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Generation Porno

2007 warnte die Zeitschrift "stern" unter der Überschrift "Voll Porno" vor einer sexuellen Verwahrlosung der Kinder und Jugendlichen durch exzessiven Pornokonsum. Wissenschaftler bestätigen zwar, dass es für die Jugendlichen durch das Internet einfach geworden ist, an pornografische Inhalte zu kommen. Doch was dies bei der sexuellen und psychischen Entwicklung auslöst, bleibt umstritten.

Von Bettina Schmieding | 09.01.2010
    Petra Grimm: "Die männlichen Jugendlichen sagen, dass sie Pornografie konsumieren und das auch nicht ungewöhnlich ist, während die Mädchen sagen, dass sie das voll eklig finden, oder eher ablehnend Pornografie gegenüber stehen."

    Kurt Starke: "Ein großer Teil der Werbung in unserem Land ist rein pornografisch, entwürdigend vor allem für die Frau. Man sieht in der Werbung ständig irgendwelches Frauenfleisch und achtet nicht den Menschen, der dahinter steht. Ich denke, dass all dies auf die Heranwachsenden wirkt."

    Porno statt Lego, Generation Hardcore, Jugend im sexuellen Vollrausch – Journalisten sind sehr erfinderisch, wenn es darum geht, das Verhältnis der Generation 2.0 zum Sex in den Medien zu beschreiben. 2007 malte die Illustrierte "stern" unter der Überschrift "Voll Porno" das düstere Bild von Kindern und Jugendlichen, für die Analsex, Gruppenvergewaltigungen und Sado-Maso Spiele als Handyvideo zum medialen Alltag gehören. Seitdem jagt ein Bericht über die angebliche sexuelle Hemmungslosigkeit von Unterstufenschülern den nächsten. Im ZDF berichtet der 13-Jährige Gymnasiast Viktor zur besten Sendezeit.

    "Natürlich denkt man, wenn man das sieht, ist das jetzt echt, und dann möchte man das auch mal, die Erfahrungen darüber machen. Meine Mutter würde total ausflippen, wenn ich sagen würde 'Fotze', und bei uns ist das total normal, wenn man das so bezeichnet."

    Fakt ist, Schmuddelhefte, die sich die Jungs früher nur unter größten Schwierigkeiten besorgen konnten und die es dann unter noch größeren Schwierigkeiten galt, vor den Eltern versteckt zu halten, diese Heftchen sind Kinderkram für die jungen Checker von heute

    "Also, der nächste Porno ist im Internet nur ein paar Klicks entfernt. www ..."

    Aber wie hoch ist der Anteil der Heranwachsenden, der sich diese Filme im Netz anschaut? Die meisten haben schon Sex im Internet gesehen, lange bevor sie ihn das erste Mal selber haben, sagt die Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten. Die Medienwissenschaftlerin Prof. Petra Grimm sieht das ähnlich.

    "Wenn man die jüngsten Studie anschaut, die Bravo-Studie, die nach quantitativen Kriterien Jugendliche gefragt haben, da können Sie schon davon ausgehen, dass ein relativ hoher Prozentsatz der über 13-Jährigen auf jeden Fall schon mal im Internet mit Pornografie in Kontakt gekommen ist, nicht zufällig, sondern gezielt."

    Sexvideos auf dem Handy, Gangbang auf DVD und der Porno aus dem Internet. Für manche Heranwachsende ist das also nichts Außergewöhnliches mehr. Doch kann man daraus auf sexuelle Verwahrlosung schließen? Da werden die Wissenschaftler vorsichtig.

    Petra Grimm: "Es gibt keine direkten Wirkungsstudien, das ist schon aus forschungsethischen Gründen ein Problem. Wir können nur aufgrund dieser Studie, die wir jetzt zu Pornos im Web 2.0 durchführen, sagen, wie Jugendliche das selbst für sich einschätzen."

    Einig sind sich Medien- und Sexualwissenschaftler, die sich mit Heranwachsenden beschäftigen, dass ihre jugendliche Klientel Partnerschaft generell sehr hoch bewertet, nicht über mehr sexuelle Erfahrungen verfügt und auch nicht mehr sexuelle Beziehungen als vor dem Internetzeitalter pflegt. Prof. Kurt Starke, Leiter der Forschungsstelle Partner- und Sexualforschung in Leipzig.

    "Das ganze Thema Pornografie usw. nur auf so abseitige Dinge zu reduzieren und als Hauptgefahr für Jugendliche zu sehen, geht an der Jugendwirklichkeit völlig vorbei."

    Hinterlassen die Handyfilmchen und Internetclips also keine Spuren bei den Kindern und Jugendlichen? Doch, meint die Stuttgarter Medienwissenschaftlerin Petra Grimm. Pornos verfestigten längst überkommen geglaubte Geschlechtermodelle.

    "Sexuell aktive Mädchen würden eher unter dem Etikett Schlampe disqualifiziert werden, während Jungen, die sexuell aktiv sind, dann eher, wie wir das ausdrücken, eher unter den coolen Checker fallen. Hier finden unterschiedliche Bewertungen hinsichtlich 'gender' statt, die in diesem Fall zu Ungunsten der Mädchen gehen."

    Ob aus den Kindern von heute in zehn Jahren sexuell glückliche Erwachsene werden, das muss sich erst herausstellen. Von sexueller Verwahrlosung jedenfalls ist nach Meinung der Wissenschaftler zunächst erst einmal bei den meisten Heranwachsenden keine Spur.

    Petra Grimm: "Die Medien haben das selbst skandalisiert. Die Frage stellt sich eher, ob Jugendliche durch die Medien oder pornografische Inhalte davon abgehalten werden, Sexualität auf ihre eigene Art zu erleben. Also nicht sexuelle Verwahrlosung, sondern inwiefern werden sie davon abgehalten, ihre ich-bezogene Sexualität zu leben? Das wäre ein ganz anderer Aufhänger - aber nicht so skandalisierbar."