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Generationen des Kinos

Die Fortsetzung einer beinahe schon epischen Liebesgeschichte, das Spätwerk eines 91-jährigen französischen Regie-Altmeisters und das Debüt eines Film-Neulings, dessen Streifen es nicht ins Kino geschafft hat. Das sind die neuen Filme.

Von Jörg Albrecht |
    "Before Midnight" von Richard Linklater

    "Also, wenn wir noch 56 Jahre miteinander verbringen wollen – was würdest du denn gern an mir ändern? ... Also wenn ich eine Sache an dir ändern könnte – das wäre, dass du damit aufhörst zu versuchen mich zu ändern."

    Die Idee ist nicht neu. Claude Lelouch hatte sie schon. Und auch Peter Bogdanovich. Aber noch nie ist sie so großartig, so gescheit und so geistreich umgesetzt worden wie unter der Regie von Richard Linklater. Es ist die Idee eines Filmemachers, seinen Protagonisten über viele Jahre, ja sogar über Jahrzehnte zu folgen. Als Linklater 1995 in "Before Sunrise" Julie Delpy und Ethan Hawke als Celine und Jesse aufeinandertreffen und einen gemeinsamen Tag in Wien verbringen ließ, war das der Grundstein für eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. "Before Midnight" ist der dritte Fortsetzungsfilm dieser mittlerweile 18 Jahre andauernden Liaison. Diesmal ist der Schauplatz Griechenland, wo Celine und Jesse ihre Sommerferien verbringen.

    "Hey, kann ich dich was fragen? – Klar. – Wenn wir uns heute zum ersten Mal in einem Zug treffen würden, fändest du mich dann attraktiv? – Natürlich. – Nein. Wirklich. Genauso wie ich jetzt bin. Würdest du mich ansprechen und mich fragen, ob ich mit dir den Zug verlasse? – Du stellst eine theoretische Frage."

    Wieder reden sie über die Vergangenheit, die Zukunft und vor allem über den Status quo ihrer Beziehung. Sie reden und reden und reden. Und das Erstaunliche: Man hört diesen guten alten Bekannten gern dabei zu, wie sie über die Liebe und das Leben philosophieren und wie sie über ihren Partner denken. Es sind die Fallstricke in einer jeden, auch noch so guten Beziehung, die sich in diesen wahrhaftigen, bewegenden und pointierten Gesprächen auftun und die "Before Midnight" zu einem komplexen und klugen Film machen. Herausragend!

    "Ihr werdet euch noch wundern" von Alain Resnais

    "Ich rufe Sie an, um Ihnen eine traurige Mitteilung zu machen. Ihr Freund Antoine d'Anthac ist gestorben. – Hallo? Hallo, Mathieu Amalric? … Hallo, Michel Piccoli? – Ja, das bin ich. – Ich rufe an, um Ihnen eine traurige Mitteilung zu machen. …”"

    Bei 13 französischen Schauspielern – unter ihnen Michel Piccoli, Hippolyte Girardot und Sabine Azéma – klingelt das Telefon. Die Stimme am anderen Ende der Leitung teilt ihnen den Tod des Theaterautors Antoine D’Anthac mit. Für sie alle war er ein Weggefährte und Freund. Denn sie alle sind einmal in seinem berühmtesten Stück Eurydike aufgetreten. Jetzt – so ist es der Wunsch des Verstorbenen – sollen sie sich in seiner Villa einfinden, um gemeinsam eine Entscheidung zu treffen. Sie werden sich einen Film ansehen, der eine junge Theatertruppe bei den Proben zu Eurydike zeigt. Die hat den Autor vor seinem Tod um Erlaubnis gebeten, sein Stück aufzuführen. Jetzt ist es an den eingeladenen Schauspielern darüber zu befinden.

    Während sie die Aufführung von Eurydike auf der Leinwand begutachten, merken die ehemaligen Darsteller, dass sie den Text immer noch beherrschen. Voller Begeisterung zitieren sie ihn und schlüpfen in ihre alten Rollen.

    ""Du hättest das Gemüse nicht nehmen sollen. Wir haben heute für 12,75 Francs recht anständig gegessen. ... Du siehst, wir haben heute für unsere 12,75 Francs besser gegessen ..."

    Wenn ein über 90-Jähriger einen Film dreht, in dem er Schauspieler versammelt, mit denen er häufig gearbeitet hat und die sich alle selbst spielen, dann hat dieser Film etwas von einer Abschiedsvorstellung. "Ihr werdet euch noch wundern" ist eine Liebeserklärung an das Theater, den Film und vor allem die Schauspielkunst. Und es ist die zentrale Frage des alten Meisters, ob ihn seine Kunst überleben wird und vor allem, ob er sich der Liebe seiner alten Freunde noch gewiss sein kann. Theatralischer, sentimentaler und egozentrischer, aber auch abgeklärter kann ein Alterswerk wohl nicht sein.

    "Ihr werdet euch noch wundern" von Alain Resnais: Empfehlenswert.

    "Arbitrage" von Nicholas Jarecki

    "Ich löse das Problem. Ich werde dir dein Geld geben. … Dich erwarten 1000 Jahre Gefängnis für betrügerische Übertragung von Vermögenswerten. ... Du musst nicht so mit mir reden. – Ich habe dir den Schlamassel nicht eingebrockt."

    Ein Mann unter Druck. Und nicht nur beruflich drohen die Dinge außer Kontrolle zu geraten für den von Richard Gere gespielten Finanzmanager Robert Miller, der kurz davor steht, seine Firma lukrativ zu verkaufen. Die scheinbar makellose weiße Weste des 60-Jährigen hat aber auch privat Flecken bekommen. Denn Miller führt ein Doppelleben. Seit Jahren unterhält er eine Beziehung zu einer jüngeren Frau. Als Miller einen Unfall verursacht, bei dem seine Geliebte stirbt, versucht er den Vorfall zu vertuschen.

    Richard Gere spielt diesen Bruder im Geiste von Gordon Gekko aus "Wall Street" eindrucksvoll. "Arbitrage" – ein Begriff aus der Finanzwelt, der das Ausnutzen von Preisunterschieden von gleichen Waren bezeichnet – ist seine große Bühne. Sein Miller wandelt sich vom eitlen, unerbittlichen Patriarchen, der bislang noch jedes Problem gelöst hat, zum an sich selbst zweifelnden, gejagten Charakter.

    Für ein Erstlingswerk ist "Arbitrage" mit seiner gelungenen Mischung aus Charakterstudie, Familiendrama und Finanzkrimi, der in Deutschland direkt auf DVD und Blu-ray erscheint, erstaunlich reif und vielschichtig.

    "Arbitrage" von Nicholas Jarecki: Empfehlenswert.