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Gen-TÜV für Neugeborene?

Medizin. - Ein Vorschlag von EU-Forschungskommissar Philippe Busquin für ein europaweites genetisches Screening von Babys stößt bei deutschen Kinderärzten derzeit auf Kritik. Im Rahmen eines solchen "Gen-TÜVs" sollen nach dem Wunsch Busquins alle Babys auf Erbkrankheiten untersucht werden, die heute schon behandelbar sind. Professor Christoph Fusch von der Universitätsklinik Greifswald und Mitglied der Kommission für Neugeborenen-Screening der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, hält diese Maßnahme aber zurzeit für eine "utopische Vision" mit fragwürdigem Nutzen.

    "Neugeborenen-Screening macht dann Sinn, wenn man Erkrankungen findet, die nicht selten sind, die behandelbar sind, und wenn wir eine einfache Methode haben, um sie festzustellen", betont Fusch. Im Rahmen des schon heute üblichen Screenings könne man bereits viele Erkrankungen erfolgreich identifizieren und behandeln: "Das was jetzt hier gefordert wird, ein genetisches Screening, halte ich zurzeit für eine utopische Vision, deren Nutzen meines Erachtens noch überhaupt nicht belegt ist. Ich halte die Gefahr, die von einer solchen Aktivität ausgeht, für nicht ganz klein."

    Schon heute werden alle Neugeborenen in Deutschland einem biochemischen Screening unterzogen. Dabei suchen Mediziner in 13 Screeningzentren nach einigen wenigen Erkrankungen, indem sie Blutproben analysieren, erklärt Fusch: "Wir suchen zirka sieben bis acht Krankheiten, aber wir suchen sie mit biochemischen Methoden. Wir machen hier keine Gentests, sondern wir schauen, ob ein bestimmter Wert - ähnlich wie Cholesterin beim Erwachsenen -, der diese Erkrankung anzeigt, erhöht oder erniedrigt gefunden werden kann. Nach diesem Test muss man dann gegebenenfalls weiter sehen, ob die Erkrankung wirklich vorliegt."

    Zu den Krankheiten, die so entdeckt werden können, zählt beispielsweise eine angeborene Unterfunktion der Schilddrüse, von der eines aus etwa 2000 Babys betroffen ist. Bei dieser Fehlfunktion der Schilddrüse kann die Gehirnentwicklung zurückbleiben. Schon ein Schilddrüsenfehler über einen Zeitraum von drei Wochen kann das Gehirn so weit schädigen, dass man es fast nicht wieder aufholen kann. Früh genug erkannt, ist die Behandlung aber mit der Einnahme von wenigen Mikrogramm Schilddrüsenhormon möglich, und das Kind entwickelt sich normal. "Es ist also ein Segen, dass wir das finden können", sagt Fusch. "Pro Jahr sind es immerhin ein paar Hundert Kinder in Deutschland, die wir durch dieses Programm vor einem solchen Schaden bewahren."

    Dass genetische Tests, wie sie der EU-Forschungskommissar einführen will, einen ähnlichen Wissensvorsprung bewirken können, bezweifelt Fusch aber stark: "Sie bieten jetzt keinen Fortschritt. Wir haben mit diesen biochemischen Methoden für die Erkrankungen, die wir suchen, eindeutig gute Mittel in der Hand. Ich sehe zurzeit keine Notwendigkeit, genetische Tests zu machen, um Erkrankungen früher zu identifizieren, die wir behandeln können. Die Datenlage ist einfach zu dünn, um zu wissen: Welchen Krankheitswert hat eine bestimmte genetische Ausstattung, wenn ich die habe. Das ist nur für einige wenige Störungen belegt, und was hier gemacht wird, ist ein Overkill."

    [Quelle: Ralf Krauter]