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Generation ausgebeutet

Zu viele Betriebe sehen in Praktikanten einen kostengünstigen Ersatz für reguläre Arbeitskräfte. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbunds und der Hans-Böckler-Stiftung. DGB-Vize Ingrid Sehrbrock fordert klare Abgrenzungen zwischen den beiden Beschäftigungsformen, um Missbrauch zu bekämpfen.

Ingrid Sehrbrock im Gespräch mit Manfred Götzke | 04.05.2011
    Manfred Götzke: Ist das der Standardfall in der Generation Praktikum, mitarbeiten wie ein normaler Festangestellter für null Euro Monatslohn? Zu dieser Frage hat heute der deutsche Gewerkschaftsbund eine Studie veröffentlicht, und Ingrid Sehrbrock ist die Vizechefin des DGB. Frau Sehrbrock, Sie haben ja speziell untersucht, unter welchen Bedingungen Praktikanten arbeiten, die schon einen Uni-Abschluss in der Tasche haben? Arbeiten die auch vornehmlich für lau?

    Ingrid Sehrbrock: Ja, es gibt beides sozusagen, dass sie für lau arbeiten, und es gibt auch, dass sie schlecht bezahlt werden – es gibt auch gut bezahlte Praktika, aber die sind eher in der Minderheit. Es ist eher so, dass ein Praktikum auch ein finanzielles Risiko ist für diejenigen, die das machen.

    Götzke: Eine Fragestellung war ja auch, was machen die Praktikanten, die schon einen Abschluss haben, im Betrieb genau? Werden die ausgebildet oder machen die den ganz normalen Betriebsablauf mit – was war da das Ergebnis?

    Sehrbrock: Ja, das Ergebnis ist ganz eindeutig, dass ein Großteil der jungen Leute – weit über 70, fast 80 Prozent – voll in den Betriebsablauf integriert sind, Praktika sollten aber noch so was wie eine Ausbildung ein, und das ist leider häufig so nicht der Fall. Es scheint eben so zu sein, dass Betriebe Praktikanten durchaus sozusagen als günstige Alternative zu einem voll qualifizierten Beschäftigten ansehen – die jungen Leute sind sehr engagiert, sie sind motiviert, sie sind leistungsfähig und man kann sie auch wieder schneller loswerden.

    Götzke: Die Praktikantin, von der wir da gerade gehört haben, die sagte ja, die Erfahrung sei wichtig, die sie machen kann, auch wenn sie kein Geld dafür bekommt. Ist das Selbstausbeutung?

    Sehrbrock: Ja, wir wissen, dass junge Leute, die heute ein Studium abschließen, in der Regel schon viel Praktika gemacht haben, und viele haben auch schon nebenbei gejobbt. Also von daher kann man nicht sagen, sie haben eigentlich keine Erfahrung. Und ich sage mal, diese Erfahrung zu sammeln, ohne Geld dafür zu bekommen, das können sich natürlich auch nur junge Leute leisten, deren Eltern sie unterstützen, deren Partner sie unterstützen, denn das kostet ja alles Geld. Wer diese Unterstützung nicht hat, muss natürlich sehen, wie er finanziell über die Runden kommt. Und im Übrigen finde ich schon, dass Betriebe, die junge Leute beschäftigen, dann auch eine entsprechende Vergütung für diese Leistung, die da erbracht wird, auch zahlen sollen.

    Götzke: Wenn das nicht geschieht, was würden Sie empfehlen – lieber kein Praktikum machen?

    Sehrbrock: Ja, wir finden, dass die Praktika vor allen Dingen während der Studienzeit gemacht werden sollen und dass man nach dem Studium möglichst eine feste Anstellung haben sollte. Man kann auch ein Traineeprogramm machen, es kann auch ein Volontariat sein, aber wir haben natürlich in den letzten Jahren, in den Zeiten der hohen Arbeitslosigkeit erlebt, dass junge Leute einen Fuß in der Tür haben wollten, und deshalb haben sie sich auf Praktika eingelassen. Und inzwischen ist das schon für viele fast selbstverständlich, dass man ein Praktikum macht, wenn man keinen Job bekommt, und das ist für uns eine sehr bedenkliche Entwicklung.

    Götzke: Was kann man denn dagegen tun?

    Sehrbrock: Wir finden, dass zum einen Praktika klar definiert werden müssen und sich abgrenzen müssen von regulärer Beschäftigung – das ist, denke ich, ganz wichtig, reguläre Beschäftigung muss auch regulär bezahlt werden. Praktika müssen klar definiert sein, die müssen zeitlich begrenzt sein, es muss klar sein, was da vermittelt werden soll, was das Ergebnis sein soll, es muss ein Zeugnis geben und es muss eine angemessene Vergütung geben – das, wie gesagt, möglichst während des Studiums. Und nach dem Studium sollten diejenigen, die ihr Studium abgeschlossen haben, auch mit einer ordentlichen Vergütung arbeiten können ...

    Götzke: Ein Mindestlohn für Praktikanten?

    Sehrbrock: Mindestlohn halte ich nicht für richtig, sondern Praktikanten, wenn sie denn ein Praktikum machen wollen nach dem Studium, dann sollten sie auch entsprechend der Leistung, die sie erbringen, vergütet werden. Da können sicherlich auch die Betriebs- und Personalräte dafür sorgen, dass es entsprechende Regelungen gibt. Es kann Betriebsvereinbarungen geben, in denen das geregelt wird, und Mindestlohn halte ich für falsch, sondern es sollte entsprechend der Qualifikation auch vergütet werden.

    Götzke: Sie haben in Ihrer Studie nicht untersucht, ob es die Generation Praktikum so überhaupt gibt, also wie viele Uni-Abgänger überhaupt erst mal ein Praktikum machen müssen. Warum nicht, weil es vielleicht doch nicht der Regelfall ist, wie Sie es suggerieren?

    Sehrbrock: Na ja, wir sagen ja gar nicht, dass es der Regelfall ist, aber wir sagen, dass Praktika eine etablierte Form inzwischen sind, nach dem Studium, und das war es über viele, viele Jahre in dieser Republik nicht. Das hat sicher mit der Arbeitsmarktsituation der Vergangenheit zu tun, aber es ist eben auch deutlich geworden für die Betriebe, dass das eine kostengünstige Alternative zu regulär Beschäftigten ist, und diese Entwicklung, die sehen wir schon mit Sorge. Das gehört übrigens in den Kontext dessen, was wir prekäre Beschäftigung nennen, und diese Beschäftigungsverhältnisse wollen wir natürlich angehen. Das kann nicht sozusagen die Entwicklung in der Zukunft sein. Gerade nicht in Zeiten, wo man schon über Fachkräftebedarf und Fachkräftemangel spricht.

    Götzke: Eben, also es gehören ja immer zwei dazu – einerseits ein Arbeitgeber, der vielleicht eine billige Alternative braucht, aber dann auch eben die Praktikanten. Wie kann man dieses Problem lösen?

    Sehrbrock: Die Praktikanten lassen sich wirklich darauf ein oder haben sich in der Vergangenheit darauf eingelassen, weil sie natürlich auch keine Lücke in der Biografie haben wollen. Wenn Sie heute Bewerbungen auf den Tisch kriegen, dann sehen Sie, dass junge Leute solche Zeiten überbrückt haben mit dem einen oder anderen Praktikum oder mit einer Kurzzeitbeschäftigung. Das ist auch ein Grund, weshalb sie sich darauf einlassen und sagen, besser ein Praktikum als gar nichts. Aber wir wollen ihnen auch noch mal bewusst machen, dass das weitreichende Konsequenten hat, und für viele hat es die ja sowieso, weil sie in dieser Zeit nicht abgesichert sind, abhängig sind von Eltern, von Verwandten, von Freunden und von Lebensgefährten. Und das, denke ich, kann nicht die Perspektive sein für eine junge Generation.

    Götzke: Brauchen wir eine Praktikantengewerkschaft oder einen Praktikantenobmann in großen Konzernen?

    Sehrbrock: Nein, das denke ich nicht. Da reicht es, dass sich die Betriebsräte darum kümmern oder die Personalräte. Und wenn es noch ganz junge Leute sind, dann kann das auch die Jugend- und Auszubildendenvertretung machen, das brauchen wir nicht separat. Da gibt es schon die Gremien, die sich darum kümmern.