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Gen an der Astgabel

Entwicklungsbiologie. - "Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl". Das ist der Titel von Charles Darwin 1859 erschienenem Buch über die Kräfte, die die Evolution vorantreiben. Während Darwins Theorien bis heute zu den Grundlagen naturwissenschaftlicher Weltanschauung gehören, sind wichtige Fragen unbeantwortet geblieben: Wie bilden sich zwei Arten aus einer? Gibt es spezielle Gene dafür, und wenn ja, haben die Arten die da entstehen einen Vorteil aus diesen Genen? Eine Antwort liefern Biologen heute im Wissenschaftsmagazin "Nature".

    Von Grit Kienzlen.

    Artenbildung heißt auf englisch "Speciation". Schreibt man das Wort Speciation auf dem Computer, dann verwandelt die Autokorrekturfunktion es in das Wort "Speculation". Spekulation. Die Forscherszene, die sich mit dem Problem der Artenbildung beschäftigt, hat darüber viel gescherzt, erzählt der Biologe Mohammed Noor von der Universität von Louisiana in Baton Rouge. Galgenhumor, denn die Wissenschaftler fischten tatsächlich im Trüben. Spekulierten. Und das hat vor allem mit den Mechanismen der Artenbildung selbst zu tun. Arten entstehen, wenn zwei eng verwandte Gruppen sich nicht mehr miteinander mischen können. Das kann passieren, wenn sie sich nicht mehr attraktiv finden und demnach nicht paaren. Oder aber sie paaren sich, aber ihr Nachwuchs ist entweder steril wie bei Pferd und Esel oder gar nicht lebensfähig.

    Mit den klassischen Methoden der Genetik lassen sich diese beiden Erscheinungen nicht untersuchen. Denn Genetik arbeitet mit Kreuzungsexperimenten. Die Eigenschaft, nach der hier gesucht wird, ist ja aber gerade, dass sich die Verwandten nicht kreuzen lassen. Dennoch ist es Daven Presgraves an der Universität von Rochester in New York nun gelungen, ein einzelnes Gen ausfindig zu machen, das die beiden Fliegenarten drosophila simulans und drosophila melanogaster trennt:

    Das Gen unterscheidet sich zwischen beiden Arten und die Unterschiede führen dazu, dass Hybride, also Kreuzungen zwischen beiden Arten sterben.

    Genau genommen sterben nur die männlichen Nachkommen, was mit der Rolle des X-Chromosoms beim Männchen zu tun hat. Gefunden haben die Biologen ihr Artbildungs-Gen mit einem Trick. Sie kreuzten Drosophila simulans-Mutanten, denen kleine Teile im Erbgut fehlten mit Drosophila melanogaster. Die meisten männlichen Nachkommen waren weiterhin nicht lebensfähig. Einige wenige aber doch. Und genau bei diesen Fliegen fehlte das Gen von drosophila simulans, das zu der Unverträglichkeit zwischen beiden Arten führt. Damit war das Gen, das die Arten normalerweise trennt, gefunden. Es ist für bestimmte Porenkomplexe in Zellen zuständig und kann diese Poren in Kooperation mit Genen der anderen Art nicht mehr bilden. Fragt sich nur, warum dieses Gen sich so entwickelt hat. Presgraves:

    Das war lange eine der großen offenen Fragen der Evolutionsbiologie: Das Buch von Darwin heißt: "Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl". Aber wenn man die Artbildung auf genetischer Ebene untersucht, dann ist die Frage eben: Führt natürliche Selektion oder Auswahl wirklich zu diesen genetischen Veränderungen? Nachdem wir das Gen identifiziert hatten, konnten wir die DNA in dieser Region Baustein für Baustein vergleichen und mit statistischen Methoden zeigen, dass die vielen Veränderungen zwischen den beiden Arten durch natürliche Selektion entstanden sein müssen. Das heißt, die Fliegen hatten in ihrer jeweiligen Umgebung und Geschichte einen Vorteil von ihrer Genvariante und deshalb haben sich die Unterschiede herausgebildet.

    Zweieinhalb Millionen Jahre waren die beiden Fliegenarten geographisch getrennt. Deshalb wirkte sich der Nachteil der Genvariante, dass sie mit Fliegen der anderen Art Nachkommen verhinderte, nicht aus. Viele Drosophila Arten sehen sich bei allen genetischen Unterschieden übrigens ununterscheidbar ähnlich. Die Ergebnisse von Daven Presgraves führen im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen, dass sich Artengrenzen nicht an Äußerlichkeiten festmachen lassen. Viele Hunderassen könnte man für vollkommen unterschiedliche Tiere halten. Bei den Taufliegen dagegen sorgt ein einziges Gen für den Artunterschied. Und wie war es beim Menschen? Spielten solche Gene bei deren Evolution auch ein Rolle? Schwer zu sagen, meinen die Wissenschaftler. Es gibt ja zwei Mechanismen, die zur Artbildung führen: Kein lebens- oder vermehrungsfähiger Nachwuchs. Oder aber die Mitglieder zweier Gruppen, die sich dann zu Arten aufteilen, finden sich nicht attraktiv. Presgraves:

    Ich kann nur darüber spekulieren, welcher Mechanismus beim Menschen und seinen Vorfahren wichtiger war. Ich würde auf den zweiten tippen. Isolierung der Arten, weil sie sich nicht paaren.

    Mit anderen Worten: Der frühe Mensch fand den Affen nicht mehr sexy. Doch diese Einschätzung ist sicher nicht die eines unvoreingenommenen Genetikers.