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General der freien Menschen

US-Marineinfanteristen besetzten mit einer kurzen Unterbrechung von 1912 bis 1932 Nicaragua. Ziel war es, die Option auf einen interozeanischen Kanal offen zu halten. Dagegen lehnte sich ein kleiner und als schüchtern beschriebener Mann mit einer Rebellenarmee auf.

Von Karl-Ludolf Hübener | 21.02.2009
    Augusto César Sandino wurde am 18. Mai 1895 in einem kleinen Dorf im nicaraguanischen Department Masaya als unehelicher Sohn einer Landarbeiterin geboren. Armut und Not begleiteten ihn in seiner Kindheit. Später verdingte er sich auf Bananenplantagen, in Zuckerfabriken in Honduras, an der Atlantikküste von Guatemala und auf den Erdölfeldern Mexikos. Er schuftete als Knecht, als Schlosser, Straßenfeger, Landarbeiter und Handwerker.

    Doch die Lage in seinem bettelarmen Heimatland ließ ihm keine Ruhe: Schon im 19. Jahrhundert hatten die USA mehrfach in Nicaragua interveniert, um sich die Option auf einen interozeanischen Kanal offen zu halten - und zum Schutz ihrer Privatinvestitionen. Ihre Interessen wahrten sie auch später mithilfe ihrer Marines. Diese hielten Nicaragua besetzt und schützten mit ihren Bajonetten gefügige Regierungen. Ein Hindernis für den internen Frieden, wie Sandino später sagen sollte:

    "In Nicaragua wird kein Friede herrschen, solange es nicht für alle Gerechtigkeit, Freiheit, Land, Arbeit, Schulen und Hospitäler gibt. Und weil in Nicaragua der größte Teil des Volkes davon nichts hat, führen wir diesen Krieg, um Tyrannei und Abhängigkeit, Unterdrückung und Ungerechtigkeit zu überwinden."

    Am 1. Juni 1926 kehrte Sandino in sein Heimatland zurück. Eduardo Galeano, der Autor der "Offenen Adern Lateinamerikas":

    "Er war ein sehr hartnäckiger Mann. Das musste er schon sein, um den Kampf allen Widerständen zum Trotz durchstehen zu können. Er hatte allerdings Glück: das Volk von Nicaragua stimmte mit seinen Absichten und Taten überein. Deshalb konnte er, fast spontan, ohne lange zu diskutieren, eine militärische Struktur mit ziviler Unterstützung aufbauen."

    Soldaten und Generäle Sandinos waren Bauern und Handwerker. An der Seite des "Verteidigungsheeres der Nationalen Unabhängigkeit" kämpfte eine internationale Brigade.
    Hauptquartier des "Verteidigungsheeres" war El Chipote, so der nicaraguanische Schriftsteller Sergio Ramirez, ...

    " ... jener von Engpässen verteidigte Berg, zu dem kein bekannter Weg führte und der immer in Wolken eingehüllt ist. Hier lagen die Strohhütten von Sandinos Soldaten, die Werkstätten zur Ausbesserung von Waffen und zur Herstellung von Munition, hier gab es Schneidereien und Schuhmachereien."

    Obwohl die "Yankees" Luftwaffe und Artillerie gegen die "Banditen", wie sie die Männer Sandinos nannten, in Stellung brachten, mussten sie Niederlage auf Niederlage einstecken. Sie hatten es mit der ersten Guerilla auf dem amerikanischen Kontinent zu tun. Und damit mit einer gezielten Taktik des Hinterhalts, der Überraschungsangriffe und der raschen Rückzüge. Zu den zahlreichen Tricks gehörten auch die "Chöre der Engel", Kriegswaisen. Ihre Aufgabe war ...

    " ... Schreie auszustoßen, jede Art von Geräuschen und Büchsen oder Feuerwerk zu machen – ein Kinderchor, dessen Stimmen ohrenbetäubend in den Bergen widerhallte, entweder um eine viel größere Anzahl von Soldaten vorzutäuschen, oder aber, um Verstärkung herbeizurufen."

    Zermürbt zogen sich die Besetzer 1932 aus Nicaragua zurück. Sandino sah sein wichtigstes Ziel erreicht. Er unterzeichnete ein Friedensabkommen mit der Regierung in Managua. Wenig später legten seine Kämpfer die Waffen nieder. Am 21. Februar 1934 kam der 38-jährige Sandino in die Hauptstadt. Bei Präsident Sacasa beschwerte er sich zum wiederholten Mal über Massaker der Nationalgarde unter der Landbevölkerung. Danach hielten Nationalgardisten seinen Wagen an. Seine ihn begleitenden Generäle Estrada und Umanzor und er selbst wurden an einen geheimen Ort in der Nähe des Flughafens von Managua verschleppt und mit Maschinengewehrsalven niedergemäht. Angeordnet von Anastasio Somoza.

    "Die Marines waren zwar abgezogen, aber sie blieben letztlich, denn sie setzten an ihre Stelle Anastasio Somoza ein. Dieser befehligte die Nationalgarde. Daraus entwickelte sich der bewaffnete Kern der Diktatur der Familie Somoza, die sich über viele Jahre hinweg an der Macht verewigen sollte."

    Erst 45 Jahre nach der Ermordung des "Generals freier Menschen", im Juli 1979, stürzte die Sandinistische Befreiungsfront die Dynastie der Somozas.