Mittwoch, 15. Mai 2024

Archiv


Gender Attack

Den Anfang machen die Klassiker. "Frauen und Mädchen, auf zur Arbeit!", Heroinen des sozialistischen Aufbaus in Arbeiterhosen und mit Kopftuch. Solche Bilder entstanden 1951 in Ungarn und überall im Ostblock. Zusammen mit tschechischen Stahlarbeitern von 1974 hängen sie völlig gleichberechtigt über dem Eingang zur Ausstellung Gender Check.

Von Beatrix Novy | 28.12.2009
    Daneben ein noch farbenfroherer Schinken: Glühender Hochofen, dies ist ein Funken sprühender Mittelpunkt industrieller Arbeit, aber auf der Reling steht kein Muskelweib im Overall, sondern: ein halb nacktes Pin-up-Girl. Der Titel eine Art Eingeständnis: "Eine Frau bleibt immer eine Frau". So ironisiert stellte sich das Geschlechterthema schon vor dem Mauerfall, 1987, dar.

    Überhaupt ist die Wende von 1989 kein plötzlicher Bruch, der etwa jederzeit auf den ersten Blick erkennen ließe, wann ein Kunstwerk in dieser Schau entstanden ist. Da ist die altmeisterlich stilisierte Dreiergruppe vor weißer gerasterter Hausfassade, ein Arbeiter mit Schlägermütze hat seinen Arm über die Schulter einer kräftigen Arbeiterin gelegt, beide schauen streng ein sichtlich unemanzipiertes westliches Dämchen mit Sonnenbrille, Collier und Handtäschchen an, das etwas abwesend aus dem Bild blickt. Auf dem West-Kleid kann man Aufschriften wie "Wall Street" erkennen. Ein Bild aus Polen, gemalt 1950, inhaltlich platte Propaganda, aber stilistisch ein hübscher Vorläufer der neorealistischen 80er.

    Insgesamt zeigt die Ausstellung nur wenige solcher Beispiele einer Staatskunst, die das egalitäre Frauenbild der guten Kameradin und Genossin feiert. Die Realität war so und doch anders. Frauen arbeiteten durchgängig und wurden entlohnt wie Männer; aber nach der Arbeit ging es nicht ganz so gleichberechtigt weiter. Die Klagen über die doppelte Belastung hörten in den Ostblock-Staaten jedenfalls bis zum Schluss nicht auf, deshalb stand 1987 über einem Treffen von Feministinnen aus Ost und West das Motto: Proletarier aller Länder, wer wäscht eure Socken?
    "Mutti kommt heim", ein in heiteren Farben getupftes DDR-Idyll, aber wie Mutti sich im Durcheinander des Kinderzimmers zu ihrem Sprössling beugt, scheint ihr der Tagesablauf schwer auf dem Buckel zu lasten – und der Haushalt wartet. 40 Jahre später sitzt eine andere, diesmal polnische Mutti mit ihrem Söhnchen auf dem Schoß in einer aufgeräumten Wohnung. Sie ist jung, blond und trägt ein Supermann-Kostüm: Im überhohen Selbstanspruch westlicher Frauen, attraktiv, erfolgreiche und tolle Mutter zu sein, haben sich West und Ost angeglichen.

    Die Karaoke-singenden Business-Frauen wirken auch nicht so richtig glücklich – mehr hat dieses litauische Video aus dem Jahr 2001 kaum zu sagen. Es erinnert gar nicht mehr an die unerhört freche und fantasiereiche Wohnzimmer- und Underground-Kunst der Ostblockjahre, in denen es um die Rettung von Privatheit und Selbstbestimmung ebenso ging wie um die Freiheit von Körper und Sexus. 1979 setzte sich die kroatische Künstlerin Sanja Ivekovic während eines Staatsbesuchs sich auf den Balkon, las scheinheilig ein Buch und masturbierte. Scharfschützen, die sie unfreiwillig im Visier hatten, veranlassten schließlich die Polizei, alle Bewohner in die Häuser zu scheuchen. Fotosequenzen waren beliebt als Kunstform, Tomislav Gotovac, ebenfalls Kroate, zeigte 1962 einen halb nackten Mann, der im verschneiten Wald die westliche Frauenzeitschrift "Elle" liest – unter sozialistischen Umständen fast schon "queer".

    Künstlerinnen und Künstler sahen in den Jahren nach 1989 die emanzipatorisch verteidigte Körperlichkeit mit der marktwirtschaftlichen , konsumistischen Liberalität des neuen Ost-Kapitalismus konfrontiert – und mit neuen Spielarten des Patriarchats. Das Video "Wie ich den estnischen Feminismus erfand" montiert alte Propagandafilme von jugendbewegten Aufmärschen mit Pornoszenen. Eine bittere Provokation; spielerischer nimmt es die Dokumentation, in der eine Künstlerin einen West-Ehemann zwecks Aufenthaltsgenehmigung suchte, fand und wieder verließ. Ganz schräg und sehr komisch ein Monumentalgemälde aus Armenien, auf dem Frauen mit frisch entdeckter Lust erschrockene Männer überwältigen. Rollenbilder kehren sich in alle Richtungen, Geschlechterthemen, die im Osten besonders stark verdrängt waren, wie Homosexualität, entfalten sich in den 90er-Jahren, wenngleich nicht sicher ist, ob die beiden vollbekleideten Frauen, die auf einem Video den Standard-Geschlechtsakt simulieren, nicht doch nur eine sarkastische Porno-Parodie liefern.

    Drei Etagen, Hunderte von Bildern, Skulpturen, Fotos, Videos – eine überwältigende Fülle, bei der das Dokumentarische über durchgängigem Qualitätsanspruch steht, was gar nichts macht. Die Frage ist, warum etwas so Abwechslungsreiches so dröge und publikumsfremd "Gender Check" heißen muss.