wenig zu bieten haben – mit dem Mütterzentrum hat sich dort eines der interessantesten Sozialprojekte der Republik etabliert. Untergebracht ist es in einem lang gestreckten Gebäude mit einer einladenden Glasfront. Während oben unter dem Dachgeschoss gerade der Mehrgenerationenchor probt, machen Jugendliche im Schülerkeller Hausaufgaben oder spielen Tischfußball. Drei Kindergartengruppen sind im Mütterzentrum zu Hause. Kleinkinder werden im Spielzimmer betreut, während ihre Eltern im Secondhandladen einkaufen oder sich für wenig Geld die Haare schneiden lassen. Zur gleichen Zeit bietet der Altenservice Senioren verschiedene Aktivitäten an. Das Entscheidende aber ist der offene Bereich, ein großer Raum in der Mitte des Gebäudes, mit Tischen und Stühlen wohnlich eingerichtet, an einer Theke kann man Essen bestellen oder Kaffee holen. Hier treffen die Generationen aufeinander – junge Mütter, alte Menschen, spielende Kinder, ehrenamtliche Helferinnen, die gerade an der Dekoration für ein großes Fest arbeiten.
Gymnastik haben wir heute in der Frühe gemacht, getanzt haben wir auch sogar, und nach dem Mittagessen tun wir uns hinten auf den Sesseln langlegen, und das ist alles, und jetzt trinken wir Kaffee, und anschließend fahren wir nach Hause.
Also unser Konzept heißt auch: Wir leben nach dem Prinzip der Großfamilie. Und diese Strukturen wie auf der italienischen Piazza, die gibt es heute kaum noch. Die Marktplätze sind nicht mehr so, dass es dort Spaß macht zu sitzen. Vieles ist dann auf Einkaufen, auf Hetze, auf dran Vorbeigehen eingerichtet. Und wir haben im Haus auch einen Marktplatz und wir haben Straßen, und alles ist ganz dicht beieinander, so dass sich die Menschen auf den Wegen begegnen müssen.
Ich bin schon vierzehn Jahre hier. Weil’s mir Spaß macht. Mütterzentrum gibt’s ja einmal nur. Das isses halt auch. Mein Mann, wie der gestorben ist, bin ich gleich ins Mütterzentrum gegangen. Wo soll man sonst hin? Zu Hause schnappt man über. Und hier hat man Abwechslung und so was.
Manchmal kommen alte Menschen aus Altenheimen wieder zu uns zurück und wir stellen fest, dass sie bei uns ganz schnell wieder aktiv werden, dass sie viel zufriedener sind; sozusagen bieten die unterschiedlichen Menschen für die alten Menschen, die ja oft unter Einsamkeit leiden, das Event umsonst. Da muss man nicht überall hingehen, sondern sieht, was alles passiert. Und das hat dann eben den therapeutischen Effekt.
Hildegard Schooß ist Gründerin und Leiterin des Mütterzentrums in Salzgitter, das vom Verein SOS-Kinderdorf getragen wird. In Deutschland gibt es mehrere Hundert Mütterzentren, die als Anlaufstellen vor allem für junge Familien dienen. Was in Salzgitter passiert, ist allerdings bislang einmalig: In einem halböffentlichen Raum begegnen sich Menschen unterschiedlichen Alters und mit ganz verschiedenen Interessen. Es entstehen kurzfristige Kontakte, aber auch jahrelange Bindungen. Junge zeigen Älteren, wie man mit dem Computer umgeht, andere kümmern sich währenddessen um die Kinder. Hildegard Schooß ist im Laufe ihrer langjährigen Arbeit am Konzept des Mütterzentrums zu einer schlichten Erkenntnis gelangt: Das Zusammenleben, sagt sie, sei dann am interessantesten, wenn Menschen aller Generationen aufeinander treffen und ihre spezifische Weltsicht einbringen könnten.
Natürlich kann diese Einrichtung ohne öffentliche Zuschüsse nicht existieren. Dennoch ist sie möglicherweise profitabel – weil sie hilft, Ausgaben an anderer Stelle zu vermeiden.
Ich glaube, dass das letztendlich unterm Strich sehr preiswert ist, weil die Menschen das auch in der gegenseitigen Hilfe machen – also nicht jeder bekommt ein Chefgehalt dafür, sondern die Preise sind einfach günstig. Ja, dann ist unterm Strich die ganze Angelegenheit billiger, als wenn ich professionell etwas tun muss, weil ich zu lange gewartet habe, den Menschen solche Räume anzubieten. Professionelle Hilfe, wie wir sie in den letzten dreißig Jahren aufgebaut haben, ist auf jeden Fall extrem viel teurer als das, was hier an Vielfalt alles möglich ist.
Das Haus wird zwar von Fachkräften geleitet, ist aber in gleichem Maße auch von ehrenamtlichen und gering bezahlten Hilfen abhängig, von Menschen, die hier aus Überzeugung und Begeisterung mit anpacken. So zeigt das Mütterzentrum einen Weg auf, wie man mit vergleichsweise geringem finanziellem Aufwand neue soziale Netze in einer Stadt flechten kann. Auch die niedersächsische Sozialministerin Ursula von der Leyen ließ sich von diesem Projekt inspirieren, als sie ihr Konzept des Mehrgenerationenhauses entwickelte.
Die Familienstrukturen haben sich verändert im Laufe der Zeit. Wir haben nicht mehr die typische Drei- oder Viergenerationenfamilie unter einem Dach. Und damit gehen uns ganz wichtige Schutzmechanismen verloren, d.h. die eine Generation, die selbstverständlich für die andere sorgt, jede kann geben und jede kann nehmen, die Großmutter kann den Kleinen vorlesen, umgekehrt können die Kleinen dem Großvater helfen, wenn die schwere Tasche ins Haus getragen werden muss - diese Selbstverständlichkeit verlernen wir, und der Gedanke des Mehrgenerationenhauses ist, dass wir unter einem Dach viele Angebote für verschiedene Generationen bündeln, damit wir diese Kraft innerhalb der Generationen wieder entwickeln, die bisher brachgelegen hat.
In den nächsten Jahren sollen in Niedersachsen zahlreiche Mehrgenerationenhäuser entstehen. Sicher werden die meisten kleiner ausfallen als das Vorbild in Salzgitter, aber es ist immerhin bemerkenswert, dass solch ein Projekt trotz desolater Finanzlage mit Landesmitteln auf den Weg gebracht werden konnte.
Ortswechsel: Hannover, Stadtteil Kronsberg. Das Wohngebiet entstand vor wenigen Jahren, ein Modellviertel, in dem zur Weltausstellung Expo 2000 ökologisches Bauen und moderne Formen sozialen Wohnungsbaus im großen Stil verwirklicht wurden. In einem vierstöckigen Haus mit 16 Wohnungen findet etwas statt, das man als soziales Experiment bezeichnen könnte. Hier leben Menschen zusammen, die mehr verbindet als bloße Nachbarschaft. Die meisten von ihnen sind um die siebzig Jahre alt, auch einige Jüngere sind dabei, und alle gehören dem 1993 gegründeten Verein "Gemeinsam statt einsam" an. Wenn Gisela Jöhnk, Brigitte Stender und Dieter Mattern von ihrem Projekt erzählen, fühlt man sich unwillkürlich an die große Zeit der Wohngemeinschaften erinnert.
Es war so lustig, dass wir, als wir dann anfingen, ins Kino zu gehen hier, dass dann jemand sagte, nach so ner gewissen Zeit: Also ich bin jetzt in letzter Zeit so viel ins Kino gegangen, wie die letzten fünf Jahre zu Hause nicht.
Es ist kein Aufbewahrungsort für Alte, so eine Wohngemeinschaft, weil wir sehr viele Verpflichtungen eingehen auch. Das heißt, es ist keine Nachbarschaft, es ist sehr viel mehr.
Also, man muss offen sein. Man muss mit anderen diskutieren können und wollen. Man muss gegebenenfalls auch konfliktfähig sein, das heißt also, wenn einem irgendetwas nicht passt, dann muss man es sagen, und man muss es auch aushalten, dass andere Leute sagen: Das gefällt mir nicht an dir.
Wenn ich in meinem Haus geblieben wäre, ich hätte sicher nur die Leute, die ich von früher schon kannte oder auch nicht mehr kannte, die mit mir nichts mehr zu tun haben wollten oder auch doch noch immer, das wär so einfach vom Beruf bestimmter Klüngel gewesen – etwas negativ ausgedrückt. Das habe ich jetzt nicht mehr. Ich hab ganz viel andere, muss mit ganz viel anderen Formen umgehen, mit Ideen umgehen. Da kann ich in meinem hohen Alter, ha ha, ich krieg da andere Sachen mit, also das ist wirklich spannend.
Die Wohngruppe hat durchaus einen ernsten Hintergrund. Fast alle, die sich 1993 zusammenschlossen, brachten Erfahrungen mit dem Leben in Alten- oder Pflegeheimen mit – entweder aus beruflichen Gründen oder weil ihre Angehörigen irgendwann dort einziehen mussten. Aus diesen Erfahrungen haben sie Konsequenzen gezogen: Alles tun, um eine Heimunterbringung zu vermeiden, lautet einer ihrer Grundsätze. Bevor sie ihre früheren Wohnungen und Häuser aufgaben und im Jahr 2000 in die Wohnanlage auf dem Kronsberg zogen, haben sie in einem Protokoll die Regeln ihres Zusammenlebens schriftlich fixiert und sich untereinander zugesichert, sich im Krankheitsfall nach Kräften gegenseitig zu unterstützen.
Eine Art Schicksalsgemeinschaft ist entstanden – vor allem allein stehende Frauen und einige Ehepaare sind dabei. Sie unternehmen viel, wollen eine schöne Zeit miteinander verbringen. Aber ihr Zusammenschluss hat auch etwas Existentielles: Das ist keine Studenten-WG. Aus dieser Wohngruppe zieht niemand leichtfertig aus. Die meisten kamen hierher, weil sie hier die letzte Etappe ihres Lebens verbringen wollen. Sie hoffen, dass die anderen ihnen beistehen, wenn sie Hilfe brauchen. Der Ernstfall – das war und ist der Pflegefall. Und der trat auch ein, kurze Zeit, nachdem die Gruppe ihr Domizil bezogen hatte.
Eine Mitbewohnerin kriegte einen schweren Schlaganfall und ist also total gelähmt – außer dass der Kopf noch gut funktionierte –, total gelähmt ins Krankenhaus gekommen, sie war also nen dreiviertel Jahr nicht im Haus und wäre von der Reha, wo sie sie soweit hingekriegt hatten, dass sie im Rollstuhl sitzen konnte, mit Sicherheit ins Pflegeheim gekommen. Wir haben die Ärzte und Verantwortlichen dort überzeugen können, dass wir das zumindest versuchen wollen, hier mit ihr in ihrer eigenen Wohnung, und die Frau ist heute so weit, dass sie in kleinen Teilen ihren Haushalt führen kann. Sie hat natürlich jemand, der ihr die Reinigung dort macht, sie lässt sich das Mittagessen kommen, nicht immer, manchmal macht sie sich auch selber was Einfaches, aber sie kann ihr Geschirr abwaschen, sie kann ihre Wäsche waschen, sie kann in ihrer Wohnung rumlaufen, sie geht mit uns spazieren, über eine Stunde, sie geht mit jemandem einkaufen, also diese Sachen haben wir wirklich innerhalb eines Jahres, würde ich sagen, bewerkstelligen können. Die Frau wäre in ein Pflegeheim gekommen und da wäre sie im Rollstuhl sitzen geblieben.
Als sie sich zusammentaten, vor mittlerweile zehn Jahren, tasteten sich die Mitglieder der Wohngruppe zunächst an eine gemeinsame Vorstellung heran, wie sie leben wollten. Erfahrungen, die auch anderen von Nutzen sein könnten:
Man muss sich Zeit nehmen, um sich kennen zu lernen. Das heißt, man braucht etwa, ich sag’s einfach mal, vielleicht etwa ein Jahr Vorlauf mindestens, um solch eine Gruppe zu stabilisieren.
Wir wollten damals zwanzig Haushalte haben und bis zu dreißig Personen, weil wir gesagt haben: Es können in diesen Gruppen sich Untergruppen bilden und es ist keiner außen vor, jeder findet sozusagen seinen Kreis.
Es gibt natürlich unterschiedliche Möglichkeiten, entweder zur Miete wohnen oder im Eigentum wohnen oder auch gemischte Wohnformen. Wir haben uns hier im Verein entschieden, dass wir auf die Mietwohnung setzen, weil wir der Meinung sind, dass das einfacher, unkomplizierter ist in der Mietwohnung.
Belastet hat sie vor allem die langwierige Suche nach einem geeigneten Haus. Das Gebäude auf dem Kronsberg wurde ihnen angeboten, als sich abzeichnete, dass die neu errichteten Wohnungen auf dem freien Markt nur schwer zu vermieten sein würden.
Misstrauen oder auch nur Unsicherheit auf Seiten der Wohnungsbauunternehmen – das ist kein Einzelfall, sagt Holger Stolarz. Er untersucht im Auftrag der Bertelsmann Stiftung und des Kuratoriums Deutsche Altershilfe die Lebens- und Wohnsituation alter Menschen. Selbstorganiserte gemeinschaftliche Wohnprojekte sind in Deutschland bislang die große Ausnahme – gerade einmal 8 000 Menschen haben diese Wohnform gewählt. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung hält Stolarz sie für ein Modell der Zukunft.
Ich denke, in erster Linie brauchen die Gruppen von Älteren oder zum Teil auch Älteren und Jüngeren zusammen, die so was planen, eine intensive Betreuung und Unterstützung. Die Leute wissen zwar meistens, was sie wollen, aber wie man das genau umsetzt – sie müssen ja praktisch als Bauherren auftreten – das wissen sie nicht. Wie man so etwas finanziert, welche Rechtsform man wählt und wie man sich so organisiert, dass man auch von dem Bauträger als Gesprächspartner ernst genommen wird, sich durchsetzen kann. Da fehlt es an Erfahrungen und hier ist Hilfe notwendig. Ich glaube das ist das wichtigste, was solche Projekte brauchen.
Vorbild könnten die Niederlande sein: Dort gibt es eine staatlich finanzierte Beratungsstelle für Vereine, die das Leben im Alter selbst organisieren wollen. Kommunen und Wohnungsbaugesellschaften sind gegenüber gemeinschaftlichen Wohnprojekten aufgeschlossener als bei uns. Kein Wunder, dass solche Projekte bezogen auf die Einwohnerzahl fünfmal so viele Mitglieder haben wie in Deutschland.
Selbsthilfe und Eigeninitiative anregen – das ist nach Meinung von Holger Stolarz notwendig, um die soziale Integration von immer mehr alten Menschen zu fördern und um die Kosten für die Altenpflege zu begrenzen. Aber wie so oft – der Weg von der guten Absicht zur reellen Tat ist noch weit.
Da gibt’s nen großen Unterschied zwischen Sonntagsreden und konkreter Unterstützung. Ich glaube, (das Bewusstsein), dass solche gemeinschaftlichen Wohnprojekte, wo ja ältere Menschen einfach das machen, was sie wirklich wollen, ohne dass ihnen das jemand vorschreiben muss, das wird schon gesehen. Aber das bleibt meistens da stecken, wenn es darum geht, hier wirklich finanzielle Hilfen zu geben.
When I get older loosing my hair,
many years from now,
Will you still be sending me a Valentine,
Birthday greetings, bottle of wine?
Ich glaube, ich würde jetzt auch einfach sagen, dass ich, bis ich nicht mehr kann, einfach mein Leben genieße. Und dann halt mal schaue, was ich dann mache, wenn es dann so weit ist.
Junge Menschen sprechen über das Altwerden – ein Ausblick ins Ungewisse. Was sie erwartet, wenn sie im Jahr 2040 oder 2050 in den Ruhestand gehen, das kann ihnen heute niemand sagen. Nur eines ist sicher: Die demografischen Veränderungen in Deutschland werden gravierende Folgen haben.
Ich glaube, man darf sich auf keinen Fall aus der gesellschaftlichen Entwicklung, die ja immer schneller geht, irgendwie ausklinken. Man muss einfach da am Ball bleiben.
Ich seh’ es aber schon so, dass die Alten immer mehr auf sich selber gestellt sind, das heißt, bei uns wird es nicht viel anders aussehen. Solange es geht, möchte ich natürlich selbstständig leben, und wenn es nicht mehr geht, muss man halt dann sehen, was man sich leisten kann und wie es weitergeht.
...will you still need me, will you still feed me,
when I’m sixty-four?
Deutschland wird älter – jeder einzelne von uns und außerdem die Gesellschaft insgesamt. Immer mehr rüstige Rentner und Hochbetagte leben mit immer weniger jungen Menschen in einem Land: Heute kommen auf zwei Rentner etwa zwei Berufstätige, im Jahr 2050 wird es nur noch ein Berufstätiger sein. Das liegt einerseits an der extrem niedrigen Geburtenrate in Deutschland, andererseits werden wir durch die Fortschritte in der Medizin immer älter. Allerdings können die Ärzte niemandem ewige Jugend verleihen - es ist der letzte Lebensabschnitt, die Zeit des hohen Alters, die sich verlängert.
Wie werden die heutigen Jugendlichen leben, wenn sie alt sind? Steht an jeder Straßenecke ein Pflegeheim? Nimmt die Einsamkeit der alten Menschen weiter zu? Oder kommt es ganz anders - erlebt die Großfamilie eine Renaissance?
Ja, und ich möchte später eigentlich auch viele Kinder kriegen und hoffe dann auch irgendwo, dass die dann auch wieder Kinder kriegen, und wenn ich dann alt bin, ich würd’ mir das schön vorstellen, dann ne große Familie um mich rum zu haben, die sich dann auch um mich kümmern und die mich dann nicht irgendwie in ein Heim schicken und mich dann vielleicht alle zwei Wochen besuchen.
Ich denke, die Familie ist die Alternative zum Staat, wenn man vom Staat nicht mehr genug Geld kriegt, dass man dann jedenfalls so’n bisschen sich auf die Familie verlassen kann, dass sie einen dann auch unterstützen – also in andern Ländern ist es auf jeden Fall noch so, nur halt bei uns, weil es uns so gut ging, ist das eben entfallen.
Die Familie als Retterin der überlasteten Sozialsysteme – der Gedanke liegt vielleicht nahe, aber es wäre leichtsinnig, darauf allzu große Hoffnungen zu setzen. Erst kürzlich hat das Statistische Bundesamt Zahlen veröffentlicht, die eine klare Sprache sprechen: Im Jahr 2002 wurden in Deutschland erstmals mehr als 200 000 Ehescheidungen rechtskräftig. Die Statistiker vermuten, dass in Zukunft wohl mehr als jede dritte Ehe scheitern wird. Und auch im Verhältnis zwischen den Generationen hat sich in den letzten Jahrzehnten einiges geändert. Die eigenen hoch betagten Eltern zu betreuen oder gar rund um die Uhr zu pflegen, ist heute nur noch für wenige Menschen selbstverständlich. In unserer modernen Gesellschaft haben sich die Generationen voneinander entfernt, jede lebt ihr eigenes Leben. Lässt sich dieser Trend umkehren? Was könnte an die Stelle familiärer Beziehungen treten? Wie können neue soziale Bindungen entstehen, auch zwischen den Generationen? Erster Versuch einer Antwort: Das Mütterzentrum in der niedersächsischen Stadt Salzgitter.
"Was möchtse denn?"
"Ich möchte ein Kaugummi."
"Ein Kaugummi. Und welche Farbe hättste gerne?"
"Weiß."
"Ein weißes Kaugummi. Bitteschön. Fünf Cent."
"Danke."
Auch für Pfennigartikel nimmt sich Angelika Bluth viel Zeit. Kinder kommen gerne in ihre kleinen Kramladen, weil sie hier Bonbons aus diesen großen Gläsern kaufen können. Und die Alten kommen gerne, weil man hier noch anschreiben lassen kann, wenn man mal das Geld vergessen hat - ganz wie früher. Das Geschäft von Angelika Bluth wirft bislang kaum Gewinn ab, aber das ist auch nicht sein wesentlicher Zweck. Der Laden ist nur einer von vielen Treffpunkten im Mütterzentrum.
Die Industriestadt Salzgitter im Süden Niedersachsens mag sonst wenig zu bieten haben – mit dem Mütterzentrum hat sich dort eines der interessantesten Sozialprojekte der Republik etabliert. Untergebracht ist es in einem lang gestreckten Gebäude mit einer einladenden Glasfront. Während oben unter dem Dachgeschoss gerade der Mehrgenerationenchor probt, machen Jugendliche im Schülerkeller Hausaufgaben oder spielen Tischfußball. Drei Kindergartengruppen sind im Mütterzentrum zu Hause. Kleinkinder werden im Spielzimmer betreut, während ihre Eltern im Secondhandladen einkaufen oder sich für wenig Geld die Haare schneiden lassen. Zur gleichen Zeit bietet der Altenservice Senioren verschiedene Aktivitäten an. Das Entscheidende aber ist der offene Bereich, ein großer Raum in der Mitte des Gebäudes, mit Tischen und Stühlen wohnlich eingerichtet, an einer Theke kann man Essen bestellen oder Kaffee holen. Hier treffen die Generationen aufeinander – junge Mütter, alte Menschen, spielende Kinder, ehrenamtliche Helferinnen, die gerade an der Dekoration für ein großes Fest arbeiten.
Gymnastik haben wir heute in der Frühe gemacht, getanzt haben wir auch sogar, und nach dem Mittagessen tun wir uns hinten auf den Sesseln langlegen, und das ist alles, und jetzt trinken wir Kaffee, und anschließend fahren wir nach Hause.
Also unser Konzept heißt auch: Wir leben nach dem Prinzip der Großfamilie. Und diese Strukturen wie auf der italienischen Piazza, die gibt es heute kaum noch. Die Marktplätze sind nicht mehr so, dass es dort Spaß macht zu sitzen. Vieles ist dann auf Einkaufen, auf Hetze, auf dran Vorbeigehen eingerichtet. Und wir haben im Haus auch einen Marktplatz und wir haben Straßen, und alles ist ganz dicht beieinander, so dass sich die Menschen auf den Wegen begegnen müssen.
Ich bin schon vierzehn Jahre hier. Weil’s mir Spaß macht. Mütterzentrum gibt’s ja einmal nur. Das isses halt auch. Mein Mann, wie der gestorben ist, bin ich gleich ins Mütterzentrum gegangen. Wo soll man sonst hin? Zu Hause schnappt man über. Und hier hat man Abwechslung und so was.
Manchmal kommen alte Menschen aus Altenheimen wieder zu uns zurück und wir stellen fest, dass sie bei uns ganz schnell wieder aktiv werden, dass sie viel zufriedener sind; sozusagen bieten die unterschiedlichen Menschen für die alten Menschen, die ja oft unter Einsamkeit leiden, das Event umsonst. Da muss man nicht überall hingehen, sondern sieht, was alles passiert. Und das hat dann eben den therapeutischen Effekt.
Hildegard Schooß ist Gründerin und Leiterin des Mütterzentrums in Salzgitter, das vom Verein SOS-Kinderdorf getragen wird. In Deutschland gibt es mehrere Hundert Mütterzentren, die als Anlaufstellen vor allem für junge Familien dienen. Was in Salzgitter passiert, ist allerdings bislang einmalig: In einem halböffentlichen Raum begegnen sich Menschen unterschiedlichen Alters und mit ganz verschiedenen Interessen. Es entstehen kurzfristige Kontakte, aber auch jahrelange Bindungen. Junge zeigen Älteren, wie man mit dem Computer umgeht, andere kümmern sich währenddessen um die Kinder. Hildegard Schooß ist im Laufe ihrer langjährigen Arbeit am Konzept des Mütterzentrums zu einer schlichten Erkenntnis gelangt: Das Zusammenleben, sagt sie, sei dann am interessantesten, wenn Menschen aller Generationen aufeinander treffen und ihre spezifische Weltsicht einbringen könnten.
Natürlich kann diese Einrichtung ohne öffentliche Zuschüsse nicht existieren. Dennoch ist sie möglicherweise profitabel – weil sie hilft, Ausgaben an anderer Stelle zu vermeiden.
Ich glaube, dass das letztendlich unterm Strich sehr preiswert ist, weil die Menschen das auch in der gegenseitigen Hilfe machen – also nicht jeder bekommt ein Chefgehalt dafür, sondern die Preise sind einfach günstig. Ja, dann ist unterm Strich die ganze Angelegenheit billiger, als wenn ich professionell etwas tun muss, weil ich zu lange gewartet habe, den Menschen solche Räume anzubieten. Professionelle Hilfe, wie wir sie in den letzten dreißig Jahren aufgebaut haben, ist auf jeden Fall extrem viel teurer als das, was hier an Vielfalt alles möglich ist.
Das Haus wird zwar von Fachkräften geleitet, ist aber in gleichem Maße auch von ehrenamtlichen und gering bezahlten Hilfen abhängig, von Menschen, die hier aus Überzeugung und Begeisterung mit anpacken. So zeigt das Mütterzentrum einen Weg auf, wie man mit vergleichsweise geringem finanziellem Aufwand neue soziale Netze in einer Stadt flechten kann. Auch die niedersächsische Sozialministerin Ursula von der Leyen ließ sich von diesem Projekt inspirieren, als sie ihr Konzept des Mehrgenerationenhauses entwickelte.
Die Familienstrukturen haben sich verändert im Laufe der Zeit. Wir haben nicht mehr die typische Drei- oder Viergenerationenfamilie unter einem Dach. Und damit gehen uns ganz wichtige Schutzmechanismen verloren, d.h. die eine Generation, die selbstverständlich für die andere sorgt, jede kann geben und jede kann nehmen, die Großmutter kann den Kleinen vorlesen, umgekehrt können die Kleinen dem Großvater helfen, wenn die schwere Tasche ins Haus getragen werden muss - diese Selbstverständlichkeit verlernen wir, und der Gedanke des Mehrgenerationenhauses ist, dass wir unter einem Dach viele Angebote für verschiedene Generationen bündeln, damit wir diese Kraft innerhalb der Generationen wieder entwickeln, die bisher brachgelegen hat.
In den nächsten Jahren sollen in Niedersachsen zahlreiche Mehrgenerationenhäuser entstehen. Sicher werden die meisten kleiner ausfallen als das Vorbild in Salzgitter, aber es ist immerhin bemerkenswert, dass solch ein Projekt trotz desolater Finanzlage mit Landesmitteln auf den Weg gebracht werden konnte.
Ortswechsel: Hannover, Stadtteil Kronsberg. Das Wohngebiet entstand vor wenigen Jahren, ein Modellviertel, in dem zur Weltausstellung Expo 2000 ökologisches Bauen und moderne Formen sozialen Wohnungsbaus im großen Stil verwirklicht wurden. In einem vierstöckigen Haus mit 16 Wohnungen findet etwas statt, das man als soziales Experiment bezeichnen könnte. Hier leben Menschen zusammen, die mehr verbindet als bloße Nachbarschaft. Die meisten von ihnen sind um die siebzig Jahre alt, auch einige Jüngere sind dabei, und alle gehören dem 1993 gegründeten Verein "Gemeinsam statt einsam" an. Wenn Gisela Jöhnk, Brigitte Stender und Dieter Mattern von ihrem Projekt erzählen, fühlt man sich unwillkürlich an die große Zeit der Wohngemeinschaften erinnert.
Es war so lustig, dass wir, als wir dann anfingen, ins Kino zu gehen hier, dass dann jemand sagte, nach so ner gewissen Zeit: Also ich bin jetzt in letzter Zeit so viel ins Kino gegangen, wie die letzten fünf Jahre zu Hause nicht.
Es ist kein Aufbewahrungsort für Alte, so eine Wohngemeinschaft, weil wir sehr viele Verpflichtungen eingehen auch. Das heißt, es ist keine Nachbarschaft, es ist sehr viel mehr.
Also, man muss offen sein. Man muss mit anderen diskutieren können und wollen. Man muss gegebenenfalls auch konfliktfähig sein, das heißt also, wenn einem irgendetwas nicht passt, dann muss man es sagen, und man muss es auch aushalten, dass andere Leute sagen: Das gefällt mir nicht an dir.
Wenn ich in meinem Haus geblieben wäre, ich hätte sicher nur die Leute, die ich von früher schon kannte oder auch nicht mehr kannte, die mit mir nichts mehr zu tun haben wollten oder auch doch noch immer, das wär so einfach vom Beruf bestimmter Klüngel gewesen – etwas negativ ausgedrückt. Das habe ich jetzt nicht mehr. Ich hab ganz viel andere, muss mit ganz viel anderen Formen umgehen, mit Ideen umgehen. Da kann ich in meinem hohen Alter, ha ha, ich krieg da andere Sachen mit, also das ist wirklich spannend.
Die Wohngruppe hat durchaus einen ernsten Hintergrund. Fast alle, die sich 1993 zusammenschlossen, brachten Erfahrungen mit dem Leben in Alten- oder Pflegeheimen mit – entweder aus beruflichen Gründen oder weil ihre Angehörigen irgendwann dort einziehen mussten. Aus diesen Erfahrungen haben sie Konsequenzen gezogen: Alles tun, um eine Heimunterbringung zu vermeiden, lautet einer ihrer Grundsätze. Bevor sie ihre früheren Wohnungen und Häuser aufgaben und im Jahr 2000 in die Wohnanlage auf dem Kronsberg zogen, haben sie in einem Protokoll die Regeln ihres Zusammenlebens schriftlich fixiert und sich untereinander zugesichert, sich im Krankheitsfall nach Kräften gegenseitig zu unterstützen.
Eine Art Schicksalsgemeinschaft ist entstanden – vor allem allein stehende Frauen und einige Ehepaare sind dabei. Sie unternehmen viel, wollen eine schöne Zeit miteinander verbringen. Aber ihr Zusammenschluss hat auch etwas Existentielles: Das ist keine Studenten-WG. Aus dieser Wohngruppe zieht niemand leichtfertig aus. Die meisten kamen hierher, weil sie hier die letzte Etappe ihres Lebens verbringen wollen. Sie hoffen, dass die anderen ihnen beistehen, wenn sie Hilfe brauchen. Der Ernstfall – das war und ist der Pflegefall. Und der trat auch ein, kurze Zeit, nachdem die Gruppe ihr Domizil bezogen hatte.
Eine Mitbewohnerin kriegte einen schweren Schlaganfall und ist also total gelähmt – außer dass der Kopf noch gut funktionierte –, total gelähmt ins Krankenhaus gekommen, sie war also nen dreiviertel Jahr nicht im Haus und wäre von der Reha, wo sie sie soweit hingekriegt hatten, dass sie im Rollstuhl sitzen konnte, mit Sicherheit ins Pflegeheim gekommen. Wir haben die Ärzte und Verantwortlichen dort überzeugen können, dass wir das zumindest versuchen wollen, hier mit ihr in ihrer eigenen Wohnung, und die Frau ist heute so weit, dass sie in kleinen Teilen ihren Haushalt führen kann. Sie hat natürlich jemand, der ihr die Reinigung dort macht, sie lässt sich das Mittagessen kommen, nicht immer, manchmal macht sie sich auch selber was Einfaches, aber sie kann ihr Geschirr abwaschen, sie kann ihre Wäsche waschen, sie kann in ihrer Wohnung rumlaufen, sie geht mit uns spazieren, über eine Stunde, sie geht mit jemandem einkaufen, also diese Sachen haben wir wirklich innerhalb eines Jahres, würde ich sagen, bewerkstelligen können. Die Frau wäre in ein Pflegeheim gekommen und da wäre sie im Rollstuhl sitzen geblieben.
Als sie sich zusammentaten, vor mittlerweile zehn Jahren, tasteten sich die Mitglieder der Wohngruppe zunächst an eine gemeinsame Vorstellung heran, wie sie leben wollten. Erfahrungen, die auch anderen von Nutzen sein könnten:
Man muss sich Zeit nehmen, um sich kennen zu lernen. Das heißt, man braucht etwa, ich sag’s einfach mal, vielleicht etwa ein Jahr Vorlauf mindestens, um solch eine Gruppe zu stabilisieren.
Wir wollten damals zwanzig Haushalte haben und bis zu dreißig Personen, weil wir gesagt haben: Es können in diesen Gruppen sich Untergruppen bilden und es ist keiner außen vor, jeder findet sozusagen seinen Kreis.
Es gibt natürlich unterschiedliche Möglichkeiten, entweder zur Miete wohnen oder im Eigentum wohnen oder auch gemischte Wohnformen. Wir haben uns hier im Verein entschieden, dass wir auf die Mietwohnung setzen, weil wir der Meinung sind, dass das einfacher, unkomplizierter ist in der Mietwohnung.
Belastet hat sie vor allem die langwierige Suche nach einem geeigneten Haus. Das Gebäude auf dem Kronsberg wurde ihnen angeboten, als sich abzeichnete, dass die neu errichteten Wohnungen auf dem freien Markt nur schwer zu vermieten sein würden.
Misstrauen oder auch nur Unsicherheit auf Seiten der Wohnungsbauunternehmen – das ist kein Einzelfall, sagt Holger Stolarz. Er untersucht im Auftrag der Bertelsmann Stiftung und des Kuratoriums Deutsche Altershilfe die Lebens- und Wohnsituation alter Menschen. Selbstorganiserte gemeinschaftliche Wohnprojekte sind in Deutschland bislang die große Ausnahme – gerade einmal 8 000 Menschen haben diese Wohnform gewählt. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung hält Stolarz sie für ein Modell der Zukunft.
Ich denke, in erster Linie brauchen die Gruppen von Älteren oder zum Teil auch Älteren und Jüngeren zusammen, die so was planen, eine intensive Betreuung und Unterstützung. Die Leute wissen zwar meistens, was sie wollen, aber wie man das genau umsetzt – sie müssen ja praktisch als Bauherren auftreten – das wissen sie nicht. Wie man so etwas finanziert, welche Rechtsform man wählt und wie man sich so organisiert, dass man auch von dem Bauträger als Gesprächspartner ernst genommen wird, sich durchsetzen kann. Da fehlt es an Erfahrungen und hier ist Hilfe notwendig. Ich glaube das ist das wichtigste, was solche Projekte brauchen.
Vorbild könnten die Niederlande sein: Dort gibt es eine staatlich finanzierte Beratungsstelle für Vereine, die das Leben im Alter selbst organisieren wollen. Kommunen und Wohnungsbaugesellschaften sind gegenüber gemeinschaftlichen Wohnprojekten aufgeschlossener als bei uns. Kein Wunder, dass solche Projekte bezogen auf die Einwohnerzahl fünfmal so viele Mitglieder haben wie in Deutschland.
Selbsthilfe und Eigeninitiative anregen – das ist nach Meinung von Holger Stolarz notwendig, um die soziale Integration von immer mehr alten Menschen zu fördern und um die Kosten für die Altenpflege zu begrenzen. Aber wie so oft – der Weg von der guten Absicht zur reellen Tat ist noch weit.
Da gibt’s nen großen Unterschied zwischen Sonntagsreden und konkreter Unterstützung. Ich glaube, (das Bewusstsein), dass solche gemeinschaftlichen Wohnprojekte, wo ja ältere Menschen einfach das machen, was sie wirklich wollen, ohne dass ihnen das jemand vorschreiben muss, das wird schon gesehen. Aber das bleibt meistens da stecken, wenn es darum geht, hier wirklich finanzielle Hilfen zu geben.