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Genforschung
Revolutionäres Gen-Werkzeug mit Gefahrenpotenzial

Neue Gentherapien gegen Erbkrankheiten, Immuntherapien gegen Krebs - Das Gen-Werkzeug "Crispr/Cas" könnte bei der Bekämpfung vieler Krankheiten helfen. In ihrem Buch "A crack in creation" beschreibt die Entdeckerin Jennifer Doudna aber auch neue Gefahren, die durch "Crispr/Cas" auf die Menschheit zukommen.

Von Michael Lange | 19.07.2017
    Die amerikanische Biochemikerin Jennifer A. Doudna, Preisträgerin des Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preises 2016, posiert am 14.03.2016 im Casino der Goethe-Universität in Frankfurt am Main für den Fotografen. Der mit 100.000 Euro dotierte Preis gilt als eine der bedeutendsten Auszeichnungen, die in Deutschland auf dem Gebiet der Medizin vergeben werden. Foto: Alexander Heinl/dpa (zu dpa "Entwicklerinnen der «Genschere» erhalten Paul-Ehrlich-Preis vom 14.03.2016) | Verwendung weltweit
    Die amerikanische Biochemikerin Jennifer A. Doudna hat die "Genschere" "Crispr/Cas" entwickelt. (dpa / Alexander Heinl)
    In den Laboren vieler Biowissenschaftler ist nichts mehr wie es war. Eine einfache, präzise Genschere namens Crispr/Cas 9 hat die Welt der Wissenschaftler verändert und schafft ständig neue Möglichkeiten. Gemeinsam mit der Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier brachte die amerikanische Biochemikerin Jennifer Doudna den Stein ins Rollen.
    Wie sie Crispr/Cas entdeckte und wie Crispr/Cas ihr Leben veränderte, beschreibt sie sachkundig, lebendig und sehr persönlich in "A Crack in Creation", ein Riss in der Schöpfung.
    "Als unsere ersten Daten zeigten, dass wir die Genschere Cas9 exakt steuern konnten, war uns sofort klar, dass sich daraus eine neue Technologie entwickeln lässt."
    Experimente via Skype
    2011, in einem Café in Puerto Rico am Rande einer Tagung für Mikrobiologen traf Jennifer Doudna erstmals auf Emmanuelle Charpentier. "Eine elegante, junge Frau, zurückhaltend, intelligent und witzig." So beschreibt Jennifer Doudna ihre neue Kollegin.
    "Damals kannte ich lediglich eine Veröffentlichung von Emmanuelle. Darin las ich von ihren Ideen für die Funktionsweise von Crispr/Cas als Teil des Immunsystems von Bakterien. Gemeinsam entwickelten wir nun Pläne, wie wir dieses Rätsel im Labor lösen könnten. Ich als Biochemikerin und Emmanuelle als Mikrobiologin. Wir ergänzen uns hervorragend."
    Von nun an standen die beiden Forscherinnen und ihre Mitarbeiter in Dauerkontakt. Verbunden via skype planten der Tscheche Martin Jinek in Kalifornien und der Pole Krzyszof Chylinski in Wien ihre Experimente. Meist mitten in der Nacht auf Polnisch, da Chylinski nicht so gut Englisch sprach.
    In wenigen Wochen konnten sie die Funktionsweise der Genschere Crispr/Cas klären, so wie es ihre Chefinnen im Café geplant hatten: Eine RNA als programmierbarer Sucher, und Cas9 als enzymatische Schere, die sich von diesem Sucher leiten lässt. Aus reiner Grundlagenforschung entstand eine revolutionäre Methode, um Erbmoleküle schnell, einfach und gezielt zu verändern.
    "Die Methode eröffnet jede Menge Möglichkeiten und ist extrem nützlich."
    Chancen und Risiken
    In ihrem Buch lässt Jennifer Doudna ihrer Begeisterung freien Lauf. Neue Gentherapien gegen Erbkrankheiten, aber auch Immuntherapien gegen Krebs. Blutzellen lassen sich vor dem Aids-Erreger HIV schützen und Schweineorgane für die Transplantationsmedizin genetisch umbauen. Alles wird einfacher mit Crispr/Cas.
    Aber bei aller Euphorie sieht die Autorin auch neue Gefahren auf die Menschheit zukommen. Die Wissenschaftler besitzen nun ein Werkzeug, um die eigene Art nach persönlichen Vorlieben neu zu konstruieren. Crispr/Cas kann sogar ganze biologische Arten auslöschen - durch eine genetische Kettenreaktion, den sogenannten Gene Drive. Das könnte gefährlicher werden als alle bisherigen Eingriffe des Menschen in die Natur, warnt Jennifer Doudna. Eine Verantwortung, der sich die Wissenschaftlerin stellen will, die ihr aber auch schlaflose Nächte bereitet.
    Zielgruppe: Wissenschaft hautnah. Für interessierte Leser, die alles aus erster Hand miterleben wollen.
    Erkenntnisgewinn: Nach einer großen Idee ist nichts mehr so wie es vorher war.
    Spaßfaktor: Eine spannende Wissenschaftsgeschichte, die längst noch nicht zu Ende ist.
    Jennifer Doudna und Samuel Sternberg: "A crack in creation". In England als Paperback erschienen bei Bodley Head. 280 Seiten, 14,99 Pfund.