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Gentechnik, Milchpreise und Waldsterben

Das Jahr begann unschön. In Asien grassierte die Geflügelpest. Auf den Hühnerfarmen steckten sich sogar Menschen mit dem Vogelgrippevirus an, mehr als 20 Personen starben.

Von Markus Rimmele |
    Und dann muss man reagieren.

    sagte Verbraucherministerin Renate Künast und unterstützte das EU-weite Importverbot für Geflügel aus mehreren asiatischen Ländern, darunter Thailand, dem viertgrößten Geflügelexporteur der Welt. Durch Deutschland wehte ein Hauch von Panik. Der Vizepräsident des Robert-Koch-Instituts in Berlin Reinhard Burger hielt diese für übertrieben:

    Außerdem weiß man, dass dieses Virus durch Hitze, also beim Kochen, beim Zubereiten der Speisen inaktiviert wird. Also ich sehe hier nur ein sehr geringes Risiko auf der Ebene der Lebensmittel.

    Von Seuchen und Krankheiten blieb die deutsche Landwirtschaft im Jahr 2004 weitgehend verschont. Und auch der Himmel war milde gestimmt. Nach dem Extremsommer 2003 gab es in diesem Jahr eine recht ausgewogene Verteilung von Sonne und Regen. Die Bauern freuten sich über eine Spitzenernte. Beim Getreide etwa lag das Ergebnis 12 Prozent über dem langjährigen Durchschnitt. Doch die wirtschaftliche Lage der Landwirte, klagt der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, besserte sich auch 2004 nicht. Der Einkommensabstand zu anderen Branchen liege bei etwa einem Drittel. Wegen des Preisverfalls gehe es vor allem den Milchbauern schlecht. Gerd Sonnleitner:

    Dort liegen wir am unteren Ende der Einkommensskala. Dort verdient ein Bauer, eine Arbeitskraft nurmehr brutto, alles zusammen, nurmehr tausend Euro im Monat, und da können Sie erkennen, wie stark dieser Produktionszweig abgestürzt ist.

    Und die Bauern stehen vor einer neuen Herausforderung. Die Gentechnik steht vor der Tür. Nach langer Diskussion machte Ende November der Bundestag den Weg für das Gentechnikgesetz frei, am 1. Januar tritt es in Kraft. Dann wird der Anbau gentechnisch veränderter Sorten in Deutschland erlaubt sein. Vor allem die Öko-Landwirte befürchten eine Verunreinigung ihrer Felder durch Pollenflug. Ganze Regionen haben sich mittlerweile zu gentechnikfreien Zonen ausgerufen. Stefan Palme, ein Landwirt aus der Uckermark in Brandenburg:

    Das hat also bei uns zu einer richtigen Existenzangst geführt und deswegen auch zu dem Wunsch und dem Willen, an dieser Situation etwas zu verändern.

    Doch die Ministerin ist den Öko- und konventionell arbeitenden Bauern weit entgegen gekommen – mit einer höchst umstrittenen Haftungsregel. Wenn es zu einer Verunreinigung kommt und ein Schuldiger nicht ausfindig gemacht werden kann, haften pauschal alle Gentechnik-Bauern im Umfeld. Renate Künast hoch zufrieden:

    Dies ist ein großer Erfolg für die Verbraucher, aber auch für die Landwirte, weil es für beide Wahlfreiheit sichert, für Verbraucher und für Produzenten.

    Kritik aber vom Bauernverband, von Pflanzenzüchtern und Wissenschaftlern. So auch vom Präsidenten der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften Gerhard Gottschalk:

    Da ist die Haftungsfrage jetzt so geregelt in dem Gesetz, dass sie jetzt praktisch den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen ausschließt. Denn diese Haftung kann niemand übernehmen, und die ist auch nicht versicherbar, und damit hat man praktisch diese Technologie in gewisser Weise abgetötet.

    Und noch einmal die Gentechnik in diesem Jahr. Am 18. April trat die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel in Kraft. Alle Produkte, die manipulierte Organismen enthalten, müssen danach einen Hinweis in der Zutatenliste tragen. Die Umweltverbände freuten sich über die Zwangskennzeichnung:

    Wir sind auch der Meinung, dass diese Kennzeichnungspflicht die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher weit gehend sichert. Es ist nun mal so, dass in der EU 75 Prozent der Bevölkerung Gentechnik ablehnt, der Verbraucher dadurch, dass er sich entscheidet, diese Gentechnikprodukte auch wieder vom Markt verschwinden werden.

    hoffte Doris Tropper vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Eine weitere wichtige Weichenstellung in diesem Jahr war die Umsetzung der EU-Agrarreform in deutsches Recht. Die Direktzahlungen an die Bauern sind in Zukunft nicht mehr an die Produktionsmenge gebunden, sondern es wird Flächenprämien geben, um Überproduktion zu vermeiden. Das Geld wird auch nur fließen, wenn die Landwirte Kriterien des Umweltschutzes, Tierschutzes und der Lebensmittelsicherheit einhalten.

    Auch rings um die klassische Landwirtschaft herum hat sich 2004 einiges getan. Etwa im Bereich Ernährung. Renate Künast sagte dem Übergewicht bei Kindern den Kampf an. Fast jedes zweite der 10- bis 11-jährigen Kinder ist zu dick. Die neu gegründete Plattform "Ernährung und Bewegung" soll diesem Trend durch Kampagnen und Projekte entgegenwirken.
    Eine unerfreuliche Nachricht gab es noch gegen Jahresende. Dem deutschen Wald geht es so schlecht wie nie. Nur noch 28 Prozent der Bäume haben keine sichtbaren Schäden. Renate Künast:

    Es wird eingeschätzt, dass dieses unter anderem oder vor allem Spätfolgen der außergewöhnlichen Witterungsbedingungen des Jahres 2003 sind. Trockenstress und hohe Ozonwerte haben im letzten Jahr eben auf Waldökosysteme getroffen, die in Folge lang anhaltender Säure- und Stoffeinträge aus der Luft erheblich vorbelastet sind.

    Die Folgen des Ausnahmesommers bekommen wir also so richtig erst jetzt zu spüren:

    Und das wird Jahre dauern, bis sich das abzeichnet, dass wir hier einigermaßen eine Besserung haben.

    befürchtet die Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände Ute Seeling. Sie fordert von der Regierung eine flächendeckende Bodenschutzkalkung.
    2004 – das war Gentechnik, Spitzenernte und ein kranker Wald.