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Genetische Jahresuhr
Saisonal schwankt die Aktivität von Genen

Auf den Wechsel von Tag und Nacht ist der menschliche Körper gut angepasst, dafür sorgen auch bestimmte Gene. Doch auch die verschiedenen Jahreszeiten haben Einfluss auf die Aktivität unserer Gene. Das haben Wissenschaftler der Universität Cambridge in einer Studie gezeigt.

Von Magdalena Schmude | 13.05.2015
    Gelbe Ahornblätter leuchten am 06.12.2014 durch das flache Licht der Wintersonne im Fischerort Greetsiel.
    Mit dem Jahreszeitenwechsel - zum Beispiel vom Sommer in den Herbst - verändern sich auch unsere Gene - das haben Forscher aus Cambridge herausgefunden. (picture-alliance / dpa / Ingo Wagner)
    Frühling, Sommer, Herbst und Winter - zuverlässig folgt eine Jahreszeit auf die andere und gibt Tieren und Pflanzen einen saisonalen Rhythmus vor. Ob der Wechsel der Jahreszeiten sich auch in den menschlichen Genen widerspiegelt, wollten Chris Wallace und ihre Kollegen vom Diabetes and Inflammation Laboratory der Universität Cambridge wissen.
    Um saisonale Muster zu finden, werteten die Wissenschaftler Daten von über 16.000 Probanden aus, die an verschiedenen Studien in Europa, den USA, Australien oder Afrika teilgenommen hatten und suchten darin nach Genen, die im Verlauf des Jahres unterschiedlich stark aktiv waren, erklärt die Statistikerin Chris Wallace.
    "Wir haben uns Studien herausgesucht, bei denen die selbe Person zu verschiedenen Zeitpunkten im Jahr getestet wurde, weil wir so die Aktivität der Gene verfolgen konnten. Dabei haben wir herausgefunden, dass jedes fünfte Gen einem jahreszeitlich bedingten Muster folgt."
    Suche nach Mustern
    Für Chris Wallace keine wirkliche Überraschung, auch wenn sie nicht erwartete hätte, dass die Aktivität so vieler Gene von den Jahreszeiten abhängt. Um die Funktion der Schwankungen zu verstehen, suchten sie und ihre Kollegen in der Vielzahl der Gene nach auffälligen Mustern.
    "Wir haben uns die gemeinsamen Aufgaben angesehen, die diese Gene im Körper erfüllen und welche Rollen sie dabei jeweils spielen. So konnten wir eher ein Schema erkennen, als wenn wir uns jedes Gen einzeln angesehen hätten."
    Den Genen, die im Sommer stärker aktiviert sind, ließ sich keine gemeinsame Funktion zuordnen, doch für die Winter-aktiven Gene gab es ein klares Ergebnis:
    "Wir haben herausgefunden, dass die Gene, die im Winter stärker aktiviert waren, häufig eine Rolle für das Immunsystem spielen und an entzündungsfördernden Prozessen beteiligt sind. Wir können also sagen, dass im Winter entzündungsfördernde Umstände im Körper herrschen, während es im Sommer nicht so ist. Das war ein ziemlich klares Muster."
    Spuren im Fettgewebe und auf zellulären Ebenen
    Auch im Fettgewebe hinterlässt der saisonale Wechsel Spuren. Dort werden im Winter verstärkt Signalmoleküle produziert, die das Immunsystem anheizen. Und auch auf der zellulären Ebene konnten Chris Wallace und ihre Kollegen Unterschiede finden. So schwankte die Zahl und Art der Immunzellen im Blut der Probanden in Abhängigkeit von der Jahreszeit. Bei Menschen aus Gambia waren zum Beispiel in der Regenzeit zwischen Juni und Oktober die meisten Immunzellen vorhanden, dem Zeitraum, in dem die Gefahr an Malaria zu erkranken am höchsten und eine starke Immunabwehr von Vorteil ist.
    "Historisch betrachtet war das sinnvoll. Noch im 20. Jahrhundert waren Infektionskrankheiten die häufigste Todesursache. Es war also sehr vorteilhaft, im Winter ein entzündungsförderndes Milieu im Körper zu haben, wenn besonders viele Infektionskrankheiten auftraten, weil man schneller darauf reagieren konnte. Heute sind Infektionskrankheiten allerdings seltener, weil die Hygiene und die medizinische Versorgung vorangeschritten sind. Stattdessen sehen wir jetzt im Winter einen Anstieg bei der Diagnose von Autoimmun-Krankheiten oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die auch eine Folge des entzündungsfördernden Milieus sind."
    Darauf angemessen zu reagieren, hält Chris Wallace für eine komplexe Aufgabe, denn in die Regulation des Immunsystems einzugreifen ist nicht ohne Risiko. Einige praktische Ideen lassen sich aber jetzt schon ableiten.
    "Unsere Studie legt nah, dass wir im Winter besser auf Impfungen reagieren und die Wirkung dann stärker ist als im Sommer. Aber das muss man mit anderen Dingen abwägen. Denn niemand will mit seiner Impfung warten, bis die Grippe-Saison in vollem Gang ist."
    Blutzellen und die Jahreszeiten
    Woher die Blutzellen wissen, welche Jahreszeit gerade herrscht, ist noch unklar. Denkbar wären äußere Taktgeber wie Licht oder Temperatur, die ebenfalls mit den Jahreszeiten schwanken. Dafür spricht die Tatsache, dass die Aktivitäts-Muster bei Probanden auf der nördlichen und südlichen Erdhalbkugel exakt gegenläufig waren. Chris Wallace und ihre Kollegen wollen sich diese und andere regionalen Unterschiede noch genauer ansehen.