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Genomprojekt in schweren Fahrwassern

Genetik. - Seit zwei Jahren läuft das isländische Genomprojekt. Die einheimische Firma Decode-Genetics und der Schweizer Pharmariese Hoffmann LaRoche wollen das Genom der Isländer einer Funktionsanalyse unterziehen. Die lange Isolierung der Isländer von der Außenwelt soll das erleichtern. Doch Untersuchungen britischer Humangenetiker aus Oxford ergaben, dass die Isländer beileibe nicht so genetisch isoliert sind wie gedacht.

    Kari Stefansson ist die treibende Kraft hinter dem isländischen Genomprojekt. Er konnte die Wissenschaftswelt und den Pharmakonzern Hoffmann LaRoche von den Vorteilen seiner Heimat für die Genfunktionsanalyse überzeugen. Island ist im Mittelalter von Wikingern besiedelt worden und seitdem weitgehend isoliert geblieben. Die genetische Vielfalt unter den Isländern sei daher geringer als anderswo, außerdem reichten Stammbäume und andere Aufzeichnungen bis in die Gründungszeit zurück. "Das zusammen sind die besten Voraussetzungen für die genetische Forschung nach den Ursachen verbreiteter Krankheiten", erklärte Stefansson beim Start des Projektes vor zwei Jahren.

    Von Anfang an gab es Zweifel an dem Projekt, vor allem aber an seinen datenschutzrechtlichen Aspekten. Doch jüngste Untersuchungen der humangenetischen Arbeitsgruppe von Brian Sykes in Oxford wecken auch Zweifel am wissenschaftlichen Wert des Unternehmens. Der Spezialist für genetische Stammbäume fand heraus, dass die Isländer doch keine so homogene Gruppe sind wie gedacht. Sykes konstruierte zwei molekulargenetische Stammbäume: einen mit Hilfe des nur vom Vater an den Sohn vererbten männlichen Y-Chromosoms und einen mit Hilfe der ausschließlich von der Mutter stammenden Mitochondrien-DNA. Und beide Stammbäume wiesen unterschiedliche Verläufe auf. "Die männlichen Y-Chromosomen stammen zu 80 Prozent aus Skandinavien, das Mitochondrien-Erbgut zu 60 Prozent aus Schottland", so Sykes.

    Die Isländer haben also einen starken schottischen Einschlag in ihrem Wikingerblut. Und die überwiegend schottischen Frauen liefern Stoff für Spekulationen. Möglicherweise wurden die Stammütter Islands von den Wikingern geraubt, möglicherweise landeten die skandinavischen Auswanderer zunächst in Schottland und starteten erst danach in Richtung Polarkreis.

    Auf jeden Fall unterscheiden sich die Isländer genetisch nur wenig von den anderen skandinavischen Völkern. Und das könnte Stefanssons Projekt in Gefahr bringen. Doch der Wissenschaftler lässt sich nicht erschüttern. Denn ein Trumpf hat er auf jeden Fall in der Hand. Die Stammbäume und Krankheitsaufzeichnungen in Island sind lückenloser und reichen weiter zurück als bei den meisten anderen Völkern.

    [Quelle: Michael Lange]