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Genialer Zeichner der Renaissance

Andrea del Castagno gehört zu den einflussreichsten Künstlern der Frührenaissance in Florenz. Mehr als alle anderen Maler übertrug er Realismus und Dreidimensionalität in die Malerei. Doch nur 17 Jahre dauerte seine Karriere: Am 19. August 1457 starb er an den Folgen der Pest.

Von Carmela Thiele | 19.08.2007
    Florenz erlebt im 15. Jahrhundert einen sagenhaften wirtschaftlichen und kulturellen Aufstieg. Doch erschüttern immer wieder Auseinandersetzungen zwischen den Medici und anderen mächtigen Familien die Stadt. Verschwörer werden zur Strafe - Kopf abwärts - an einem Fuß aufgehängt. 1440 erhält ein junger Maler die undankbare Aufgabe, die auf diese Weise Gedemütigten auf der Fassade des Regierungspalastes abzubilden. Es ist sein erster Auftrag und niemand kann erahnen, dass aus dem ehrgeizigen Jungen einer der einflussreichsten Künstler des Quattrocento werden sollte. Es handelt sich - schriftlichen Quellen zufolge - um Andrea del Castagno, 21 Jahre alt, gebürtig aus dem Dorf Castagno.

    Der Kaufmann und Humanist Giovanni Rucellai trug ihn in sein Tagebuch "Lo Zibaldone" als "Andreino del Castagno, genannt Andrea der Gehängten" ein. Der Architekturtheoretiker Antonio Filarete schreibt die Prägung dieses unfreundlichen Spitznamens sogar Castagno selbst zu, der sich "Andreino degli Impicchati" genannt haben soll.

    Nach diesem politisch brisanten Entrée als Maler verlässt Andrea für einige Zeit Florenz. 1442 schafft er Heiligenfiguren für das Gewölbe einer Kapelle in Venedig. Zwei Jahre später ist er zurück und entwirft eines der farbigen Rundfenster im Tambour der Florentiner Domkuppel, der größten Europas. Castagno befindet sich dieses Mal mit seinem Auftrag in bester Gesellschaft. Schlüsselfiguren der Frührenaissance wie Lorenzo Ghiberti und Donatello lieferten ebenfalls Vorzeichnungen für die kolossalen Rundfenster. Im selben Jahr wird Andrea in die Künstler-Gilde St. Lukas aufgenommen. Giorgio Vasari, der Begründer der Kunstgeschichte, spricht hundert Jahre später über die Qualitäten des Malers:

    "Er zeigte bei den Schwierigkeiten der Kunst eine sehr große Befähigung, besonders für das Zeichnen. Am geschicktesten war er in den Bewegungen der Figuren und ausdrucksvoll in den Köpfen seiner Männer und Frauen, die er würdevoll und gut zu zeichnen wusste."

    Vasaris Worte erfüllen sich im "Abendmahl", einem Fresko, das Andrea 1447 für das Refektorium des Konvents Santa Apollonia malte. Die Jünger unterhalten sich lebhaft mit den Händen, die wettergegerbten Gesichter wirken wie in Stein gemeißelt. Sie legen nahe, dass die Skulpturen Nanni di Bancos und Donatellos zu den Vorbildern des Künstlers gehören. Aber auch Massacio, der dreißig Jahre zuvor die Zentralperspektive in die Malerei eingeführt hatte, ist einer seiner Lehrmeister. Denn die perspektivisch dargestellte, in ihrem Realismus kaum zu übertreffende Abendmahl-Szene wirkt wie eine Erweiterung des Refektoriums, des Speisesaals der Nonnen. Noch kühner verwendet del Castagno die Perspektive bei der Darstellung des Heiligen Hieronymus in der Corboli-Kapelle von Santa Annunziata, die Vasari später in höchsten Tönen lobt:

    "In der Kapelle des Hl. Hieronymus malte er diesen Heiligen, abgezehrt und von geschnittenem Haar, mit guter Zeichnung und vielem Fleiß. Darüber stellte er eine Dreieinigkeit mit einem Kruzifix in der Verkürzung dar. Dieses ist so gut gemacht, dass Andrea dafür großes Lob verdient, zumal er die Verkürzungen bedeutend besser und mehr nach der neuen Manier ausführte als die Meister vor ihm."

    Bei der Restaurierung kommt die Unterzeichnung des Hieronymus zum Vorschein. Sie offenbart nicht nur Castagnos Meisterschaft im Skizzieren, sondern auch seine Fähigkeit, mystische Ergriffenheit darzustellen. Verzückt von der Vision reißt sich der Heilige das Hemd auf und entblößt seinen sehnigen Leib.

    Andrea del Castagno stirbt im Alter von nur 38 Jahren - höchstwahrscheinlich an der Pest. In Florenz erzählen rund zehn wandfüllende Fresken von seiner der Linie verpflichteten Malerei, doch ist sein Name weniger bekannt als der seiner Zeitgenossen Paolo Uccello und Piero della Francesca. Das mag am frühen Tod des Künstlers liegen, aber auch an der von Vasari kolportierten Legende, der Maler habe seinen Kollegen Domenico Veneziano umgebracht, weil dieser - laut Vasari - besser mit dem Kolorit umgehen kann. Diese These ist längst widerlegt. Veneziano überlebt Andrea del Castagno um vier Jahre.