Donnerstag, 28. März 2024

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Generationenkonflikt ums Geld

Der Popkünstler Peter Licht hat ein altbekanntes Theaterstück von Molière gleichsam eingeatmet, um etwas Eigenes daraus zu machen. Das Stück heißt "Der Geizige". Das Ergebnis ist nun in der Inszenierung Jürgen Bosses am Berliner Gorki-Theater zu besichtigen.

Von Eberhard Spreng | 21.02.2010
    Er sitzt dick und breit an der Stirnseite einer großen Tafel, die fast die ganze Bühnenkonstruktion ausfüllt. Harpagon, das reiche Familienoberhaupt hat seine enge Welt fest in einem milde spöttischen Blick, und all die verstörten jungen Leute, die an den Längsseiten des Tisches herumlungern, unter Kontrolle. Stéphane Laimé hat einen rechteckigen Trichter gebaut, mit leicht spiegelnden Innenwänden und starker perspektivischer Verjüngung, in den das Publikum blickt wie in eine Vitrine mit kuriosen Fabelwesen: allesamt in Samtanzügen der Molièrezeit und teils opulenten Perücken. Es sind Karikaturen des Molièreschen Figureninventars, die in Jan Bosses Inszenierung in grotesker Übersteigerung Einblicke in die Ruinenwelt ihrer Gefühle gewähren.

    Sohn Cléante etwa, hier verniedlichend Cléanti genannt, ist in Robert Kuchenbuchs Darstellung ein quengeliger Faulpelz, der jede Hoffnung auf eine eigene Zukunft aufgegeben hat, und Elise, hier Eli, ist eine bis zur Erstarrung lethargische Schwester, die in seltenen emotionalen Ausbrüchen Wolken von Puder aus ihrer Perücke schüttelt. Die Bearbeitung des medienscheuen Popkünstlers tilgt weitgehend das Motiv der vom geizigen Vater durchkreuzten Heiratspläne der Kinder. Marianne, um die bei Molière der Streit von Vater und Sohn entbrennt, da beide sie heiraten wollen, ist hier die ständig Abwesende, von der es immer nur heißt, sie komme gleich noch. Fast alle Handlungsstränge der Molièreschen Charakterkomödie sind hier getilgt, um die Bühne frei zu halten vor allem für Monologe, in denen Harpagon seine Lebensphilosophie erläutert.

    "Warum wollen alle an mein Geld? Ja, warum machen die denn nicht ihre eigenes, warum machen die denn nicht ihr eigenes Leben? Mein Geld, das hab' ich doch reingewaschen, das hab' ich mit meiner Lebenszeit sich kristallisieren lassen. Da habe ich meine Lebenszeit verwandelt in Geld, und wenn die dann da dran wollen, dann wollen die an meine Lebenszeit."

    Es ist ein bravouröses Solo für Peter Kurth, der hier als Harpagon seinen egomanischen Geiz erklärt. Für ihn ist sein Geld diese reine Substanz, die nach allen wirtschaftlichen Transformationsprozessen als eine göttliche Materie zurückbleibt, als Essenz jenseits aller Gesellschaftlichkeit.

    Es geht diesem modernen Geizigen um die Sehnsucht nach dem Alleinsein, nach der Einsamkeit abseits sämtlicher zwischenmenschlicher Behelligungen und deshalb stimmt der Schauspieler dann auch am Ende seiner Ausführungen in einem Sprechgesang Peter Lichts Lied vom Absoluten Glück an, vom "absoluten Glück als der allerletzte Mensch an der Rampe zu stehen". Und es ist genau diese Erfahrung des befriedigten Narzissmus, um den hier wieder einmal der Generationenkampf der 68er und ihrer Kinder entbrennt.

    "Du bist nicht dran", hält Sohn Cléanti seinem Vater entgegen, wenn er Ansprüche auf die von ihm geliebte Marianne erhebt. Das arme Mädchen aus Molières Komödie manifestiert sich hier immer nur mit kurzen Anrufen aus Agadugu, und wenn sich die nachfolgende Generation gegen Ende der Aufführung das Gesicht schwarz schminkt, wird klar, dass sie ihre Zukunft in afrikanischen Armutsverhältnissen sieht.

    Dieser "Geizige", sehr frei nach Molière, mischt die grammatisch verstümmelte Jugendsprache mit kabarettistischen Soli, Kalauern und populärphilosophischen Exkursionen. Und in Jan Bosse Regie und allen voran Peter Kurths Spiel ist das immer wieder urkomisch und beklemmend grotesk zugleich. Das Stück zur Generationen- und Umverteilungsdebatte endet, wiederum Molières Happy End karikierend: Das Wunder wird einfach nur noch behauptete: Die Reichen dürfen ihr Geld behalten und die Armen bekommen auch ganz viel Geld.

    Und alle bekommen die Frau, die sie haben wollen. Mit einem schnoddrigen Federstrich beendet Peter Licht alle offenen mathematischen und emotionalen Rechnungen, und alles bleibt in Harpagons Spiegelkabinett beim Alten.