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Gentransfer als normale Kommunikation

Mikrobiologie. - Escherichia coli tauschen untereinander rege Erbinformationen aus. Durch Vergleich der verschiedenen Stämme können Stammbäume gezeichnet werden. Professor Lothar Wieler, Freie Universität Berlin, erklärt im Gespräch mit Arndt Reuning die vielfältige Welt der Kolibakterien.

Professor Lothar Wieler im Gespräch mit Arndt Reuning | 05.06.2011
    Wieler: Wir haben bislang diesen Erreger in Rindern noch nicht gefunden. Wir haben allerdings in den vergangenen 30 Jahren, etwa seitdem wir überhaupt EHEC erst kennen, haben wir häufiger in Rindern nach diesem Erreger gesucht, nicht nur wir, sondern viele Gruppen weltweit, und es war immer möglich, alle Varianten der EHEC, die beim Menschen Krankheiten hervorrufen, auch in Rindern zu finden. Das heißt, wir gehen davon aus, dass die Rinder und auch andere Wiederkäuer, Schafe, Ziegen, aber auch Wildwiederkäuer, wie Rehe zum Beispiel, dass diese Wiederkäuer das Reservoir für EHEC sind. Das heißt also, solche Tiere tragen häufiger diese EHEC-Erreger ohne selber daran zu erkranken.

    Reuning: Der aktuelle Erreger ist ja eine Mischform verschiedener Kolibakterien. Da muss also offenbar ein Austausch von Genen stattgefunden haben. Passiert so etwas denn häufig?

    Wieler: Ja, das ist wirklich ein ganz natürliches Ereignis. Und wir verfolgen diese Ereignisse bei Escherichia coli schon sehr lange, E.-coli ist ein Bakterium, das überraschend viele Gene hin und hertauscht zwischen einzelnen Stämmen. Das zeigt sich zum Beispiel dadurch, wenn Sie das gesamte Erbgut von den Kolibakterien entziffern und miteinander vergleichen, da finden Sie Bakterien, die haben ganz viele unterschiedliche Gene, und das Erbgut enthält teilweise, von einem Stamm enthält viel mehr Gene als das von anderen. Das heißt, der Austausch von Genmaterial ist für E.-coli ein ganz normaler physiologischer Vorgang.

    Reuning: Wenn man nun das gesamte Erbgut kennt, die gesamte Sequenz des Genoms, kann man dann einen Schluss ziehen auf die Herkunft dieses Keim?

    Wieler: Ja, das kann dann gelingen, wenn wir Referenzgene haben. Das heißt, also Referenz-Genome, Vergleichsgenome von anderen Bakterien zum Vergleich. Das ist eine Arbeit, der wir uns zum Beispiel seit einigen Jahren zugewendet haben. Wir typisieren viele E.-coli und wir beobachten, wie sie sich entwickeln, und wir machen dann Rückschlüsse auf die Herkunft. Das ist möglich, dazu müssen Sie aber viele Genome von verschiedenen Escherichia-coli-Bakterien analysieren.

    Reuning: Könnte man sich denn vorstellen, das Übel an der Wurzel zu packen, bei den Tieren nämlich, und zum Beispiel die Rinder zu impfen. Was halten Sie denn von dieser Idee?

    Wieler: Also die Idee, genau bei diesen Tieren einzusetzen, also bei Rindern, Schafen und Ziegen, ist natürlich die naheliegende Idee. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, dort zu intervenieren. Bislang gibt es aber keine wirklich überzeugenden Möglichkeiten. Die einzige Möglichkeit, die bisher Erfolg versprechend war, war eine Impfung. Nun muss man aber wissen, dass diese EHEC-Bakterien in vielen verschiedenen Varianten vorkommen. Das heißt, die Problematik ist, sie können vielleicht gegen einen oder mehrere dieser Varianten bislang impfen, aber nicht gegen alle Varianten. Und das ist die große Herausforderung, Impfstoffe zu entwickeln, die alle Varianten in den Wiederkäuern reduzieren können.

    Reuning: Und auch hoffentlich keinen Schaden anrichten können bei denen nützlichen Kolibakterien...

    Wieler: Das ist auch eine sehr gute Frage, ja. Man muss wissen, dass tatsächlich ganz normalerweise sehr viele, viele Milliarden E.-coli im Darm sowohl von Menschen als auch von Tieren vorkommen, die eben nützlich sind und keine Krankheiten machen. Das ist eben eine Herausforderung, deshalb einen Impfstoff zu entwickeln, der es schaffen wird, nur diese EHECs zu reduzieren.

    Reuning: Können denn auch Menschen das Reservoir oder auch das Mischgefäß für solche Bakterien sein?

    Wieler: Also nach unserer Vorstellung, wenn man sich einfach als Biologe dazu Gedanken macht, gibt es mehrere Orte, wo solche Mischungen zwischen verschiedenen Genomen und Gentransfer stattfinden kann. Das ist sicher der Darm, und zwar sowohl vom Mensch als auch von Tieren, das sind aber auch zum Beispiel Kläranlagen, das ist aber auch zum Beispiel der Boden. Also Escherichia coli ist ein Bakterium, das in vielen verschiedenen Regionen, wir sagen dazu Habitate, also Umwelten, leben kann, und in all diesen, denken wir, ist ein Austausch von Genen möglich. Der Darm des Menschen könnte also ebenfalls als Mischgefäß dienen.