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Genauere Fangzahlen
Überfischung wurde unterschätzt

Viele Fischbestände sind überfischt. Das meldet die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO immer wieder. Das Bild, das die FAO zeichnet, ist schon düster. Doch kanadische Forscher berichten jetzt, dass die wirklichen Fangzahlen noch viel höher sind als die offiziellen Zahlen der UN-Organisation.

Von Monika Seynsche | 20.01.2016
    Zwei Dorsche liegen nach dem Anlanden in Heiligenhafen (Schleswig-Holstein) in einer Kiste mit Eis.
    Eine Fischart nach der anderen wird überfischt, meinen die kanadischen Forscher. (picture alliance / dpa / Markus Scholz)
    "Wir haben zwölf Jahre lang Daten zu den Fangzahlen gesammelt, die normalerweise nicht von den Staaten erhoben und an die FAO weitergegeben werden. Jedes Land der Welt ist verpflichtet, einmal im Jahr seine Fangzahlen bekannt zu geben. Aber dabei wird nur die industrielle Fischerei abgefragt. Nicht berichtet werden natürlich die Fangzahlen der illegalen Fischerei. Aber auch die Zahlen der Hobbyfischer und derjenigen, die für ihren eigenen Konsum fischen, werden der FAO nicht mitgeteilt."
    Der Fischereibiologe Daniel Pauly von der Universität von British Columbia in Vancouver hat ein Mammutwerk koordiniert. Dabei suchten 400 Autoren in fast allen Ländern der Welt nach den tatsächlichen Fangzahlen.
    "Nehmen wir zum Beispiel einen Pazifikstaat, eine der kleinen Inseln dort. Wir wissen, dass die Einwohner viele Korallenrifffische essen. In den offiziellen Statistiken tauchen aber nur Fangzahlen für Thunfische auf. Also fragten wir uns, wo bekommen wir Zahlen zur Korallenrifffischerei her?"
    Fangzahlen um 50 Prozent höher?
    An diesem Punkt begann für die Forscher ein wahres Detektivspiel.
    "Sie finden vielleicht Anthropologen oder Entwicklungshilfeorganisationen, die einige Jahre lang auf den Inseln gearbeitet haben, und Daten zu den Fangzahlen erhoben haben. Diese Daten liefern uns wichtige Ankerpunkte, zwischen denen wir dann interpolieren können. Für jede Fischerei der Welt gibt es solche indirekten Daten, mit deren Hilfe sich die fehlenden Fangzahlen rekonstruieren lassen. Die Weltgesundheitsorganisation etwa verfügt über Abschätzungen zum Nahrungsmittelverbrauch einzelner Länder. So erfahren Sie, ob die Leute dort Fisch essen. Und wenn der nicht importiert wird, muss er regional gefangen worden sein."
    So entdeckten Daniel Pauly und seine Mitautoren, dass die globalen Fischfangzahlen seit 60 Jahren deutlich unterschätzt werden:
    "Wir schätzen, dass die wirklichen Zahlen um etwa 50 Prozent höher liegen als die offiziellen Fangzahlen der FAO. Man könnte meinen, das ist gut. Denn es zeigt, dass die weltweite Fischerei wesentlich bedeutender ist als angenommen. Aber gleichzeitig zeigen unsere Ergebnisse auch, dass die Fangzahlen sehr stark sinken, und zwar seit 1996. Und darin unterscheiden sich unsere Daten deutlich von denen der FAO, die davon ausgeht, dass die Fangzahlen mehr oder weniger gleich geblieben sind. Dass heute weniger Fische gefangen werden, liegt nicht daran, dass die Länder ihre Fischereiflotten verkleinert haben. Das konnten wir überprüfen. Es liegt daran, dass die Länder zu viel fischen, und eine Fischart nach der anderen überfischen."
    Einfluss des Klimawandels
    Vor den Küsten vieler großer Industrienationen seien die Bestände schon lange erschöpft, sodass die Fischereiflotten immer entlegenere Weltregionen aufsuchten. Es gäbe zwar einige Nationen, die ihre Fischbestände erfolgreich wieder aufgepäppelt hätten, sagt Pauly, aber gerade den afrikanischen Ländern fehlten dafür die Mittel und die Durchsetzungsfähigkeit gegenüber Fischereiflotten aus Industrienationen. Und zu der Überfischung geselle sich gerade noch ein weiteres Problem: der Klimawandel.
    "Stellen Sie sich ein Boot in Indonesien vor, dass die Garnelen oder Fische, die es normalerweise fängt, nicht mehr findet. Liegt das an der Überfischung oder daran, dass es den Arten hier zu warm geworden ist? Solche Folgen des Klimawandels werden unseren Ergebnissen zufolge gerade in tropischen Ländern zu einer weiteren Abnahme der Fangzahlen um 30 bis 50 Prozent führen."
    Daniel Paulys Einschätzung nach wird die Kombination von Klimawandel und Überfischung die globalen Fangzahlen in Zukunft immer weiter sinken lassen.