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Genpatente auf dem Prüfstand

Recht. - Kann man Gene patentieren lassen? Biotech-Unternehmen wünschen sich Patente als Absicherung ihrer Forschungsinvestitionen. Kritiker bestreiten, dass Gene als Naturprodukte eine Erfindung sein können. Ihnen gab ein New Yorker Gericht vor rund zwei Wochen recht und erklärte Genpatente US-Firma Myriad Genetics für unzulässig. Das Verfahren geht aber in Revision.

Von Marieke Degen | 14.04.2010
    Er sei kein Revoluzzer, der das amerikanische Patentsystem umstürzen wolle, sagt Harry Ostrer:

    "Aber alle, vor allem meine Kollegen, sagen zu mir: Du hast genau das Richtige gemacht."

    Harry Ostrer ist einer von Tausenden, die erfolgreich gegen die Genpatente von Myriad Genetics geklagt haben. Die Patente sind ihm schon lange ein Dorn im Auge. Ostrer ist Humangenetiker in New York und fast täglich suchen ihn Frauen auf. Ihre Mütter, Tanten oder Schwestern sind an erblich bedingtem Brustkrebs gestorben, und sie möchten wissen, wie hoch ihr Risiko ist, ebenfalls zu erkranken. Harry Ostrer müsste sich dafür eigentlich nur die zwei Brustkrebs-Risikogene anschauen und auf Veränderungen hin untersuchen. Aber genau das darf er nicht. Denn Myriad Genetics hat die Risikogene vor 13 Jahren als Erste entdeckt und sich gleich patentieren lassen.

    "Wir müssen die Blutproben von den Patientinnen zu Myriad Genetics schicken. Die sind die Einzigen, die den Gentest anbieten dürfen."

    Pro Test kassiert das Unternehmen 3000 Dollar. Das Problem: Die Patientinnen können das Ergebnis nicht gegenchecken lassen, weil kein anderes Labor den Test wiederholen darf. Wenn sich die Labors nicht daran halten, droht Myriad mit einer Unterlassungsklage. Auch in der Grundlagenforschung müssen die Patentrechte beachtet werden, auch das weiß Harry Ostrer aus eigener Erfahrung. Ende der Neunziger durfte er zwar mit den Genen forschen. Aber die Firma hat genau darüber bestimmt, wie viel geforscht wurde, und wie lange.

    "Sowohl universitäre als auch kommerzielle Labors waren dann eingeschüchtert und haben lieber ganz auf solche Untersuchungen verzichtet. Wir wollten alle nicht mit Myriad rechtlich aneinandergeraten."

    Myriad Genetics hatte sich die Gene auch in Europa patentieren lassen. Damals liefen Ärzte, Genetiker und Greenpeace-Aktivisten Sturm - mit Erfolg: Vor fünf Jahren wurden die Patente extrem eingeschränkt. Wenn die Brustkrebs-Gene zu diagnostischen Zwecken untersucht werden, hat Myriad keinerlei Ansprüche mehr. In Deutschland werden die Gentests hauptsächlich in speziellen Brustzentren angeboten. Frauen, die ihr Brustkrebsrisiko testen lassen wollen, nehmen dann automatisch an einer großen Studie teil, erklärt Denise Horn, Genetikerin an der Berliner Charité:

    "Und weil das Ganze eingebettet ist in diesem Forschungsprojekt, sind die molekulargenetischen Daten, die wir erheben, nicht gebunden an diese Patentrechte, die Myriad Genetics hat."

    Nicht auf Patentrechte achten zu müssen, das ist hierzulande ein Forschungsprivileg. Die Kosten für die Genanalyse - rund 1800 Euro - übernehmen die Krankenkassen, das Geld geht an die Labors. Myriad Genetics bekommt keinen Cent. Genauso wenig andere Firmen, die Genpatente besitzen.

    "Ich kenne aus meiner täglichen Arbeit nicht die Einschränkung, dass wir bei der Diagnostik von genetischen Erkrankungen, und das sind ja viele Tausend Gene, die wir analysieren lassen in verschiedenen Laboren, dass wir da Einschränkungen haben durch Patentrechte. Das heißt, für Deutschland scheint diese Frage keine bedeutende Relevanz zu haben im Moment."

    In den USA sieht das immer noch ganz anders aus. Die Labors müssen in der Regel eine Pauschale an die Unternehmen zahlen, wenn sie mit patentierten Genen arbeiten wollen. Ostrer:

    "Die Befürworter von Genpatenten behaupten immer dasselbe. Wenn die Patente fallen, würde die Biotech-Industrie in den USA unterminiert. Aber nichts liegt ferner! Wenn jemand tatsächlich einen besseren Test oder ein neues Medikament entwickelt, kann er sich das ja nach wie vor patentieren lassen. Genpatente aber sind so weitreichend, dass sie neue Entwicklungen und Wettbewerb von vorneherein verhindern."

    Aber noch sind die Genpatente in den USA gültig. Myriad Genetics will in Revision gehen. Harry Ostrer geht davon aus, dass der Streit erst vor dem Supreme Court entschieden wird, dem Obersten Gerichtshof der USA. Wenn Myriad dann tatsächlich die Patente aberkannt bekommen würde, dann wäre das für die Firma erstmal keine Katastrophe, findet er:

    "Myriad Genetics würde noch nicht einmal großartig Geld verlieren. In den nächsten Jahren würden sie ohnehin erstmal die Einzigen bleiben, die den Test anbieten - schließlich haben sie 13 Jahre mehr Erfahrung als alle anderen Labors hier."

    Es würde eine ganze Weile dauern, bis Harry Ostrer und seine Kollegen in den USA diesen Vorsprung aufgeholt hätten.