Freitag, 29. März 2024

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Generation Broszat hat Nationalsozialismus kritisch untersucht

Der deutsche Historiker, Martin Broszat, der 1989 im Alter von 63 Jahren starb, wäre in diesem Herbst 80 Jahre alt geworden. Anlass für eine Tagung des Jena Center. Geschichte des 20. Jahrhunderts und der Friedrich-Schiller-Universität. Thema: Martin Broszat, der Staat Hitlers und die Historisierung des Nationalsozialismus.

Moderation: Rainer B. Schossig. | 18.12.2006
    Schossig: Über die Bedeutung von Broszats wissenschaftlichem Werk heute, seine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, sprachen Historiker wie Dan Diner, Hans Mommsen und Hans-Ulrich Wehler am Wochenende. Frage an den Gastgeber, Norbert Frei, den Historiker an der Friedrich-Schiller-Universität: Es ist ja kein Zufall, dass Sie das Thema Historisierung des Nationalsozialismus gewählt haben. Auch der Historikerstreit liegt ja gerade mal 20 Jahre zurück. Wird dieser denn heute anders bewertet als vor zwei Jahrzehnten?

    Frei: Nun, natürlich, der Pulverdampf hat sich verzogen, die Dinge werden nüchterner angesehen, aber gerade weil Sie sagen, der Zusammenhang zwischen Historisierungsforderung, so wie Martin Broszat sie erhoben hat in seinem berühmten Plädoyer für eine Historisierung des Nationalsozialismus im Jahre 1985, also 40 Jahre nach Kriegsende, und dem Historikerstreit, der erst ein Jahr danach in Gang gekommen ist und ein ganzes Jahr gleich gedauert hat, das ist ein bedingter Zusammenhang. Also wichtig ist und richtig ist, dass in der Mitte der achtziger Jahre die Frage, wie sollen wir künftig Geschichte des Nationalsozialismus schreiben, doch sehr umstritten geworden ist, und dass sich da auch Historiker sehr stark gegenüber gestanden haben, eine eher konservative und eine eher linksliberale Fraktion, so könnte man sagen, und diese Rechts-Links-Polarisierung, ich denke, das kann man als überwunden heutzutage beschreiben.

    Es geht insoweit wirklich eher darum zu verstehen, was denn unterschiedliche Historikergenerationen, die zu diesem Zeitpunkt ja noch in der Geschichtsschreibung des Nationalsozialismus aktiv gewesen sind, dazu beigetragen haben, und dann kann man sagen, dass die Generation Broszat ganz essentiell und ganz wesentlich zur kritischen und selbstkritischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Bundesrepublik beigetragen hat.

    Schossig: Herr Frei, Sie sprechen gerade von den Generationen. Heute ist ja, gerade auch weil inzwischen der Enkelgeneration der Täter, die in der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit eingetreten ist, wieder viel gerade von Relativierung oder auch Historisierung des Nationalsozialismus die Rede. Inwieweit kann sich denn auf Broszat berufen, wer solche Historisierung heute das Wort redet?

    Frei: Also es kommt sehr darauf an, was man unter Historisierung versteht. Wenn es darum geht, die NS-Zeit kritisch verstehend in den Blick zu nehmen, dann ist damit ja gar keine Apologie verbunden, wie manchmal mit dem Begriff der Historisierung verstanden wird, und gerade auch in den späten 80er, frühen 90er Jahren haben manche aus der Sicht von Broszat und derer, die ein ähnliches Konzept verfolgten, missbräuchlich in diesem Sinne Historisierung mit einer spezifischen Form von Normalisierung, wenn Sie so wollen, dann auch Verharmlosung, Beschönigung der NS-Vergangenheit zu verbinden versucht.

    Das ist ganz klar nicht das, wofür Broszat und das Institut für Zeitgeschichte damals stand und wofür auch diejenigen heute stehen, die sagen, nun müssen wir eben nicht nur die NS-Zeit selbst historisieren, das tun die Historiker jetzt seit 20, 30 Jahren mehr oder weniger selbstverständlich und gründlich und vielleicht heute noch etwas sensibler als damals, sondern es geht jetzt auch darum, dass wir die Geschichtsschreibung über den Nationalsozialismus, die ja fünf mal so lange ist wie die NS-Zeit selbst, dass wir diese Geschichtsschreibung und die Historiker des Nationalsozialismus, also die verschiedenen Historikergenerationen, die über den NS im Laufe der Jahrzehnte geschrieben haben, dass wir auch die historisieren, das heißt kritisch verstehend in den Blick nehmen und sehen, was die Leistungen, aber natürlich auch die spezifischen Blindstellen zu je unterschiedlichen Zeiten in dieser NS-Forschung gewesen sind.

    Schossig: Zwei Jahre vor seinem Tod hat Marti Broszat noch ein Buch veröffentlicht mit dem nachdenklichen Titel "Nach Hitler – der schwierige Umgang mit unserer Geschichte". Was ist es aus Ihrer Sicht, dieses Schwierige am Umgang mit der inzwischen ja historisch gewordenen NS-Ära heute?

    Frei: Ich denke, das, was es zu seiner Zeit auch gewesen ist, also zu Broszats Zeit. Dieser Titel "Nach Hitler" versammelt ja eine Vielzahl von kritischen Stellungnahmen, die immer auch auf die gesellschaftliche Diskussion über den Nationalsozialismus gleichsam aktuell Bezug nimmt, und insoweit hat sich dann doch so viel vielleicht doch nicht geändert, auch wenn der Abstand sehr viel größer geworden ist, auch wenn es im Grunde genommen nur noch die Generationen sind, die nach dem Nationalsozialismus geboren sind, die den heutigen Diskurs bestimmen, man denke etwa an die Generation der 68er, die vor allem jetzt als die Kinder des Bombenkrieges wahrgenommen werden und sich selber wahrnehmen. Also es gibt immer wieder Anlass, neu und anders auf diese Zeit zu blicken, und das können wir auch aus diesem von Ihnen zitierten Buch von Martin Broszat aus den späten 80er Jahren lernen.