Rainer Berthold Schossig: Er ist 1941 in Masuren geboren und seine Dissertationsschrift nannte er "Melancholie und Gesellschaft". Sie erschien 1969 nach dem prekären Rebellionsjahr 1968 also irgendwie völlig unzeitgemäß. Sein Name: Wolf Lepenies. Inzwischen gehört der Soziologe zu den wohl bekanntesten deutschen Geisteswissenschaftlern. Sein Nachfolger als Leiter des Berliner Wissenschaftskollegs, der Verfassungsrechtler Dieter Grimm, ist nur einer von vielen, die Wolf Lepenies' Verdienst loben:
" In dem Augenblick, als in den früher sozialistischen Ländern die Regime zusammenbrachen und man daran ging, demokratische Verfassungsstaaten zu begründen, hat er die Gelegenheit ergriffen, die Verbindungen zwischen diesen Ländern, die ja zum Teil abgeschnitten waren von den westlichen Wissenschaftsströmungen, die Verbindungen zu diesen Ländern wieder zu begründen. Aber er hat es auf eine spezifische Weise getan. Er hat vorausgesehen, dass jetzt ein großer Brain Drain eintreten könnte, das heißt, ein Abzug der Gelehrten und Intellektuellen dieser Länder in die reichen Wissenschaftsländer wie insbesondere die USA. Und er hat das für gefährlich gehalten, und deswegen gesagt, man muss die Tendenz umkehren. Man muss diese Länder interessant machen für Gelehrte aus der westlichen Welt, damit das keine Einbahnstraße wird. Und das ist umgesetzt worden in die Gründung von kleineren Ablegern des Wissenschaftskollegs in früher sozialistischen Ländern. "
Schossig: Der Verfassungsrechtler Dieter Grimm über Wolf Lepenies und seine kluge wissenschaftspolitische Arbeit.
Heute ist zu reden über ihn aus besonderem Grund. Vor wenigen Stunden nämlich wurde bekannt, dass Lepenies in diesem Herbst den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten wird. Und damit steht er also in einer Reihe mit Albert Schweitzer und Manes Sperber, Václav Havel, Susan Sontag und Peter Esterhazy.
Frage an Gunter Hofmann, Autor und Journalist und Korrespondent der Wochenzeitung "Die Zeit", Lepenies begann ja seine wissenschaftliche Laufbahn an der Freien Universität Berlin, wo er bis heute wirkt, weitere Stationen waren die Maison des Sciences de l'Homme in Paris und das Institute for Advanced Study in Princeton, New Jersey in den USA. Welcher soziologischen Richtung neigt Lepenies denn mehr zu, der europäischen oder der amerikanischen?
Gunter Hofmann: Wolf Lepenies ist ein Grenzgänger generell, aber er ist es auch in seiner Disziplin. Er vermittelt im Grunde zwischen europäischem und amerikanischem Denken, oder, wenn man es etwas niedriger hängt könnte man sagen, er hat sich auf beides voll eingelassen, von beiden lernen wollen, und sicher auf die versuchte Quintessenz dessen, was man in Amerika von der amerikanischen Soziologie und Philosophie und vor allem auch Literatur lernen kann und umgekehrt, was man daraus mit Gewinn formulieren könnte und auch ins Aktuelle übersetzen kann.
Schossig: Könnte man sagen, Soziologie im engeren Sinne durchaus als Kultur- und Geistesgeschichte?
Hofmann: Also in seinem neuen Buch, das bisher nur in englisch erschienen ist in Princeton, das heißt "The Seduction of Culture in German History", wo er also über die Verführung durch Kultur, aber auch über die Verführbarkeit der Kultur spricht, wird aus meiner Sicht so ganz offenbar, wie Wolf Lepenies denkt. Er sagt dort, es sei seine Annäherung, das sei ihm bewusst, klinge altmodisch, weil er ja Geistesgeschichte, er sagt Ideengeschichte, betreibt. Und er sagt aber gleichzeitig, er sei sich klar, dass Ideengeschichte nur eine Ergänzung zur politischen und sozialen Geschichte sei, allerdings, und darauf insistiert er, wie mir scheint mit Recht, eine unverzichtbare und allmählich zu sehr verschüttete Ergänzung.
Schossig: Lepenies habe in seinen Werken belegt, dass zwischen Verhalten und Wissen, zwischen Moral und Wissenschaft ein unauflöslicher Zusammenhang besteht, so formulieren die Weisen des Stiftungsrats des Friedenspreises, was mögen Sie damit gemeint haben, denn eigentlich ist es ja eine Plattitüde.
Hofmann: Man muss sich Wolf Lepenies relativ spärliches Werk, also das schriftliche Werk, anschauen von Anfang an um dahinter zu kommen, was eigentlich die spezifische Handschrift von ihm ausmacht. Er hat angefangen mit seiner Dissertation 1969 über Melancholie und Gesellschaft, das ist, er hat mal gesagt, damit habe ich mich fast aus der Soziologie herausgeschrieben, war so sehr gegen den Zeitgeist geschrieben, aber er hat damals schon eine Spur verfolgt und in dem neuen Buch über "The Seduction of Culture" finde ich wird voll sichtbar, was das für eine Spur ist. Er geht einfach davon aus, wie viele Historiker, ich sage nur ein Beispiel für alle vor ihm, Fritz Stern, dass ein bestimmter hochmütiger, arroganter, apolitischer Kulturbegriff in Deutschland mit beigetragen hat zu der Katastrophe, die die Deutschen über die Welt und auch über sich gebracht haben. Und seit dieser frühen Phase, wo er also den Kulturbegriff und den Deformationen des kulturellen Selbstverständnisses in Deutschland nachging, 1969 in diesem Melancholiebuch, versucht er so etwas wie eine spezifische Bürgerlichkeit zu definieren, oder in der Literatur, in der Philosophie, in Texten der Kultur zu erkennen, ihre Deformationen aufzuzeigen.
Er versucht also eine bestimmte Bürgerlichkeit zu retten, beziehungsweise wieder herzustellen. Er versteht sich als derjenige Grenzgänger, der Verhalten und Moral, ich sage lieber Moral, und Wissenschaft wieder in eins setzt. Der Kultur und Zivilisation verknüpfen möchte, der sagt, Politik und Kultur gehören zusammen, Naturwissenschaft und ein bestimmter Wertekodex müssen untrennbar zusammen gedacht werden. Er hat es verknüpft, er wollte, dass die Wissenschaftler umgekehrt auch lernen, dass sie sich öffentlich legitimieren müssen, dass sie sich besinnen müssen, der gesellschaftlichen Verantwortung. Und das ist eigentlich die Idee dieses ganzen Kollegs, in dem er so wie ein Fisch im Wasser geschwommen ist.
Schossig: Das war Gunter Hoffman über den Soziologen und Publizisten Wolf Lepenies, der, wie heute bekannt wurde, den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten wird.
" In dem Augenblick, als in den früher sozialistischen Ländern die Regime zusammenbrachen und man daran ging, demokratische Verfassungsstaaten zu begründen, hat er die Gelegenheit ergriffen, die Verbindungen zwischen diesen Ländern, die ja zum Teil abgeschnitten waren von den westlichen Wissenschaftsströmungen, die Verbindungen zu diesen Ländern wieder zu begründen. Aber er hat es auf eine spezifische Weise getan. Er hat vorausgesehen, dass jetzt ein großer Brain Drain eintreten könnte, das heißt, ein Abzug der Gelehrten und Intellektuellen dieser Länder in die reichen Wissenschaftsländer wie insbesondere die USA. Und er hat das für gefährlich gehalten, und deswegen gesagt, man muss die Tendenz umkehren. Man muss diese Länder interessant machen für Gelehrte aus der westlichen Welt, damit das keine Einbahnstraße wird. Und das ist umgesetzt worden in die Gründung von kleineren Ablegern des Wissenschaftskollegs in früher sozialistischen Ländern. "
Schossig: Der Verfassungsrechtler Dieter Grimm über Wolf Lepenies und seine kluge wissenschaftspolitische Arbeit.
Heute ist zu reden über ihn aus besonderem Grund. Vor wenigen Stunden nämlich wurde bekannt, dass Lepenies in diesem Herbst den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten wird. Und damit steht er also in einer Reihe mit Albert Schweitzer und Manes Sperber, Václav Havel, Susan Sontag und Peter Esterhazy.
Frage an Gunter Hofmann, Autor und Journalist und Korrespondent der Wochenzeitung "Die Zeit", Lepenies begann ja seine wissenschaftliche Laufbahn an der Freien Universität Berlin, wo er bis heute wirkt, weitere Stationen waren die Maison des Sciences de l'Homme in Paris und das Institute for Advanced Study in Princeton, New Jersey in den USA. Welcher soziologischen Richtung neigt Lepenies denn mehr zu, der europäischen oder der amerikanischen?
Gunter Hofmann: Wolf Lepenies ist ein Grenzgänger generell, aber er ist es auch in seiner Disziplin. Er vermittelt im Grunde zwischen europäischem und amerikanischem Denken, oder, wenn man es etwas niedriger hängt könnte man sagen, er hat sich auf beides voll eingelassen, von beiden lernen wollen, und sicher auf die versuchte Quintessenz dessen, was man in Amerika von der amerikanischen Soziologie und Philosophie und vor allem auch Literatur lernen kann und umgekehrt, was man daraus mit Gewinn formulieren könnte und auch ins Aktuelle übersetzen kann.
Schossig: Könnte man sagen, Soziologie im engeren Sinne durchaus als Kultur- und Geistesgeschichte?
Hofmann: Also in seinem neuen Buch, das bisher nur in englisch erschienen ist in Princeton, das heißt "The Seduction of Culture in German History", wo er also über die Verführung durch Kultur, aber auch über die Verführbarkeit der Kultur spricht, wird aus meiner Sicht so ganz offenbar, wie Wolf Lepenies denkt. Er sagt dort, es sei seine Annäherung, das sei ihm bewusst, klinge altmodisch, weil er ja Geistesgeschichte, er sagt Ideengeschichte, betreibt. Und er sagt aber gleichzeitig, er sei sich klar, dass Ideengeschichte nur eine Ergänzung zur politischen und sozialen Geschichte sei, allerdings, und darauf insistiert er, wie mir scheint mit Recht, eine unverzichtbare und allmählich zu sehr verschüttete Ergänzung.
Schossig: Lepenies habe in seinen Werken belegt, dass zwischen Verhalten und Wissen, zwischen Moral und Wissenschaft ein unauflöslicher Zusammenhang besteht, so formulieren die Weisen des Stiftungsrats des Friedenspreises, was mögen Sie damit gemeint haben, denn eigentlich ist es ja eine Plattitüde.
Hofmann: Man muss sich Wolf Lepenies relativ spärliches Werk, also das schriftliche Werk, anschauen von Anfang an um dahinter zu kommen, was eigentlich die spezifische Handschrift von ihm ausmacht. Er hat angefangen mit seiner Dissertation 1969 über Melancholie und Gesellschaft, das ist, er hat mal gesagt, damit habe ich mich fast aus der Soziologie herausgeschrieben, war so sehr gegen den Zeitgeist geschrieben, aber er hat damals schon eine Spur verfolgt und in dem neuen Buch über "The Seduction of Culture" finde ich wird voll sichtbar, was das für eine Spur ist. Er geht einfach davon aus, wie viele Historiker, ich sage nur ein Beispiel für alle vor ihm, Fritz Stern, dass ein bestimmter hochmütiger, arroganter, apolitischer Kulturbegriff in Deutschland mit beigetragen hat zu der Katastrophe, die die Deutschen über die Welt und auch über sich gebracht haben. Und seit dieser frühen Phase, wo er also den Kulturbegriff und den Deformationen des kulturellen Selbstverständnisses in Deutschland nachging, 1969 in diesem Melancholiebuch, versucht er so etwas wie eine spezifische Bürgerlichkeit zu definieren, oder in der Literatur, in der Philosophie, in Texten der Kultur zu erkennen, ihre Deformationen aufzuzeigen.
Er versucht also eine bestimmte Bürgerlichkeit zu retten, beziehungsweise wieder herzustellen. Er versteht sich als derjenige Grenzgänger, der Verhalten und Moral, ich sage lieber Moral, und Wissenschaft wieder in eins setzt. Der Kultur und Zivilisation verknüpfen möchte, der sagt, Politik und Kultur gehören zusammen, Naturwissenschaft und ein bestimmter Wertekodex müssen untrennbar zusammen gedacht werden. Er hat es verknüpft, er wollte, dass die Wissenschaftler umgekehrt auch lernen, dass sie sich öffentlich legitimieren müssen, dass sie sich besinnen müssen, der gesellschaftlichen Verantwortung. Und das ist eigentlich die Idee dieses ganzen Kollegs, in dem er so wie ein Fisch im Wasser geschwommen ist.
Schossig: Das war Gunter Hoffman über den Soziologen und Publizisten Wolf Lepenies, der, wie heute bekannt wurde, den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten wird.