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Generation Praktikum auf der Straße

Praktikanten, ohnehin schon unterbezahlte Arbeitskräfte, leiden unter der Wirtschaftskrise. Und reguläre Arbeitsplätze sind für viele Uniabsolventen kaum noch zu finden. Deswegen riefen Gewerkschaften zum Praktikantenstreik in Berlin auf.

Von Peter Kessen | 09.10.2009
    "Hallo Freunde, liebe Passanten, liebe Praktikanten, liebe Gewerkschaftler. Ich freue mich, dass doch so viele gekommen sind, und dass ihr mich alle hören könnt."

    Die zentralen Forderungen der Demo an Politik und Unternehmen lauten: Ein neues Gesetz soll verhindern, dass Arbeitsplätze durch Praktika ersetzt werden und garantieren, dass Hochschulabsolventen von der Vergütung leben können.

    "Ich bin Constanze Leibinger, habe Musikwissenschaft und Nordamerikastudien studiert auf Magister. Ich habe letztes Jahr meinen Abschluss gemacht, auch mit sehr gutem Erfolg und bin dann für ein Jahr ins Ausland gegangen - Auslandserfahrung: sehr wichtig derzeit -, habe ein Auslandspraktikum gemacht, bin dann wiedergekommen und, was man jetzt bekommt, sind Praktikumsangebote, dort wird man genommen. Doch leider sind sie sehr, sehr oft unbezahlt. Ich finde, dagegen muss man was tun. Ich bin derzeit in dieser Situation und deshalb bin ich hier."

    Die Kerngruppe der Streikaktivisten besteht allerdings nicht aus notleidenden angehenden Akademikern mit Praktikumsfrust. Die Idee zum Protest entstand unter acht jungen Leuten, die das begehrte Creative-Village-Programm absolvieren durften. Ein halbes Jahr lernten die Auserwählten die Arbeitswelt bei der Tageszeitung "taz", der Werbeagentur Scholz und Friends und der Medienfirma Ufa kennen. Auch bei dieser Gruppe wuchs der Frust, erklärt der Streikaktivist und Student der Europawissenschaften, Tobias Singer:

    "Es hatte sich eine gewisse Frustration breitgemacht, denn ungefähr die Hälfte unserer Leute ist mit dem Studium fertig, auch auf Arbeitssuche gerade, und merkten einfach: Es ist nicht möglichst, richtig in den Arbeitsmarkt reinzukommen. Also, die Anfrage nach einem Job endet immer mit einem Angebot für ein Praktikum. Und damit war irgendwie bei vielen, ja nicht die negative Erfahrung mit Praktika selbst, aber einfach klar: So kann es einfach nicht weitergehen!"

    Die Streikgruppe befürchtet, dass die Wirtschaftskrise dazu führen könnte, dass notleidende Unternehmen die Qualität der Praktika verschlechtern könnten. Das möchte der neue Protest verhindern. Gegen diese verständlichen Ängste will die Aktion Fairplay vorgehen: Unter dem Dach des Magazins "Junge Karriere" garantieren mittlerweile 1300 Unternehmen faire Praktikumsbedingungen. Die "Junge Karriere"-Redakteurin Carola Sonnet hat registriert, dass sich in den letzten Monaten Praktikumsbedingungen nur leicht verschlechtert haben, sich aber auch mehr arbeitslose Akademiker aus Not um ein Praktikum bewerben.

    Trotzdem sieht der Verein Fairwork noch genug Probleme, um ein neues Gesetz mit Mindeststandards zu fordern. Diese Initiative trifft auf den Widerstand der deutschen Unternehmerverbände. So betont Kevin Heidenreich, Leiter des Referats Hochschulpolitik beim Deutschen Industrie und Handelskammertag (DIHK), dass die Mehrzahl der Unternehmen faire Bedingungen garantiere. Deswegen sieht Kevin Heidenreich kein generelles Problem.

    "Letztendlich ist es eine Sache der Branchen. Wir als Gesamtwirtschaft wollen uns da auch nicht raushalten, auch den Kontakt mit den Branchen suchen, denn dort muss angepackt werden. Die Unternehmen dort, die müssen sich überlegen, ob Geschäftsmodelle, die nur auf unbezahlte Praktika laufen, ob die überhaupt so funktionieren. Und vor allen Dingen, die Studierenden müssen sich überlegen, ob sie in Unternehmen arbeiten wollen, die nur so funktionieren können."

    Die Industrie und Handelskammern halten das existierende Berufsbildungsgesetz für ausreichend, um Ausbeutung zu verhindern. Ein praktikantenfreundlicheres Gesetz hält Heidenreich für schädlich: Allein die Unternehmen des DIHKs könnten bis zu hunderttausend Praktikumsplätze streichen - wegen der Bürokratie und höherer Kosten.

    "Es wird sich aber nichts ändern, wenn wir nicht bereit sind, die Missstände aufzuzeigen und uns aus unserer Opferrolle zu befreien. Und wer arbeitet, darf auch streiken."

    So steht die Streikgruppe in der Wirtschaftskrise vor besonderen Herausforderungen: Der Protest muss eine neue Regierung überzeugen, dass ein besseres Gesetz nottut und beweisen, dass sich die Lage der Praktikanten in der Krise verschlechtert. Dabei können die Initiatoren auch durchaus gegen die eigenen Streikunterstützer vorgehen: Die Elitepraktikanten des Global-Village-Programms erhielten auch für ihre Zeit bei der finanzschwachen Tageszeitung "taz" ein monatliches Salär von 400 Euro, während der normale Jung-"taz"-ler, trotz Nachbesserungswillens des Verlages, mit rund 250 Euro noch unter der Streikminimalforderung von 300 Euro liegt.

    Die Streikunterstützer von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin bieten einzelne Monatspraktika gar für 200 Euro an. Das ist allerdings immer noch mehr, als Wissensdurstige beim Deutschen Bundestag einstreichen. Das Hohe Haus zahlt keinerlei Vergütung.