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Gen oder nicht Gen?

Heute beraten die Umweltminister der EU in Brüssel darüber, wer in Zukunft entscheiden soll, ob eine Genmaissorte angebaut werden darf oder nicht. Die EU-Gremien für ganz Europa oder jeder Staat für sich?

Von Mirjam Stöckel | 14.03.2011
    Es sind längst nicht mehr nur die Öko-Fundamentalisten, die Grüne Gentechnik auf den Feldern ablehnen: Die CDU-geführte Großstadt Karlsruhe beispielsweise, Universitätssitz und Forschungsstandort, hat sich mittlerweile zur gentechnikfreien Zone erklärt. Weil die Bevölkerung das so wolle, sagt Margret Mergen, Erste Bürgermeisterin der Stadt – und um politisch ein

    "Zeichen zu setzen, dass die Erkenntnisse über genveränderte Lebensmittel vielleicht noch nicht so weit gediehen sein könnten, dass man klare Aussagen macht, ob es Folgen hat."

    Ein vorsorglicher Gentechnik-Stopp im Sinne der Gesundheit – dieses Prinzip gilt auch für Thüringen: Als erstes deutsches Bundesland hat der Freistaat offiziell erklärt, keine gentechnisch veränderten Pflanzen auf den Feldern zu wollen. Mittlerweile hat auch Nordrhein-Westfalen nachgezogen. Allerdings: Rechtlich bindend sind solche Selbstverpflichtungen nicht. Hartmut Schubert, Staatssekretär im Gesundheitsministerium Thüringen:

    "Wir können zum Beispiel dafür sorgen, dass auf landeseigenen Agrarflächen kein gentechnisch verändertes Material angebaut wird. Ansonsten ist das ein reiner Appell an die Landwirte, an Grundstückseigentümer, es diesem gleichzutun. Das ist eben halt das, was zurzeit rechtlich möglich ist. Wenn aber die EU es ermöglichen würde, dass Regionen sich für gentechnik-frei erklären, dann könnte Thüringen das tun und dann wäre es in Thüringen untersagt, solche Pflanzen anzubauen."

    Ob die EU das tatsächlich möglich machen wird – genau darüber streiten die Politiker in Brüssel gerade. Bislang geht das nicht. Denn das europäische Gentechnik-Recht ist ziemlich zentralistisch: Über die Frage, welche Genpflanze angebaut werden darf, entscheidet de facto die EU-Kommission – und zwar einheitlich für ganz Europa. Einzelne Regionen wie Thüringen haben da gar nichts mitzureden. Mit der neuen Vorschrift soll jeder Mitgliedsstaat selbst über den Anbau von Genpflanzen entscheiden dürfen – und zwar ohne juristisch komplizierte Ausnahmeregelung. Eine entsprechende Gesetzesänderung hat die EU-Kommission bereits vorgeschlagen. Bei einer Anbauentscheidung in Deutschland hätte Thüringen dann mehr Mitspracherecht, hofft Hartmut Schubert.

    "Die eine Region will vielleicht davon profitieren, dass sie möglichst hohe Erträge hat und verspricht sich von Gentechnik da eine Steigerung. Andere Länder, die wollen eher mit Naturnähe und mit Tourismus und natürlichen Kreisläufen werben und dann passt das da nicht ins Bild. Und deswegen sollte das wirklich vor Ort selbstständig entschieden werden können und eben nicht sozusagen von Brüssel aus festgelegt werden, was geht und was nicht geht."

    Einen großen Haken haben die Pläne aber: Jedes nationale Anbauverbot für Genpflanzen könnte als Hindernis für den freien Handel in der Europäischen Union ausgelegt werden – und damit gegen EU-Recht verstoßen, fürchten viele EU-Mitgliedsländer. Auch bei der Welthandelsorganisation könnte es deshalb Ärger geben.

    Darum wollen sie für nationale Anbauverbote rechtlich wasserdichte Begründungen. Doch: Welche Argumente taugen dazu? Die EU-Kommission hat zwar ein paar Begründungen vorgeschlagen: Genpflanzen dürften verboten werden, wenn ethische Bedenken dagegen sprächen – oder die öffentliche Ordnung sonst gefährdet würde. Kritikern wie Mute Schimpf von der Umweltorganisation "Friends of the Earth Europe" reicht das aber nicht aus:

    "Wir finden es ehrlich gesagt lächerlich, was die Kommission hier anbietet. Sie bietet den Mitgliedsstaaten keinerlei Rechtssicherheit für eine Begründung. Das heißt, wenn ein Land diese Gründe nutzen würde, um etwas zu verbieten, könnte jederzeit die Gentechnik-Industrie kommen und diese Gründe rechtlich anfechten."

    "Nichts wäre schlimmer, als wenn das alles auf Gerichtswegen ausgestritten wird. Man ist natürlich nie vor Gerichtsverfahren gefeit – das ist ja auch normal im Rechtsstaat. Aber man sollte es so machen, dass die Wahrscheinlichkeit recht hoch ist, dass es auch Bestand hat – und nicht dass es von vornherein klar ist, dass es nur einer Klage bedarf, um das zu kippen",

    sagt Hartmut Schubert, der thüringische Staatssekretär. Denn wenn das so wäre, würde wohl kaum ein Land oder eine Region es wagen, Genpflanzen vom Acker zu verbannen. Und dann könnte sich die EU ihre neue Vorschrift eigentlich auch gleich sparen.