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Gemeinsames Lernen

Seit dem Jahr 2001 knüpft das Sächsische Landesgymnasium St. Afra in Meissen wieder an die Tradition der ehemaligen Fürstenschule an und kümmert sich um die Ausbildung besonders begabter Schülerinnen und Schüler. Gelernt wird in angelsächsischer Tradition.

Von Alexandra Gerlach | 05.09.2009
    Ungewohnt ist schon der morgendliche Auftakt.

    Es ist 7:20 Uhr und die rund 300 Schülerinnen und Schüler der Klassen 7 bis 12 sind auf dem Weg zum Schulkonzil. Dieses findet statt in der großen Aula, im zweiten Stock des Schulhauses. Zunächst gibt es für alle die aktuellen Nachrichten des Tages, vorgetragen von Schülerredakteuren:

    Es folgen wichtige Ansagen für den weiteren Verlauf des Tages, Gruppenleiter bitten ihre Teilnehmer zu einer Besprechung:

    "Die Artistikschüler bitte im Anschluss zu mir ... . "

    Dann ist Aufbruch in Richtung Klassenzimmer. Kein Gong, keine Pausenklingel ertönt. Gelernt wird in Doppelstunden, in hellen freundlichen Klassenzimmern mit transparenten Glastüren. Die Klassenstärke variiert, in der Griechischstunde von Stephan Römer sind es 14 Schülerinnen und Schüler, die über ihren Texten brüten:

    "Ja, im Griechischen ist es ja lustig, da steht der Irrealis im Indikativ, das ist man im Deutschen gar nicht gewöhnt, da bedeutet der Irrealis, also die Unwirklichkeit Konjunktiv."

    Prinzipiell lernen alle Schülerinnen und Schüler in St. Afra drei Fremdsprachen, davon mindestens eine alte Sprache, Griechisch oder Latein. Dabei wird es dann schon auch mal philosophisch, so bei der Übersetzung der Gedanken des 70-jährigen Steinmetzes Sokrates, der im Gefängnis sitzt und auf die Todesstrafe wartet:

    "Du wärest doch wohl fortgegangen, ... .
    Er ist ja 70 Jahre alt, der Sokrates, ... "

    Wer in St. Afra zur Schule geht, der lernt in zwei Segmenten. Dem "Fundamentum", jenen Schulstunden, die am Vormittag gemäß des sächsischen Lehrplanes auf dem Stundenplan stehen. Am Nachmittag geht es um die Vertiefung, im "Additum", in Arbeitsgemeinschaften, Projekten oder etwa in einer Theatergruppe. Es gehe um ganzheitliches Lernen und um eine generalistische Ausbildung, sagt Ulrike Ostermaier. Sie ist seit 2008 Direktorin von St. Afra und verweist auf den grundlegenden Unterschied zu anderen staatlichen Gymnasien:

    "Dass wir hier eine Gemeinschaft von Schülern und Lehrern haben, die gemeinsam lernen, das ergibt sich natürlich auch aus der Struktur. St. Afra arbeitet mit einem Internat und wir sind alle gemeinsam mit Schule und Internat auf dem Campus und verbringen letztendlich eben 24 Stunden gemeinsam und das ist ein himmelweiter Unterschied zu dem, was sie normalerweise an Gymnasien haben, wo sie am Morgen die Kinder bekommen aus ganz unterschiedlichen Lebenssituationen und sie auch zu einem deutlich früheren Zeitpunkt wieder den Campus verlassen oder die Schule."

    Und gerade weil Lehrer und Schüler hier so eng zusammenleben und arbeiten, wird schon bei der Aufnahmeprüfung neben den Leistungen und Begabungen auch auf die sozialen Fähigkeiten der Bewerber geschaut.
    Mit dabei ist dann auch die Psychologin Britt Reimann-Bernhard:

    "Es gibt aber Kinder, die melden, dass sie hier an der Schule erstmalig so sein können, wie sie sind, und dass dann keiner sagt, äh, Du Streber, oder Du willst ja nur Einsen haben, ... ""

    Für die Lehrer, die hier Gymnasial-Mentoren heißen, erfordert das pädagogische Prinzip des gemeinsamen Lernens hohen Einsatz wie Maria Degkwitz freimütig zugibt. Seit 2001 lehrt sie Latein, katholische Theologie und Theater an dieser Schule. Der Arbeitsaufwand sei manchmal kompatibel mit öffentlichem Dienstrecht, sagt sie, doch letztlich spiele das dann keine Rolle, denn …

    " … es geht nicht darum, ein Pensum zu absolvieren, sondern, herrlicher Versprecher neulich von einem Afraner, es geht eigentlich um explorierendes Lernen, und er sagte, explodierendes Lernen: Aber der Ausgangspunkt ist die individuelle Förderung.
    Wenn jeder den Raum kriegt für seine Bedürfnisse und Fähigkeiten, dann ist es einfach unglaublich, wie quasi von selbst die Kinder voneinander lernen."

    Die Schülerinnen und Schüler, so scheint es, wissen diesen Ansatz zu schätzen. Als Elite oder hochbegabt empfinden sie sich nicht. Sehr wohl bemerken sie jedoch die Unterschiede zu ihren alten Schulen:

    "Erstens auf jeden Fall der Unterricht, auch weil wir in meiner alten Schule viele zu viele waren, und dadurch das Klassen- und Unterrichtsgefühl ziemlich schlecht war, wir waren 33 Leute in einer Klasse. Unsere Schule war sehr groß, sodass wir uns eigentlich alle nicht kannten, was hier komplett anders ist."

    "Ich fand, dass sozusagen die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler ziemlich unpersönlich war, und ich finde, dass hier die Lehrer sich speziell Zeit füreinander nehmen. Wir haben alle einen Klassenlehrer, wir haben alle einen IM, also Mentor, der sich um unsere schulischen Probleme kümmert, wenn wir welche haben, der uns unterstützt."

    "Der Unterschied zu anderen Schulen besteht darin, wie wir miteinander umgehen und das Verhältnis von bestimmten Schülern zueinander und insgesamt die Gesellschaft und Gemeinschaft ist hier ganz anders aufgebaut, dann ist das auch immer so ein Verhältnis, dass man sich gegenseitig respektiert."