Dienstag, 23. April 2024

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Generation Golf. Eine Inspektion

Am Tag danach. Der 28-jährige FAZ Redakteur Florian Illies auf dem Köln-Bonner Flughafen kurz vor dem Abflug nach Berlin. Am Tag zuvor: Auftritt in der Harald-Schmidt-Show. Zweck: Präsentation seines Buches "Generation Golf. Eine Inspektion". Tatsächlich fügen sich in dieser Generationsbestimmung von Florian Illies FAZ-Karriere, Buchkultur und Schmidt-Show bestens zusammen. Die Generation Golf, wie man auch im Buch erfährt, verehrt den Entertainer wie einen Guru. Illies:

Christoph Schmitz | 28.08.2000
    "Das ist natürlich ganz großartig, wenn man bei dem großen Erzieher der Generation Golf endlich einmal zu Füßen sitzt und sieht, daß er zurecht der Erzieher dieser Generation ist; denn er hat uns beigebracht, was Humor sein kann, was Humor ist, und daß man über alle lachen kann, wenn man nur den richtigen Anzug anhat. Daß er diesen Humor geprägt hat, ist schon unendlich viel, also das darf man nicht unterschätzen. Wir sind aufgewachsen in einer Humorwüste in Deutschland. Und die Not an der Humorfront hat er dann wirklich behoben. Und das ist ja das Tolle, daß er den Humor befreit hat aus der Ecke, in der er stand, also aus dem Kabarett, aus dem politischen Kabarett, daß alles nur lustig ist, wenn es ein bißchen linksliberal ist, also das ist auch sein Verdienst, daß er ihn befreit hat aus der Gleichsetzung von moralinsauren Politik-Kabarett-Lustigkeit und er auch Witze machen kann über Polen, ohne daß man gleich an den Polenfeldzug von 1939 denken muß."

    Um Witze und Witzeleien ist auch Florian Illies in seinem Buch nicht verlegen. Er hätte das Zeug als zeitsatirischer Gagschreiber für die Schmidt-Show engagiert zu werden und könnte es seinem zeitweiligen Redaktionskollegen, dem noch jüngeren Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre gleichzutun. "Generation Golf" ist die heiterste, erbarmungsloseste und ungefährlichste Inspektion, die es seit langem gegeben hat. Aber alles der Reihe nach. Worum geht's? Es geht um einen westdeutsche Typus, der zwischen den Baujahren .1965 und 1975 geboren wurde. Illies beschreibt dessen und - was hier identisch gesetzt wird - seine eigene Kindheit und Schulzeit, sein Freizeitverhalten, seinen Lebensstil in Sachen Essen und Trinken, Kleider und Wohnen, sein Verhältnis zu Politik, Sex und Geschichte. Dazu Illies: "Im Fernsehen und Radio nennt man uns ja die werbungsrelevante Altersgruppe, also das ist die Generation Golf, und die Industrie weiß, glaube ich, daß sie mit uns ihre besten Kunden hat, wir werden immer älter und reicher."

    Die Industrie, das Kapital, die Werbung - sie haben diese Generation auch voll im Griff. Illies bekennt es offen. Den Kindern nahm der Markt das kleinteilige Lego, das noch ein Mindestmaß an eigener Planungs- und Gestaltungsphantasie erforderte, sanft aus der Hand und setzte den wohlbehüteten Wohlstandskindern stattdessen die fertige Ritterburg und den fertigen Bauernhof von Playmobil vor. Womit nach Illies Ansicht auch schon der wertkonservative Zug dieser Generation vermittelt wurde. Wer am Montag in der Schule mitreden wollte, mußte am Samstag "Wetten daß..." mit Frank Elstner gesehen haben. Eine Frage von Sein und Nichtsein war die über den besseren Füller: Pelikan oder Geha, das ist hier die Frage. Später wurde der Ausstattungskosmos weiter ausdifferenziert: eher die blaue oder grune Barbour-Jacke anziehen? Mit dem Mannschaftssport, erst recht im Turnverein, ging's bergab, bergauf dagegen mit dem Einzelkampf im Fitneßstudio. Und wenn man sich dann Monate lang abgequält hat, steht am Ende der Tanz auf der Love Parade: "Jeder für sich, gut gebräunt, gut gebaut, durchtrainiert, tanzen um des Tanzens willen." Aber bitte keinen Sex - dieser intime Schmuddel der 68er auf schlammigen Wiesen in Woodstock. Illies:

    "Mein Leben, wie das von allen Generationsmitgliedern, ist ja dadurch ausgezeichnet, daß nichts passiert ist. Wir haben keine Biografie. Und das haben wir alle erlebt. Wenn wir ehrlich gewesen wären - was wir nie waren - hätten wir über uns gesagt, wir schämen uns eigentlich für das, was mit uns passiert ist - nämlich nichts bislang. Wir sind aufgewachsen in einem sehr behüteten westdeutschen Milieu, relativ sorgenfrei, angstfrei, und es war eigentlich alles gut, es ging immer weiter, man mußte sich nicht mehr politisch engagieren, es gab da einen Helmut Kohl, der alles abhielt, man beschäftigte sich immer mehr mit sich selber."

    Der Hedonismus dieser Generation ist von Werbung und PR förmlich umzingelt. Entsprechend stammen die Kapitelüberschriften des Buches aus der VW-Werbekampagne für den Golf IV. "Ätsch, wir haben mehr Golf als ihr" heißt die Überschrift zum Kapitel über den Markenkult und das Ende der Bescheidenheit. "Die Suche nach dem Ziel hat sich somit erledigt" heißt das letzte Kapitel: die Welt ist gut so wie sie ist.

    "Generation Golf" ist alles andere als eine sozialkritische Abhandlung. Theoretische Analysen und Interpretationen bleiben so gut wie außen vor. Illies hat vor allem Alltags-, Medien- und Modeerfahrungen zusammengetragen. Mit großer Sammellust hat er den Besitzstand einer Generation aufgelistet. Plaudernd stellt er ihn vor, wobei der Präsentationston changiert zwischen selbstbewußtem Bekenntnis, peinlichem Geständnis und dem provozierende Gestus von Naivität. Dazu der Autor:

    "Wir haben Lehrer gehabt, die uns warnten vor dem Atomkrieg, die uns warnten vor den Raketen, die bald kommen würden, und vor der täglich bevorstehenden Apokalypse. Wir haben vielleicht zeitweilig daran geglaubt, aber dann gemerkt, eigentlich mußte einem die Zeit zu schade sein sich zu ärgern und sich in Depressionen hineinzusteigern. Man geht dann lieber Tennis spielen oder ins Freibad und man sieht am nächsten Tag: Die Welt steht immer noch und es geht immer weiter. Es entstand daraus eine Ignoranz, eine Arroganz gegenüber diesen Vorgängern, die sich noch einbilden, man könne, wenn man auf die Straße geht, noch irgendwas verändern. Wir könnten ja auch auf die Straße gehen und sagen, hinter Klaus Bednarz und hinter Dieter Hildebrandt, da ist Muff von 1000 Jahren. Aber das ist uns alles schon viel zu anstrengend."

    Für die jungen Golfer ist die Mahnergeneration keine wirkliche Herausforderung mehr. Natürlich verkürzt Illies. Er will keine Gedankenschwere. Er will den leichten Stil, und er will vor allen Dingen immer unterhalten. Zu seiner Rhetorik gehört das flanierenden Aufzählen und das konsequenten Auslassen. Prägende private Geschichten, erotische Abenteuer läßt er ebenso außen vor wie eine umfassendere Bildungsgeschichte der von ihm beschriebenen Jahrgänge. Aber wenn die Welt immer noch steht: man wüßte doch gerne, wie sich diese Generation angesichts globaler Herausforderungen zu verhalten gedenkt. Illies:

    "Die Generation Golf glaubt immer noch, daß sie sich nicht darum kümmern muß, daß das die anderen für sie regeln, daß die sich schon genug drum sorgen. Und das ist natürlich eine unglaubliche Naivität, und die beginnt inzwischen fahrlässig zu werden. Es gibt ja verschiedene Formen von Irritation, und meine Irritation soll die von einer schleichenden Irritation sein. Daß man das einfach immer weiter liest und daß man wie so ein süßes Getränk immer weiter trinkt, und es geht einem gut und man trinkt immer weiter und irgendwann bekommt man eine gewisse Übelkeit. Man sieht dann, es kann ja nicht alles sein, aber es ist offenbar alles, was diese Generation ausmacht. Ich wollte es nicht zu plakativ machen und sagen: Generation Golf jetzt mal strammgestanden und nachgedacht, so kanns doch nicht weitergehen. Sondern ich wollte sagen, wir als Generation Golf sollten doch mal anfangen nachzudenken; denn wenn wir ehrlich sind, ist unser Leben bisher sehr wertefrei und inhaltsfrei abgelaufen."

    Und Florian Illies hat sich ja schon auf den Weg der Besserung begeben. Er fährt nicht mehr Golf. Er fliegt mit Lufthansa.