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Gemeinsames Gedenken als Zeichen der Versöhnung?

Vor 70 Jahren wurden auf Stalins Befehl tausende polnische Offiziere und Zivilisten ermordet. Der russische Ministerpräsident Putin hat seinen polnischen Amtskollegen Tusk für morgen ins russischen Katyn eingeladen, um dort den Opfern zu gedenken. In Polen keimt nun die Hoffnung, dass die gemeinsame Feier ein Zeichen ist - für einen ehrlicheren Umgang mit der Geschichte.

Von Florian Kellermann | 06.04.2010
    An einer stark befahrene Straße im Warschauer Zentrum steht ein Denkmal, das hier erst nach der Wende seinen Platz gefunden hat. Es ist den Gefallenen und Ermordeten im Osten gewidmet - den polnischen Opfern der Sowjetunion. Auf einem überdimensionalen Eisenbahnwaggon liegen Kreuze aus Metall, unzählig viele. Der 30-jährige Ingenieur Rafal Malinowski kommt hier fast täglich vorbei:

    "Es ist sehr wichtig, dass wir jetzt über diese Verbrechen sprechen dürfen, besonders über das Massaker von Katyn. Ich freue mich auch, dass unser Premier Tusk und sein russischer Kollege gemeinsam den Jahrestag begehen. Das hilft, die polnisch-russischen Beziehungen zu verbessern, die ja nicht einfach sind. Nehmen Sie nur die Energiefrage: Wir sind gegen die Ostsee-Pipeline, die Gas von Russland direkt nach Deutschland befördern soll und dabei Polen umgehen wird."

    Im kommunistischen Polen war es verboten, die Wahrheit über dass Massaker von Katyn zu sagen. Denn die offizielle Propaganda behauptete, die deutschen Besatzer hätten die Polen ermordet.. Unter der Verleumdung litten vor allem die Angehörigen der Getöteten. Andrzej Skapski war zwei Jahre alt, als sein Vater in Katyn erschossen wurde, er erinnert sich an seine Schulzeit:

    "Wenn mich Klassenkameraden fragten, was mit meinem Vater passiert ist, musste ich sagen, dass ich es nicht weiß. Aber irgendwie haben die gemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmt. Meine Zieheltern haben mich deshalb fast jedes Jahr in eine andere Schule getan - damit ich mich nicht verplappere. Ich habe so immer gespürt, dass ich einer besonderen Kategorie von Bürgern angehöre, die den Machthabern nicht passt."

    Heute ist Andrzej Skapski Vorsitzender des Verbands der Katyn-Familien, der Nachkommen der Opfer. Er möchte, dass die ganze Welt die Wahrheit über Katyn erfährt, vor allem die Menschen in Russland, dem Rechtsnachfolger der Sowjetunion. Deshalb wartet er besonders gespannt auf die Gedenkfeiern zum 70. Jahrestag:

    "Ich hoffe auf einen Schritt, egal ob klein oder groß. So ein Schritt wäre zum Beispiel, dass Russland die Archive öffnet. Wir wissen, dass der Sowjet-Geheimdienst NKWD die gefangenen Polen vor der Erschießung verhörte. Ich würde gerne erfahren, was mein Vater in seinen letzten Tagen erlebt und gesagt hat. Außerdem wünsche ich mir, dass Russland sich für die Verbrechen entschuldigt - nicht gezwungen, sondern authentisch, von Herzen."

    Die Signale, die in den vergangenen Monaten aus Moskau kamen, stimmen Andrzej Skapski optimistisch. Der russische Premier Wladimir Putin deutete erstmals an, die Archive für polnische Historiker zu öffnen. Vergangene Woche sorgte auch das russische Fernsehen in Polen für positive Schlagzeilen: Es zeigte zum ersten Mal den Film über Katyn, den der polnische Regisseur Andrzej Wajda vor drei Jahren drehte.

    Beobachter sehen darin ein Anzeichen dafür, dass Russland das Verhältnis zu Polen insgesamt verbessern möchte. So Eugeniusz Smolar vom Warschauer Zentrum für internationale Beziehungen:

    "Unsere Beziehungen sind noch keineswegs normal. Man muss nur bedenken, dass russische Militärs immer wieder mit einem Atomangriff auf Polen gedroht haben, weil wir den USA erlaubten, hier Teile eines Raketenschildes zu installieren. Aber ein Fortschritt ist zum Beispiel, dass Russland den Import von polnischem Fleisch nicht mehr blockiert. Es hat sehr geholfen, dass sich hier unter anderen Angela Merkel eingesetzt hat. Die russische Führung hat offenbar verstanden, dass sie Polen nicht mehr einfach ignorieren kann, wenn sie eine erfolgreiche Europapolitik betreiben möchte."

    Der Weg zu einem partnerschaftlichen Verhältnis ist allerdings noch weit - und ob die gemeinsame Gedenkfeier dazu beiträgt, bleibt abzuwarten.

    Rafal Malinowski, der Ingenieur, wird morgen hoffnungsvoll nach Katyn schauen:

    "Ich glaube, dass die einfachen Menschen in unseren Ländern sich sehr leicht verständigen könnten. Wir müssen auf beiden Seiten Stereotype abbauen."