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Generalabrechnung mit der Zivilisation

Nur eine theatrale Fast-Food-Zubereitung eines mächtigen Romanwerks: Jan Neumanns Versuch, Spielsituationen für Alfred Döblins ungeheuer kraftvolle Sprache in seinem Monumentalwerk "Amazonas" zu entwickeln, endet als Theater-spielerei.

Von Hartmut Krug | 02.10.2010
    Das Foyer ist als kleines Museum gestaltet: In Vitrinen sieht man Bodenschätze und das Modell einer Dampfmaschine, und an den Wänden Zeichnungen exotischer Pflanzen. Zwei verkleidete Frauen in schwarzen Anzügen, Perücken auf den Köpfen und Bärtchen unter der Nase, erzählen uns einen indianischen Mythos vom erfolgreichen Krieg der Frauen gegen die Männer. Und weil Döblins kraftvoller Text von Aggression handelt, geraten die beiden Erzählerinnen sogleich in einen Wettbewerb des gegenseitigen Überschreiens.

    Dann wird man in den Theaterraum gebeten, der mit Landkarten an den Wänden und Bibliothekstischen, an denen der Zuschauer zwischen den Schauspielern Platz nehmen kann, als Lesesaal gestaltet ist. Wenn eine Leserin nach Büchern über Indianer fragt, auch sie ist natürlich deutlich verkleidet, denn Regisseur Jan Neumann zeigt uns in jeder Szene, dass hier Theater gespielt wird. Was uns nicht wirklich überrascht, weil dieses Stilmittel im modernen Theater derzeit arg in Mode ist.

    Wenn also diese Frau pantomimisch, weil um Ruhe gebeten, nach einem Buch über Indianer fragt, dann amüsiert sich der Zuschauer über ihr kabarettistisches Gehabe, während die Bibliothekarin und ihre drei männlichen Kollegen schnell in erklärende Aggressivität geraten. Die Männer bedrängen sie sogar mit sexuellem Balzverhalten.

    In seiner historischen Romantrilogie "Amazonas", entstanden zwischen 1935 und 1937 im Pariser Exil, erzählt Alfred Döblin in epischer, sprachgewaltiger Breite von der gewaltsamen Kolonisierung Südamerikas. Der Autor nannte sein Werk selbst eine "Art epische Generalabrechnung mit unserer Zivilisation", und der hier als Regisseur tätige Schauspieler und Autor Jan Neumann hat den Roman als Material für eine fast dreistündige Theaterversion genommen. Erzählt wird vom verheißungsvollen Goldland und den traurigen Tropen, und immer geht es um Tod und Gewalt, um Kolonisierung durch die leichenweißen "Dämonen".

    Zwar habe ich in den letzten Jahren in Vorbereitung von Theater-Uraufführungen unendlich viele Filme gesehen und etliche vielhundertseitige Romane gelesen, denn das Theater bemächtigt sich mit vampiristischer Gier immer stärker filmischer und epischer Vorlagen. Doch dieses Mal habe ich meine Kritikerhausaufgabe nicht gemacht, habe das Döblinsche Werk nicht gelesen.

    Dass die Aufführung nur eine theatrale Fast-Food-Zubereitung eines mächtigen Romanwerkes ist, wird mir dennoch schnell deutlich Wie immer bei Romandramatisierungen treten die Schauspieler als Erzähler auf, um aus dem epischen punktuell ins vorzeigende Verkleidungsspiel zu fallen.

    Zwar bin ich immer wieder fasziniert von Döblins rauschhaft kraftvollen Texten, doch der Spielastik der fünf Darsteller schaue ich eher mit amüsiertem Ärger zu. Denn Neumanns Inszenierung bebildert mit Gute-Laune Szenen aus einer Trilogie, zu der Döblin schrieb: "Der Abgesang dieses Südamerikawerkes kann nicht umhin, die furchtbare, trostlose, brütende Verlorenheit, die nachbleibt, zu zeichnen."

    Am Maxim Gorki Theater aber werden Slapstick und Kalauer, aufdringliche Symbolhaftigkeit, Crossgender-Besetzung aus leeren Gaggründen und ironische Klischeedarstellung von Indianern geboten. Da bauen die Schauspieler nach der Pause für die Geschichte einer Jesuitenrepublik in Paraguay rohe Holzbänke für die Zuschauer und sprechen diese als die Schwarzen oder die Dunklen an, die mit christlicher Lehre in einer ökonomisch-effizienten Gesellschaft zur Arbeit angehalten werden.

    Jan Neumanns Versuch, Spielsituationen für Döblins ungeheuer kraftvolle Sprache zu entwickeln, endet als Verkleinerung eines großen Romans zur Theaterspielerei. Da wird ein Kommunikationsversuch zwischen einheimischem Führer und europäischem, auf seine Weise kolonisierendem Jesuitenpater zur albernen, gestisch überdrehten Zappelei. Und es wird die darstellerisch peinliche Vergewaltigung einer Frau mitten zwischen dem Publikum mit dem "coolen" Allerweltsmittel des "Aus der Rolle Tretens" und der Bemerkung beendet: "Hör doch auf, das will doch keiner sehen."

    Immerhin wird deutlich, wie der Untergang der Jesuitenrepublik aus weltpolischen Gründen zustande kam, auch wenn Döblins großes Thema, Akkulturation als eine Fremdheitserfahrung, nur vage umspielt wird. Döblin hat 1937 die Auflösungserscheinungen der modernen Gesellschaft erschreckend beschrieben. "Es gibt nichts, was uns hält, man treibt so dahin", schrieb er. Jan Neumanns Bühnenversion des Romans allerdings ist nur ein handwerklich durchaus geschicktes Beispiel dafür, wie man einen Roman nicht für die Bühne gewinnt.