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Genehmigung mit Auflagen

Das Bundesverfassungsgericht hat "ja" zum Vertrag von Lissabon gesagt; allerdings nur unter bestimmten Bedingungen: So muss auf nationaler Ebene die parlamentarische Integrationsverantwortung gestärkt werden, um einem Demokratiedefizit entgegenzuwirken.

Heribert Prantl im Gespräch mit Peter Kapern | 30.06.2009
    Peter Kapern: Guten Abend, meine Damen und Herren! Ein Tag fast wie nach einer wichtigen Wahl: Alle fühlen sich als Sieger, alle sehen sich bestätigt - zum einen die Kläger gegen den Lissabon-Vertrag, der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler zum Beispiel, der von einem Riesensieg sprach. Bestätigt sah sich auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier als Verteidiger des Lissabon-Vertrags. Er freute sich über die Klarheit, die das Bundesverfassungsgericht heute hergestellt habe, und glücklich und zufrieden schließlich auch die Bundeskanzlerin.

    Angela Merkel: "Der Vertrag von Lissabon hat eine weitere wichtige Hürde genommen. Ich freue mich darüber sehr, das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt: Das Grundgesetz sagt Ja zum Vertrag von Lissabon. Das Bundesverfassungsgericht gibt uns auf, dass wir die Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat noch verbessern sollen. Und so können wir dann noch vor Ende der Legislaturperiode die Voraussetzungen schaffen, und ich hoffe, dass das gelingt, dass dann auch die Ratifizierungsurkunde hinterlegt werden kann. Ein guter Tag für den Lissaboner Vertrag."

    Kapern: Und damit auch ein guter Tag für Europa und für Deutschland? Wer darf sich nun tatsächlich bestätigt fühlen und was steckt drin in diesem voluminösen Urteil der Karlsruher Richter? Wir wollen versuchen, Schneisen zu schlagen in das Dickicht der Urteilsbegründung und der Reaktionen darauf, und zwar mithilfe von Heribert Prantl von der "Süddeutschen Zeitung", der uns aus München zugeschaltet ist. Guten Abend, Herr Prantl!

    Heribert Prantl: Guten Abend, Herr Kapern!

    Kapern: Herr Prantl, hat der heutige Tag einen eindeutigen Sieger?

    Prantl: Ja, der Sieger ist die Demokratie in Europa, ganz eindeutig, und der Sieger sind die Rechte des Bürgers, die Partizipation, sind die Abgeordneten, die die Demokratiedefizite schließen müssen. Und ein Sieger ist, denke ich, auch das Bundesverfassungsgericht, das ein glanzvolles Urteil geschrieben hat; ein Urteil, das sicherlich in die Geschichte - nicht nur des Verfassungsgerichts, sondern auch der europäischen Demokratie - eingehen wird.

    Aber es ist schon ein bisschen verwunderlich, wenn man die Ausschnitte hört, die Zitate: Jeder fühlt sich als Sieger, wo ja nun sehr deutlich wird, dass das Bundesverfassungsgericht einen ganzen Rucksack voller Einschränkungen macht. Und wenn gesagt wird, der Lissaboner Vertrag hat jetzt die Hürde übersprungen, wie es die Kanzlerin sagt: Der hat die Hürde noch gar nicht übersprungen.

    Das Bundesverfassungsgericht packt diesen Vertrag in einen ganzen Rucksack vollauf, und ich würde nach diesem Tag eher sagen, es wandelt den Lissaboner Vertrag in eine Art Karlsruher Vertrag um, weil es diesen Lissaboner Vertrag sehr einschränkend interpretiert und - wie gesagt - eine ganze Menge von Auflagen macht, die jetzt in einem Gesetz, in einem nicht ganz einfach zu schreibenden Gesetz noch verwirklicht werden müssen.

    Kapern: Schauen wir doch einmal, Herr Prantl, was die Karlsruher Richter gesagt haben, wie sie geurteilt haben. Annette Wilmes hat einen Beitrag darüber verfasst:

    Das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dann kommt das Aber: Die Ratifikationsurkunde darf erst hinterlegt werden, wenn das Begleitgesetz, das die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union regelt, geändert worden ist. Denn Bundestag und Bundesrat müssen mehr Beteiligungsrechte erhalten. Der Senatsvorsitzende und Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle:

    "Das Grundgesetz sagt Ja zum Lissabon-Vertrag, verlangt aber auf nationaler Ebene eine Stärkung der parlamentarischen Integrationsverantwortung. Der Senat ist zuversichtlich, dass die letzte Hürde vor der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde schnell genommen wird."

    Das Urteil ist 150 Seiten lang. Entsprechend lang war auch die mündliche Begründung durch die Richter Andreas Voßkuhle und Udo Di Fabio, der die Verhandlung als Berichterstatter im Wesentlichen vorbereitet hatte. Eine Begründung, die Voßkuhle unter eine verfassungsrechtliche Kernaussage stellte:

    "Am Anfang steht Europa. Aus der Präambel unter Artikel 23 Absatz 1 Grundgesetz folgt der Verfassungsauftrag zur Verwirklichung eines vereinten Europas. Das Grundgesetz will eine internationale Friedensordnung und eine europäische Integration. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit wird daher ergänzt durch den Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit."

    Das Grundgesetz erlaubt ausdrücklich die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen und eine Verlagerung von politischer Herrschaft auf internationale Organisationen.

    Es erlaubt allerdings nicht den Beitritt zu einem europäischen Bundesstaat, denn die souveräne Staatlichkeit der Bundesrepublik muss gewahrt bleiben. Der Vertrag von Lissabon aber sei nicht als verdeckter Beitritt zu einem europäischen Bundesstaat zu werten, sagte Voßkuhle. Deutliche Worte in Richtung der Vertragsgegner, die immer wieder den drohenden Bundesstaat Europa heraufbeschworen hatten. Aber bei aller Europafreundlichkeit des Grundgesetzes setzt es dennoch der europäischen Integration deutliche Grenzen.


    "Die grundgesetzliche Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union reicht nur so weit, wie die in Artikel 79 Absatz 3 Grundgesetz geschützte Verfassungsidentität nicht betroffen ist."

    Hier nämlich gilt die Ewigkeitsgarantie: Bestimmte Grundsätze dürfen nicht verändert werden - Artikel 1, Schutz der Menschenwürde, und Artikel 20, Verfassungsgrundsätze und Widerstandsrecht, gehören dazu. Die Bundesrepublik Deutschland ist laut Grundgesetz ein demokratischer und sozialer Bundesstaat, das soll sie auch bleiben, auch in der Europäischen Union.

    Gleichzeitig sei die grundgesetzliche Ausgestaltung des Demokratieprinzips offen für das Ziel, Deutschland in eine internationale europäische Friedensordnung einzufügen, sagte Bundesverfassungsrichter Andreas Voßkuhle.


    "Die deutsche Verfassung ist auf Öffnung der staatlichen Herrschaftsordnung für das friedliche Zusammenwirken der Nationen und die europäische Integration gerichtet. Weder die gleichberechtigte Integration in die Europäische Union, noch die Einfügung in friedenserhaltende Systeme wie die Vereinten Nationen bedeuten eine Unterwerfung unter fremde Mächte. Es handelt sich vielmehr um freiwillige, gegenseitige und gleichberechtigte Bindung, die den Frieden sichert und die politischen Gestaltungsmöglichkeiten durch gemeinsames koordiniertes Handeln stärkt."

    Unabhängige Staaten in einem befriedeten Raum. Der Staat weder ein Mythos noch Selbstzweck, sondern historisch gewachsene, global anerkannte Organisationsform einer handlungsfähigen politischen Gemeinschaft. Die Europarechtsfreundlichkeit war ein wichtiges Thema in der ausführlichen Urteilsbegründung, aber genauso deutlich wurde gesagt, dass die Mitgliedsstaaten Herren der Verträge sind und bleiben.

    Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob Rechtsakte der europäischen Organe und Einrichtungen sich an die ihnen im Wege der begrenzten Einzelermächtigung eingeräumten Hoheitsrechte halten. Vor allem aber müssen die Mitgliedsstaaten ausreichenden Raum für die Gestaltung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse behalten. Als besonders sensiblen Bereich nannte Bundesverfassungsrichter Voßkuhle hier das Strafrecht; außerdem:


    "Die Verfügung über das Gewaltmonopol, polizeilich nach innen und militärisch nach außen, die fiskalischen Grundentscheidungen über Einnahmen und gerade auch sozialpolitisch motivierte Ausgaben der öffentlichen Hand, die sozialstaatliche Gestaltung von Lebensverhältnissen sowie kulturell besonders bedeutsame Entscheidungen etwa im Familienrecht, Schul- und Bildungssystem und über den Umgang mit religiösen Gemeinschaften."

    Und damit das alles funktioniert, müssen eben dem Bundestag und dem Bundesrat mehr Beteiligungsrechte eingeräumt werden. Was durch die Veränderung des Begleitgesetzes geschehen soll. Das ist auch ein klares Signal an die Bundestagsabgeordneten, die in der Vergangenheit europäische Vorgaben mehr oder weniger abgenickt und ohne Diskussion durchgewinkt hatten, nach dem Motto, sie hätten keinen Einfluss. Das war zum Beispiel beim Gesetz über den europäischen Haftbefehl der Fall. Dabei ist ja gerade eine der Stärken des Vertrags von Lissabon, dass nicht nur das Europäische Parlament, sondern auch die nationalen Parlamente gestärkt werden. Dieser Verantwortung sollen und wollen sich die Parlamentarier jetzt stellen.

    Kapern: Annette Wilmes war das über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Herr Prantl, schließen wir gleich da an: Ist das Urteil nicht in Wahrheit eine Watschen für den Bundestag und den Bundesrat, schließlich werden die ja, was ihren Einfluss auf grundlegende europapolitische Entscheidungen angeht, von den Karlsruher Richtern jetzt gewissermaßen zum Jagen getragen?

    Prantl: Natürlich ist das eine gewaltige Watschen. Ich meine, was hier gesagt wird, ist: Abgeordnete, entsinnt euch endlich eurer Pflichten. Und was hier der Kern des Urteils ist: Es ist eigentlich eine Verurteilung des Bundestags zu mehr Demokratie. Und dass der Bundestag, dass der Bundesrat, dass die demokratischen Mitwirkungsorgane auf diese Weise vom Verfassungsgericht zum Jagen, zur Kontrolle getragen werden, ist schon ein Armutszeugnis.

    Und wenn vorhin im Beitrag angesprochen worden ist auf den europäischen Haftbefehl - es war ja damals die Verhandlung über diesen europäischen Haftbefehl eine Sternstunde der Peinlichkeit, als die deutschen Abgeordneten in der Verhandlung bekannt hatten, sie hätten zwar die Rechtsstaatswidrigkeit des europäischen Haftbefehls erkannt, aber keine andere Wahl angeblich gehabt als zuzustimmen. Sie hätten sich normativ unfrei gefühlt, sie hätten eigentlich gewollt, aber nicht anders gekonnt, und deswegen hätten sie die Richter angerufen, sozusagen um Hilfe bittend.

    Jetzt sagen die Richter ganz klar und ganz laut und ganz markant: Ihr braucht die Hilfe aus dem Verfassungsgericht nicht, ihr müsst es selber machen. Und ob sie wirklich wollen, weiß man nicht, aber das Verfassungsgericht sagt zu den frei gewählten Abgeordneten: Nehmt endlich eure Kontrollrechte wahr; sagt nicht einfach, da kann man nichts machen, Europa muss irgendwie weitergehen.

    Das Gericht sagt, Europa muss künftig ins Deutsche übersetzt werden, und die Abgeordneten werden lernen müssen, sozusagen mit den europäischen Sternen zu hantieren. Das Urteil verlangt von ihnen, Europa nicht einfach den Bürokraten in Brüssel, dem Europäischen Rat und dem EU-Parlament zu überlassen, das ...

    Kapern: Heißt das denn, Herr Prantl ...

    Prantl: ... Urteil verurteilt den Bundestag wirklich.

    Kapern: Heißt das denn im Umkehrschluss, dass die Mitglieder der Bundesregierung nur noch eingeschränkt handlungsfähig sind, wenn sie denn künftig zu Verhandlungen nach Brüssel reisen?

    Prantl: Na ja, sie haben natürlich zu beachten, was hier der Bundestag zu sagen hat und welche Rechte dem Bundestag das Verfassungsgericht einräumt. Sie können nicht gegen das Votum des Bundestags handeln.

    Wenn die Europäische Union neue Kompetenzen haben soll, wenn die Kompetenzen erweitert werden sollen, wenn neue Abstimmungsmodalitäten eingeführt werden sollen, wenn auf heiklen Gebieten die Europäische Union Gesetze machen will, dann muss vorher der Bundestag gefragt werden und Ja sagen, sonst kann die Bundesregierung nicht Ja sagen.

    Kapern: Das Verfassungsgericht hat dem Europaparlament heute präzise die demokratischen Defizite aufgelistet, vor allem, dass der Grundsatz "One man, one vote" dort nicht gilt. Ist das Europaparlament damit endgültig zum Parlament zweiter Klasse abgestempelt?

    Prantl: Nein, gar nicht. Ich denke, das Verfassungsgericht sagt sehr genau, wie viele demokratische Defizite das Europaparlament auffüllen kann. Es sagt mit Recht, die Rechte sind gestärkt worden, die Defizite können abgemildert werden, aber sie können nicht vollkommen beseitigt werden, weil schlichtweg die Wahlgleichheit und einige Wahlgrundsätze beim Europaparlament gegenwärtig nicht erfüllt sind.

    Diese Defizite, die bestehen bleiben - bei aller begrüßenswerten Stärkung der Rechte des Europaparlaments -, müssen von den nationalen Parlamenten aufgefüllt werden. Dieses Nebeneinander, dieses Miteinander von Europaparlament und nationalen Parlamenten ist zur Gestaltung der Demokratie in Europa wichtig. Und der Satz gehört für mich zu den großen Fundamenten und den wichtigen Dingen dieses Urteils.

    Kapern: Nun äußern sich ja Politiker so, als sei es nur eine reine Formsache, dieses geforderte Begleitgesetz unter Dach und Fach zu bringen noch bis zur Bundestagswahl. Sie haben eben gesagt: Nein, das wird schwierig. Karlsruhe hat da neue Hürden aufgerichtet. Welche?

    Prantl: Ich meine, nun sind in diesem Urteil Seite, was weiß ich, 90 bis 130 unendlich viele Details drin, die genau sagen, bei welchen Gebieten der Bundestag gefordert ist. Wenn man sich erinnert, wie schwer es schon war bei diesem bisher ziemlich mickrigen Begleitgesetz, sich unter den Partei zu einigen, kann ich mir nicht vorstellen, dass das so wahnsinnig leicht werden wird, hier Einigung zu erzielen.

    Aber der Bundestag steht unter gewaltigem Druck. Natürlich schaut ganz Europa auf den Bundestag, ob er es schafft in der alten Legislaturperiode, die Dinge noch hinzukriegen. Wenn jetzt alle parlamentarischen Geschäftsführer sagen, wir strengen uns gewaltig an, ist es begrüßenswert. Aber ein wenig muss man schon schmunzeln, wenn man sich gleichzeitig überlegt, beim Wahlgesetz, wenn es darum geht, ob man bei dem Gesetz, das die Wahlen zum Bundestag regelt, was alle sagen, ist schrecklich kompliziert, das können wir unmöglich schaffen in so kurzer Zeit. Hier beim Begleitgesetz zum Lissaboner Vertrag soll es angeblich gehen.

    Wenn es wirklich so ist, zeigt es dann doch: Wenn der politische Wille da ist, kann man auch ein Gesetz machen. Ich würde mir wünschen, dass es passiert, und zwar dass die Regelungen und die Voraussetzungen des Verfassungsgerichts genau erfüllt werden. Ob es der Bundestag schafft, wird man sehen.

    Kapern: Das wird man sehen, aber selbst dann wäre der Weg zum Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags noch nicht frei. Volker Finthammer aus Brüssel:

    Erst vor knapp zwei Wochen haben die Staats- und Regierungschefs in Brüssel den Weg für ein mögliches Ja der Iren bereitet. In einem Protokoll, das aller Voraussicht nach mit dem Beitritt Kroatiens von allen Mitgliedsländern als Bestandteil des Vertrages abgesegnet werden soll, werden die Iren Zugeständnisse bei der Neutralität und Unabhängigkeit in Verteidigungsfragen, dem Abtreibungsrecht und der Steuerpolitik gegeben, die die Zustimmung der Bürger in einem zweiten Referendum erleichtern soll.

    Nicht nur um diese Ausnahmen wurde in Brüssel gerungen, die Kunst der Vereinbarung bestand auch darin, eine Form zu finden, die nicht erneut von allen Staaten ratifiziert werden muss. Für den irischen Regierungschef Brian Cowen sind die Festlegungen ausreichend, um ein zweites Referendum im Oktober zu wagen.


    "Wir haben die Zusagen bekommen, die wir haben wollten, und ich bin zuversichtlich, dass wir nun eine solide Basis haben, um die irische Bevölkerung erneut zu befragen und damit die Voraussetzungen für eine Ratifizierung zu schaffen, damit Europa einen Schritt weiter kommt. Und ich denke, dass wir das Referendum im Oktober abhalten können."

    Die Zuversicht in Irland wächst. Die Wirtschaftskrise hat zu einem deutlichen Stimmungsumschwung geführt, und die Europaskeptiker von Libertas, des Millionärs Declan Ganley, der vor einem Jahr noch die Anti-EU-Kampagne in Irland erfolgreich zum irischen Nein geführt hat, sind bei den Wahlen zum EU-Parlament nicht mehr zum Zuge gekommen. Ganley selbst hat bereits seinen Abschied aus der aktiven Politik erklärt.

    Allein der europaskeptische tschechische Präsident Václav Klaus hat unmittelbar nach dem EU-Gipfel gefordert, die als Ergänzung zum Vertrag von Lissabon geplanten Garantien für Irland auch dem tschechischen Parlament zur Abstimmung vorzulegen. Das erscheint vor dem Hintergrund der in Brüssel einstimmig getroffenen Vereinbarung jedoch als fraglich. Nichtsdestotrotz ließ Klaus in einem Radiointerview erkennen, dass er sich mit seiner Unterzeichnung der tschechischen Ratifikationsurkunde Zeit lassen werden.


    "Ich will dazu nur sagen, dass die Iren noch nicht erneut abgestimmt haben. Auch Polen und Deutschland haben den Lissabon-Vertrag noch nicht unterzeichnet. Also bin ich nicht der letzte Mohikaner, der gegen alle kämpft. Aber ehrlich gesagt besteht noch die Möglichkeit, dass eine gewisse Zahl der Abgeordneten und der Senatoren bei uns erneut eine Klage gegen den Vertrag von Lissabon beim Verfassungsgericht einreichen können, um das zu klären. Deshalb werde ich mich bestimmt nicht beeilen."

    Dagegen gibt sich der polnische Präsident Lech Kaczyński, dessen Unterschrift unter dem Reformvertrag auch noch fehlt, mittlerweile ganz pragmatisch. Wenn die Iren und das deutsche Verfassungsgericht den Vertrag akzeptieren würden, werde er die noch fehlende Unterschrift Polens unter den Vertrag nicht mehr länger hinauszögern, versicherte der nationalkonservative Politiker.

    Die Zielmarke lautet jetzt, den Ratifizierungsprozess bis zum Jahresende abzuschließen. Denn am Horizont schwelt eine neue Gefahr, die viele für schwer kalkulierbar halten: Sollte es in Großbritannien zu Neuwahlen kommen, noch bevor der Reformvertrag in Kraft getreten ist und die konservativen Tories gewinnen, was angesichts der jüngsten Spesenskandale als sicher gilt, dann könnte die neue britische Regierung versucht sein, den Prozess doch noch zu stoppen. Im EU-Parlament führen die britischen Tories seit wenigen Tagen eine eigene europaskeptische Fraktion an, der auch die Vertragskritiker aus Tschechien angehören.


    Kapern: Volker Finthammer aus Brüssel. Herr Prantl, ein Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags rückt also näher, aber wie steht es um den selbst definierten Anspruch? Macht der Vertrag die EU demokratischer, effizienter, transparenter, jetzt erst recht nach dem Karlsruher Urteil?

    Prantl: Ich denke, jetzt erst recht ist das richtige Wort. Jetzt erst recht - der Karlsruher Spruch ist ein Versuch, dem Vertrag eine ganz große demokratische Infusion zu geben. Es ist der Versuch auch, Europaskeptiker zu Europafreunden zu machen, indem man wirklich die Demokratie ausbaut. Der Bundestag dann letztendlich in der europäischen Interpretation, auch die nationalen Parlamente anderer Staaten werden die europäische Entwicklung viel intensiver als bisher demokratisch begleiten müssen. Das ist eine große Errungenschaft, und diese Auslegung und dieses Urteil aus Karlsruhe wird demokratische Strahlkraft haben weit über die deutschen nationalen Grenzen hinaus.

    Kapern: Heribert Prantl von der "Süddeutschen Zeitung".