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Genetische Faktoren und Aids

Medizin. - Der eine bekommt schnell einen Schnupfen, und hat lange daran zu knabbern. Ein anderer wird gut und schnell damit fertig. Das gilt nicht nur für banale Atemwegsinfekte. Bei der Infektion mit dem Aids-Virus HIV haben Forscher beobachtet, dass bei einigen Menschen das Immunsystem das Virus ganz gut aus eigener Kraft in Schach halten kann. Der Grund, so haben sie herausgefunden, ist in der genetischen Ausstattung der Menschen zu finden.

    Von Martin Winkelheide

    Die Gene bestimmen nicht nur, wie groß wir sind, welche Augen- und Haarfarbe wir haben, sie bestimmen auch wie es auf unseren Zellen aussieht. Welche Strukturen die Zellen tragen, welche Gewebemerkmale also. Diese Gewebemerkmale – HLA genannt - spielen eine wichtige Rolle - nicht nur dann, wenn wir eine neue Niere brauchen und Ärzte ein passendes neues Organ für uns suchen, sagt Jan van Lunzen von der Universitätsklinik Hamburg Eppendorf.

    Diese Merkmale bestimmen aber auch ganz entscheidend mit, wie gut unser Immunsystem einen ganz bestimmten Erreger erkennen kann, oder auch nicht.

    In den letzten Jahren haben Aids-Forscher entdeckt: HIV-Infizierte mit ganz typischen Gewebemerkmalen schaffen es besser, das Aids-Virus in Schach zu halten. Sie bilden mehr Abwehrmoleküle gegen das Virus – Antikörper also – und die Immunzellen sind aktiver im Kampf gegen das Virus. Lunzen:

    Sie sind eher weniger bedroht, wenn auch infiziert. Diese Patienten sind zum Beispiel charakterisiert dadurch, dass sie in der Regel für einen langen Zeitraum auch ohne Therapie mit dem Virus in einem Gleichgewicht leben können.

    Der Vorteil: Sie brauchen lange Zeit keine Virus-Medikamente einzunehmen. Die Medikamente sind schließlich mit oft erheblichen Nebenwirkungen verbunden. Auf der andern Seite haben die Aids-Forscher in den letzten Jahren auch gesehen, dass bei Menschen mit einer anderen genetischen Ausstattung, die Infektion besonders schnell voranschreitet. Lunzen:

    Das sind gerade Patienten, die natürlich um so mehr von einer frühzeitigen Therapie profitieren, und bei denen wir dazu neigen, nach unseren Erkenntnissen, auch eine Therapie früher zuvor einzuleiten.

    Ob und wie schnell eine HIV-Infektion voranschreitet – das hängt also nicht nur davon ab, wie aggressiv die Viren sind, mit denen ein Mensch sich angesteckt hat. Forscher haben eine Fülle solcher genetischen Marker entdeckt, die helfen könnten, Vorhersagen über den Verlauf einer HIV-Infektion zu mache. Theoretisch zumindest. Bei der praktischen Nutzung dieser genetischen Information aber gibt es noch Probleme. Jürgen Rockstroh, Leiter der HIV-Ambulanz der Universitätsklinik Bonn:

    Es sind sicherlich schon über 30,40, 50 verschiedene genetische Marker. Und das macht glaube ich auch den Einsatz so schwierig, denn wenn einer einen genetischen Marker hat, der positiv für den Verlauf ist, dann schließt das nicht aus, dass er wiederum einen anderen genetischen Marker hat, der eher negativ ist. Und die Frage ist: wie kann man aus der Summe der vielen verschiedenen Marker, die es inzwischen gibt, genau ermitteln, wie nun der individuelle Verlauf ist.

    Einfache Gentests könnten allerdings heute schon den Ärzten bei der Medikamenten-Auswahl zu helfen. Die meisten HIV-Patienten vertragen das Aids-Medikament Abacavir zum Beispiel sehr gut. Bei einigen wenigen aber kann der Wirkstoff schwere, potentiell tödliche Nebenwirkungen auslösen. Rockstroh:

    Manche Leute mit bestimmten genetischen Voraussetzungen haben so genannte Hypersensitivitäts-Reaktionen – das ist so eine Art allergische Reaktion, und wenn man schon ein ganz bestimmtes Genmuster mitbringt, dann ist die Wahrscheinlichkeit einer solchen Reaktion eben hoch, und wenn man es gar nicht hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit fast Null. Also man kann damit wahrscheinlich das Risiko für entsprechende Nebenwirkungen besser abschätzen.

    Auf der anderen Seite lässt sich aus den Genen auch ablesen, wie gut bestimmte Medikamente vom Körper aufgenommen und verstoffwechselt werden, kurzum: wie gut oder wie schlecht welches Medikament bei welchem Menschen wirkt.

    Langfristig, glaubt Jan van Lunzen, werden bei der Aids-Behandlung – ähnlich wie heute schon in Ansätzen in der Krebstherapie - genetische Informationen helfen können, zumindest die Medikamente zu vermeiden, die wahrscheinlich besonders schlecht wirken. Lunzen:

    Das sieht so aus, dass man durch eine Analyse der genetischen Faktoren des Patienten bestimmte Medikamente identifizieren kann, die wahrscheinlich weniger wirksam sind als bei anderen, und damit in der Therapie eher vermieden werden sollten.

    Wird es also demnächst für HIV-Patienten, bevor sie die erste Tablette schlucken, eine genetische Untersuchung geben? Lunzen:

    Dieser kurze Gen-Check ist noch Science Fiction, muss man sagen, technisch ist es möglich.

    Aber eben noch sehr aufwendig. Und noch haben die Wissenschaftler große Schwierigkeiten, die Fülle genetischer Informationen sinnvoll zu sortieren. Also aus dem genetischen Profil eines Menschen die ideale Therapie abzuleiten. Für den Erfolg oder Misserfolg einer HIV-Behandlung sind neben den Genen auch andere Dinge verantwortlich, betont der Hamburger Infektiologe Jan van Lunzen:

    Beispielsweise so simple Sachen wie Einnahme von Tabletten, Tabletten-Akzeptanz, die Therapietreue der Patienten, das Verordnen von Medikamenten, die in den Tagesablauf der Patienten passen.

    Individuelle Faktoren also, die mit der genetischen Ausstattung eines Menschen wenig zu tun haben, für den Erfolg einer HIV-Therapie aber eine entscheidende Rolle spielen.