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Genetische Wurzeln der Menschheit

Anthropologie. - Die Wiege des Menschen stand in Afrika – dieser Meinung war schon Charles Darwin. Welche Wanderungsbewegungen der anatomisch moderne Mensch auf dem schwarzen Kontinent einschlug, bevor er nach Europa und Asien aufbrach, ist auch nach Jahrzehnten der Forschung noch immer nicht endgültig geklärt. Nun präsentiert ein US-amerikanisches Forscherteam im Fachmagazin "Science" die Sichtweise der Genetik.

Von Michael Stang |
    Mehr als 3000 Menschen aus Afrika, dem Nahen Osten und den USA nahmen freiwillig an der größten Erbgutstudie zum Ursprung der Menschheit in Afrika teil. Mithilfe der Daten von 121 afrikanischen, vier afroamerikanischen und 60 nicht-afrikanischen Populationen wollte Sarah Tishkoff von der Universität von Pennsylvania in Philadelphia die frühen Wanderungsbewegungen in Afrika nachzeichnen.

    "Wir konnten die untersuchten Gruppen auf 14 Urpopulationen in Afrika zurückführen, aus denen die heutige Menschheit hervorgegangen ist. Interessant dabei ist, dass fast alle untersuchten Populationen Vermischungen mit mehreren dieser Urgruppen zeigen."

    Weiter als bis zu diesen 14 Urpopulationen können die Genetiker nicht in die Vergangenheit schauen. Fest steht nur, dass alle nachfolgenden Gruppen von diesen Urahnen – in welcher Zeitabfolge auch immer - abstammen und lediglich eine Art Verwässerung und Neukombination dieser Gründerpopulationen sind, fügt Sarah Tishkoff hinzu. Das gilt nicht nur für Afrika. Weltweit nimmt die genetische Vielfalt mit zunehmender räumlicher Distanz zum schwarzen Kontinent immer stärker ab. Die neuen Daten können sogar den "Standort der Wiege der Menschheit" lokalisieren.

    "Wir konnten dadurch die frühesten Wanderungsbewegungen von Jäger- und Sammlerpopulationen in Afrika rekonstruieren. Der Ursprung liegt den Daten zufolge im südlichen Afrika an der Grenze zwischen Namibia und Südafrika. Die ersten Auswanderer aus Afrika hingegen konnten wir in Ostafrika auf der mittleren Höhe des Roten Meeres festmachen."

    Diese Ergebnisse stützen die so genannte Out-of-Africa-Theorie, die von einer großen Wanderungsbewegung von Afrika aus nach Asien und Europa ausgeht. Die frühen Einwanderer hätten demzufolge relativ schnell alle anderen dort lebenden Menschen verdrängt. Die Vorfahren der heutigen Afroamerikaner lebten hingegen an der Westküste Afrikas, von kleinen Einmischungen aus Europa abgesehen. Mithilfe der Studie sollten aber nicht nur Daten für Migrationstheorien gesammelt werden. Sie soll Grundlage zukünftiger medizinischer Forschungen sein, sagt Scott Williams vom Center for Human Genetics Research der Vanderbilt University in Nashville.

    "Nun können wir die genetischen Unterschiede in Afrika erstmals in großem Stil untersuchen. Das ist die Grundlage für zukünftige Projekte, wo wir nach bestimmten Genen suchen und schauen können, wie diese bei verschiedenen Krankheiten in den jeweiligen Populationen reagieren."

    Da je nach genetischer Ausstattung Menschen unterschiedlich auf Medikamente ansprechen, könnten die neuen Daten zukünftige Projekte bei der Suche nach maßgeschneiderten Wirkstoffen unterstützen. Das ist jedoch noch Zukunftsmusik. Sarah Tishkoff ist erleichtert, dass sie mit ihrem 10-Jahresprojekt zumindest Fakten für die Gegenwart geschaffen hat.

    "Es hat also schon sehr früh Wanderungsbewegungen gegeben, das ist unumstritten. Wir konnten aber nicht nur viele Übereinstimmungen sehen, die geografisch gut zusammenpassen, sondern die auch mit den Theorien der Linguisten übereinstimmen."

    Bislang war nicht klar, wie solche Wanderungsbewegungen stattgefunden haben. Dies lasse sich auch nach den Analysen nicht einheitlich beantworten, sagt Historiker Christopher Ehret von der Universität von Kalifornien in Los Angeles.

    "Bei den Vergleichen zwischen der Linguistik und Genetik hat mich überrascht, dass es nicht nur eine Ausbreitung von Sprachen gab, die mit einer sehr großen Vermischung der Gene einherging, sondern auch, dass sich Sprachen ausgebreitet haben, ohne dass sich die Bevölkerung genetisch verändert hat."

    Überraschend für Christopher Ehret war auch, dass Pygmäen und die weit entfernt lebenden - Khoisan sprechenden - San genetische Gemeinsamkeiten haben. Diesen Zusammenhang konnten Linguisten bislang nicht nachweisen. Die Autoren vermuten daher, dass die Pygmäen früher eine der durch ihre Klick- und Schnalzlaute bekannten Sprachen verwendet haben könnten. Damit konnten die Forscher des interdisziplinären Projekts auch zeigen, dass keine Disziplin die Vergangenheit allein rekonstruieren kann, sondern eine Fachrichtung die andere im Optimalfall ergänzen hilft.