Archiv


Gentests zur Erkennung psychiatrischer Erkrankungen?

Derzeit werden die Gene für die verschiedenen psychischen Krankheiten entschlüsselt. Das hat Folgen, therapeutische und soziale. Werden Gentests bald voraussagen, ob wir seelisch erkranken? Wenn psychische Krankheiten genetisch bedingt sind, wird das unser Urteil über diese Krankheiten ändern? Und wie schließlich wird das Wissen von den problematischen Genen die Therapien verändern?

Von William Vorsatz |
    Die Schizophrenie bricht meist im Alter zwischen 25 und 35 Jahren aus, etwa ein Prozent der Bevölkerung ist betroffen. Die Patienten leiden unter wahnhaften Vorstellungen, die Stimmung schwankt stark, sie sind lethargisch und können sich schlecht konzentrieren. Neuroleptika lindern heute zwar die Symptome, von einer ursächlichen Behandlung kann aber noch kleine Rede sein. Untersuchungen in Familien und Zwillingsstudien belegen: das Risiko, an Schizophrenie zu erkranken, wird vererbt. Ist ein Geschwisterteil schizophren, wird der andere zehn mal eher als der Bevölkerungsdurchschnitt ebenfalls erkranken. Bei eineiigen Zwillingen steigt das Risiko gar um das 50fache. In den letzten Monaten haben verschiedenen Arbeitsgruppen Gene entdeckt, die den Ausbruch der Krankheit wesentlich beeinflussen. DGPPN-Kongresspräsident Professor Wolfgang Maier:
    Bei der Schizophrenie sind mittlerweile drei Gene bekannt, die bei unterschiedlichen Menschen häufig in unterschiedlicher Form vorliegen und wo gewisse Varianten, gewisse Formen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko verbunden sind. Diese Gene tragen Namen, die man bis vor kurzem nicht kannte, das eine heißt Dysbindin-Gen, das andere heißt Neuregolin-Gen, das dritte hat noch nicht mal einen richtigen Namen, sondern heißt G72.

    Die gefundenen Gene produzieren Eiweiße, die vorher nie mit einer Schizophrenie in Verbindung gebracht wurden. Sie kommen in bestimmten Hirnarealen von Schizophreniepatienten besonders häufig vor und stören dadurch die Signalübertragung. Diese Veränderungen sind sehr komplex, vermutlich können sogar 50 bis 100 veränderte Gene an der Krankheit beteiligt sein. Außerdem lösen die Gene nicht zwangsläufig psychischer Erkrankungen aus. Viele der Risikogene kommen auch bei gesunden Menschen vor. Es ist eine Dosisfrage, glaubt Prof. Maier vom Uniklinikum Bonn. Etliche kritische Gene müssten auf bestimmte Lebensumstände treffen:

    Da sind im wesentlichen Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen. Die Sauerstoffversorgung des Gehirns beeinträchtigt haben, oder in anderer Weise dazu beigetragen haben, dass das Hirnwachstum verzögert ist. Ob man schlimme Erfahrungen in der Kindheit gemacht hat, ob man von anderen Menschen drangsaliert wird, ob man von seinen Eltern oder anderen in der Jugend missbraucht worden ist - all dies spielt zusammen. Ein anderer Risikofaktor ist der Cannabisgebrauch in der Jugend, je länger und je mehr, um so größer ist das Erkrankungsrisiko.

    Großstädter sind eher gefährdet als auf dem Land lebende, und auch Migranten ereilt die Schizophrenie häufiger. Auf die Frage, welche Anteil die Gene haben und zu welchem die Lebensumstände für den Ausbruch der Krankheit verantwortlich sind, geben die Experten unterschiedliche Antworten. Offensichtlich scheinen die Gene jedoch bei der Schizophrenie eine besonders große Rolle zu spielen. Aber auch bei Depressionen Alzheimer und stofflichen Süchten wie Alkoholismus sind die Wissenschaftler den Genen auf der Spur. Gerd Schulte-Körne von der Uniklinik Marburg untersucht die Lese-Rechtschreibschwäche und träumt schon davon, per Gentest die Sorgenkinder zu ermitteln. Aber zuerst muss er die entsprechenden Erbinformationen finden:

    Bisher haben wir noch keins identifiziert, wir erwarten aber in den nächsten drei Jahren, ein oder zwei Gene identifizieren zu können. Ich denke, dass es tatsächlich irgendwann möglich sein wird, die Kinder aufgrund der genetischen Informationen zu unterscheiden. Das ist im Moment noch nicht zu erreichen, aber dahin kann es gehen. Möglichst Kinder sehr früh zu identifizieren. Also bevor dann nachher der ganze Teufelskreis mit psychiatrischen Erkrankungen als Folge der Legasthenie auftreten. Also Frühidentifikation ist das große Ziel.

    Gentests, um Menschen zu identifizieren, die eher psychisch erkranken, genau das lehnen die meisten Wissenschaftler ab und halten es wegen der Komplexität der Krankheiten für unmöglich. Bei der Wahl der richtigen Therapie können die Gen-Infos aber auf jeden Fall nützlich sein. Die Forschung ist schon recht weit, bis zum alltäglichen Einsatz wird es dennoch ein paar Jahre dauern, betont Prof. Peter Falkai von der Saarland-Universität Homburg. Dann sollen sie bei der Wahl der Medikamente oder Psychotherapien helfen:

    Wenn Sie z. B. sagen, eine Variation A, wenn die vorliegt, dann wissen wir, dass die Leute besonders gut auf eine Verhaltenstherapie ansprechen. Wir wissen aber, das die Verhaltenstherapie in einer gewissen Form praktisch genau die selbe Aktivierung oder Veränderung im Gehirn induziert wie das zum Beispiel eine Therapie mit einem Antidepressivum machen würde. D.h. mit anderen Worten, Sie können ja auf aufgrund dieser Grundlagen möglicherweise ihre auch psychotherapeutischen Interventionsstrategien mehr fokussieren. ZB. verschiedene Formen der Verhaltenstherapien oder sagen: nehm ich zum Beispiel noch eine psychodynamische Komponente dazu, etc.

    Jahrelanges Leiden, bis Patienten endlich die richtige Behandlung gefunden haben, könnten so genauso vermieden werden wie Fehlmedikamentationen.