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Genug bezahlt in den Länderfinanzausgleich

Gegenwärtig zahlen drei Länder in den Länderfinanzausgleich ein, der seit sechs Jahrzehnten für gleiche Lebensverhältnisse in Deutschland sorgen soll. Die Geberländer Bayern und Hessen wollen gegen diesen Mechanismus noch im Februar beim Bundesverfassungsgericht klagen.

Von Michael Brandt, Günter Hellmich, Barbara Schmidt-Mattern und Michael Watzke | 04.02.2013
    Wenn Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer über den Länderfinanzausgleich spricht, dann fährt der CSU-Vorsitzende rhetorisch mächtige Geschütze auf und droht:

    "Dass sich Bayern mit allen Mitteln wehrt gegen diesen ungerechte Länderfinanzausgleich. Bescheuert und himmelschreiend."

    Das Mittel gegen die von Seehofer beklagte "himmelschreiende Ungerechtigkeit" ist eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Geberländer Bayern und Hessen drücken aufs Tempo: Die Verfassungsklage soll morgen auf einer gemeinsamen Kabinettsitzung beschlossen und noch im Februar in Karlsruhe eingereicht werden. Seit Monaten arbeiten Juristen und Staatsbeamte aus beiden Bundesländern an einem mehrere hundert Seiten langen Schriftsatz:

    "Und da kommen auch sehr, sehr kreative Ideen. Pfiffig. Klug. Innovativ."

    Und mit eindeutigem Ergebnis: Staats- und Landesregierung halten das geltende System des bundesweiten Finanzausgleichs für verfassungswidrig. 7,93 Milliarden Euro wurden im vergangenen Jahr umverteilt. Drei Länder – Bayern, Baden-Württemberg und Hessen – zahlen gegenwärtig noch in das Ausgleichssystem ein, das seit sechs Jahrzehnten für gleiche Lebensverhältnisse überall in Deutschland sorgen soll. Bayern trug 2012 mit 3,9 Milliarden Euro den Löwenanteil. Baden-Württemberg steuerte 2,69 Milliarden Euro bei, will sich der Klage aber nicht anschließen. Für Hessen waren es knapp 1,33 Milliarden Euro, wobei die Belastung je Einwohner Jahr für Jahr in Hessen am höchsten ist. Ministerpräsident Volker Bouffier, CDU:

    "Es kann nicht sein, dass am Ende noch drei Länder 13 andere finanzieren. Wir haben zwei Jahre verhandelt, zwei Jahre mit verschiedensten Angeboten. Und insbesondere Frau Kollegin Kraft hat uns erklärt, sie sei nicht bereit, auch nur ansatzweise mit einer Verhandlung zu beginnen vor 2019. Und da bleibt für uns eigentlich nur der Weg nach Karlsruhe. Das ist ein Akt politischer Notwehr."

    Genaueres war lange Zeit nicht zu erfahren, weder aus München noch aus Wiesbaden. Nun aber liegt ein Eckpunktepapier vor, das acht Grundsätze für die angestrebte Reform des Finanzausgleichs benennt. Das zentrale Element der Klage erklärt der bayerische Finanzminister Markus Söder mit einer Analogie aus der Fußballbundesliga:

    "Im Fußball gilt der Grundsatz: Schießt du Tor, bekommst du Punkt und Prämie. Im Länderfinanzausgleich gilt der Grundsatz: Schießt du Tor, bekommst du Punkteabzug. Das führt dazu, dass es in Deutschland keinen Anreiz gibt, stark zu sein. Wir haben Bundesländer beispielsweise wie Sachsen-Anhalt, die über Jahre hinweg sauber gewirtschaftet und gespart haben. Jetzt bekommen sie weniger aus dem Länderfinanzausgleich, obwohl sie fleißig sind."

    Im Gegensatz zu Berlin, dem größten Profiteur des Länderfinanzausgleichs. Der CSU-Minister wirft der Bundeshauptstadt eine verfehlte Finanzpolitik vor. Dort habe sich die finanzielle Situation trotz der Milliardenzahlungen verfestigt – ohne Aussicht auf Besserung. Ein solches Ausgleichssystem ist in sich nicht mehrstimmig und ungerecht, argumentieren die Kläger. Die Last würde von immer weniger Schultern getragen. Im vergangenen Jahr etwa schied Hamburg aus dem Kreis der Geberländer aus und erhielt Geld aus dem Ausgleichstopf, obwohl der Stadtstaat als sehr finanzstark gilt. Entlastungen in Milliardenhöhe erhofft sich Markus Söder bei einem Erfolg der Klage.

    "Wir wollen mindestens eine Milliarde pro Jahr einsparen. Möglichst noch mehr. Weil die Summen nach oben explodiert sind."

    Der bis dato gültige Länderfinanzausgleich berücksichtigt nur die Einnahmen der Bundesländer, nicht aber die Ausgaben. Das soll sich - geht es nach den Klagewilligen - in Zukunft ändern. So heißt es im Eckpunktepapier:

    "Anstrengungen zur Pflege der eigenen Steuerkraft müssen belohnt, nicht bestraft werden. Zudem ist die Einbeziehung der Gemeindefinanzkraft mit derzeit 64 Prozent deutlich überhöht. Bei der Neujustierung muss die verstärkte Eigenständigkeit der Kommunen nachhaltig berücksichtigt werden."

    Das ist vor allem den Bayern wichtig, weil die Kommunen im Freistaat sehr finanzkräftig sind. Dagegen sorgen die klammen Kommunen an Rhein und Ruhr dafür, dass mittlerweile auch Nordrhein-Westfalen vom Geber- zum Nehmerland geworden ist. Die Hauptstoßrichtung der Klageschrift geht aber nicht in Richtung NRW, sondern gen Berlin. Weshalb Markus Söder den Hauptstadtstatus ändern will:

    "Warum soll es Aufgabe von Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen, aber auch von Ländern wie Brandenburg oder Sachsen sein, dass sie zahlen müssen, damit Berlin nationale Aufgaben erfüllt? Dafür muss der zuständige Partner, nämlich der Bund, aufkommen. Das ist eine Art Washington-DC-Lösung: Da werden die finanziellen Lasten auch im Wesentlichen vom nationalen Budget getragen. Das würde den Länderfinanzausgleich enorm entlasten. Und es würde enormen Dampf aus dem Kessel lassen, was die finanzielle Entwicklung betrifft."

    Berlin ist Spitze! Na klar: Mit mehr als 3,3 Milliarden Euro kassierte die Hauptstadt im letzten Jahr den Löwenanteil des Länderfinanzausgleichs. Rechnet man die Brandenburger mit ihren 542 Millionen Euro dazu, dann ergibt sich in etwa die Summe, die das Münchner Finanzministerium in den Ausgleichstopf eingezahlt hat. Bayern finanziert die Preußen. Und die geben das im Süden hart erarbeitete Geld locker aus: für einen verkorksten Flughafen und kostenlose Kindertagesstätten. So in etwa liest sich die mediale Gefechtslage für die Berliner Landesregierung im wiederaufgeflammten Streit um Geben und Nehmen im föderalen System.

    Berlin ist Spitze! Im Sparen, sagen umgekehrt Finanzsenator und Regierender Bürgermeister. Sie verweisen auf die Sparerfolge des letzten Jahrzehnts: Nimmt man die Ausgabensteigerungen von 2001 bis 2011 – dann hat Berlin mit 2,4 Prozent die geringste Zuwachsrate. Bayern mit 25 Prozent die Dritthöchste – übertroffen allerdings vom Spitzenreiter Hessen mit 28,9 Prozent. Ganz stolz ist man in Berlin, dass im vergangenen Jahr sogar schwarze Zahlen geschrieben werden konnten. Statt wie eingeplant eine halbe Milliarde Euro neuer Schulden aufzunehmen, konnte mit der Tilgung begonnen werden. Klaus Wowereit, der gute Nachrichten derzeit brauchen kann, ist nicht nur zufrieden, sondern will auch weiter sparen:

    "Das Thema Haushaltskonsolidierung ist für uns nicht erledigt. Wir freuen uns, dass wir im letzten Jahr in der Lage waren, ohne Nettokreditaufnahme auszukommen und sogar im Bereich von 300 Millionen Euro Schulden zurückzuzahlen. Dies ist ein Erfolg."

    Finanzsenator Ulrich Nussbaum – parteilos, aber auf SPD-Ticket im Berliner Senat - weiß natürlich, dass niedrige Zinsen und hohe Steuereinnahmen nicht ewig andauern müssen. Auch sein Vorgänger Thilo Sarrazin hatte 2007 und 2008 schon mal schwarze Zahlen geschrieben. Dann kam die Krise und neue Schulden. Die Klage Bayerns und Hessens gegen den Finanzausgleich kann er allerdings nur als Wahlkampfdonner verstehen – denn eigentlich sei alles geregelt:

    "Wir haben mit Bayern und dem Bund im sogenannten Stabilitätsrat ja vereinbart, dass unsere Haushaltsführung jedes Jahr einmal überprüft wird. Und wir haben zugesagt, unser strukturelles Defizit bis 2020 abzubauen. Ein strukturelles Defizit von immerhin zwei Milliarden. Das sind zehn Prozent unseres Haushaltsvolumens. Aber, wir haben schon im letzten Jahr einen Überschuss gemacht. Wenn wir in Berlin weiter diesen Kurs halten, den ich diesem Land verschrieben habe, dann ist mir darum nicht bange."

    Doch alles hat zwei Seiten: Auch der seit über elf Jahren andauernde Wowereit`sche Sparkurs mit dem gern zitierten Motto: "Sparen, bis es quietscht." Viele Schulen in der Bundeshauptstadt sind sanierungsbedürftig. Tiefe Schlaglöcher klaffen in vielen Straßen. Das öffentliche Personal ist unterbezahlt, das Land Berlin für qualifizierte Arbeitnehmer nicht mehr attraktiv.

    Zusätzliche Ausgaben drohen – nicht nur am neuen Flughafen: Auch die schrittweise Anpassung der öffentlichen Gehälter an das bundesweite Niveau könnte teuer werden. Ferner soll das Angebot der landeseigenen Wohnbaugesellschaften ausgeweitet werden, um Mietpreissteigerungen etwas entgegenzusetzen. Ebenso dringend ist der Wunsch der linken Mehrheit innerhalb der SPD, Versorgungsbetriebe zu kommunalisieren - vom Wasser über die Stromversorgung bis hin zur S-Bahn. All das wird mehr Geld kosten als die im Etat bislang eingeplante 0,3-prozentige Ausgabensteigerung. Ob das Zinsniveau für Berlin so schuldengünstig bleibt wie derzeit, ist völlig unkalkulierbar. Für den Schuldendienst waren im vergangenen Jahr gut zwei Milliarden Euro fällig - ohne Tilgung.

    Darüber würde Ulrich Nussbaum mit seinen Länderkollegen gerne verhandeln. Der Berliner Finanzsenator fordert einen Altschuldentilgungsfonds. Statt den Streit nun in Karlsruhe auszutragen, sollten bei der ohnehin fälligen Neuregelung des Länderfinanzausgleichs alle föderalen Finanzströme berücksichtigt werden.

    "Das hatten wir uns eigentlich vorgenommen, dass wir einmal unvoreingenommen uns als Länderfinanzminister anschauen, welche Transfers finden denn überhaupt statt. Wer profitiert wo? Also Berlin profitiert kaum von der Bundeswehr. Die großen Bundeswehrstandorte sind beispielsweise in Bayern. Der Verteidigungsetat ist über 30 Milliarden. Wo gehen diese Gelder hin? Wo werden die Autobahnen gebaut? Wer profitiert von der Solarförderung? Bei der Solarförderung ist klar, die Berliner sind Nettozahler über den Strom, und die Bayern und die Baden-Württemberger profitieren. Dafür profitieren wir im Länderfinanzausgleich. Also: Es war die Verabredung, wir schauen uns mal die Verteilungswirkungen von Entscheidungen an: Wer verliert, wer gewinnt – und dann machen wir uns mal ehrlich. Und dann kann man ja mal darüber reden."

    Zum Beispiel über die Hauptstadtfinanzierung. Berlin erhält Gelder vor allem für Kultur und Sicherheit. Ein Zuschussgeschäft für den Senat. Und darüber müsse neu verhandelt werden. Letzterem stimmen Bayern und Hessen zu: Über die Hauptstadtfinanzierung muss gesprochen werden – und zwar mit dem Bund. Eine Sonderfinanzierung Berlins durch den Bund soll her, denn derzeit werde die Hauptstadtfunktion Berlins von den Ländern mitfinanziert.

    Aber nicht nur Berlin, auch die anderen Stadtstaaten Hamburg und Bremen stehen im Zentrum der bayerisch-hessischen Klageschrift. Sie genießen derzeit noch das Privileg der sogenannten "Einwohner-Veredelung". Das bedeutet: Bürger aus Stadtstaaten zählen beim Länderfinanzausgleich 1,35 Mal so viel wie Bürger aus Flächenstaaten, weil der Gesetzgeber davon ausgeht, dass Städte höhere Kosten haben. Bayerns Finanzminister Söder will auch das ändern:

    "Während München als Einnahmequelle zunächst mal nur die Gewerbesteuer hat und ansonsten auf Mittel angewiesen ist, die vom Land übertragen werden, kann beispielsweise Hamburg direkt an der Steuer partizipieren. Sie bekommen die Erbschaftssteuer in Hamburg, Sie bekommen Teile der Einkommensteuer. Das bedeutet: Stadtstaaten in Deutschland sind absolut bevorzugt gegenüber jeder anderen Stadt. Das ist per se unfair. Es ist doch gar nicht einzusehen, warum ein Bremer, Hamburger oder Berliner mehr wert ist finanziell, als ein Münchner, ein Nürnberger, ein Augsburger oder Würzburger."

    Der Hinweis auf die Erbschafts- und Einkommensteuer ist für Söder einer der wichtigsten Punkte in der geplanten Klage beim Bundesverfassungsgericht. Der Finanzminister möchte mit einer Reform des Ausgleichsystems mehr Steuerautonomie für Bayern erreichen. Dann nämlich könnte der Freistaat, der früher selbst mal Nehmerland war, aufgrund seiner soliden Staatsfinanzen mit niedrigen Steuersätzen locken. Eine solche Regionalisierung wäre der Einstieg in einen verschärften Steuerwettbewerb zwischen den Bundesländern. Ähnlich dem, der schon heute zwischen Deutschland und der Schweiz oder Belgien herrscht.

    "Wir können uns das nicht nur leisten, wir glauben sogar, dass das gerechter ist. Dann würde es nämlich auch eine Stärkung der mittelständischen Familien geben. Ich bin sicher, der eine oder andere, der in Stuttgart die doppelte Erbschaftssteuer zahlt, bleibt dann lieber in Bayern."

    Verkneifen kann sich der CSU-Politiker diese Spitze gegen das grün-rot regierte Baden-Württemberg nicht. Denn das Nachbarland will nicht mit Bayern und Hessen vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, obwohl es Jahr für Jahr auch Milliarden in den Länderfinanzausgleich einzahlen muss. Obwohl Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen das System mit ähnlich Worten kritisiert wie seine Kollegen von der Union:

    "Wenn ich mehr Steuern einnehme, muss ich fast alles abgeben. Wenn ein Nehmerland mehr Steuern einnimmt, kriegt es weniger vom Länderfinanzausgleich. Das ist doch ein absolut bescheuertes System. Es ist undurchsichtig, intransparent, verstehen nur noch wenige Leute. Und so was ist in der Demokratie nicht gut. Drum kann man das ändern."

    Ohne eine Klage im Rücken verhandle es sich leichter, glaubt Kretschmann. Ein Hintertürchen aber hält sich der Baden-Württemberger dennoch offen: Falls die Nehmerländer nicht spätestens nach der Bundestagswahl im September zu ernsthaften Gesprächen bereit seien, könnte sich der Südwesten es mit der Klage noch anders überlegen. Für den Fall der Fälle hat Kretschmann den Tübinger Verfassungsrechtler Christian Seiler beauftragt, ein Gutachten zum Länderfinanzausgleich zu aktualisieren.

    Der grüne Ministerpräsident will also gewappnet sein. Der Klage, die Bayern und Hessen morgen beschließen werden, schließt er sich aber nicht an. Was auch mit der derzeit starken Finanzkraft der baden-württembergischen Kommunen zu tun hat. Die nämlich fließt bislang nur zu einem geringen Teil in die Formel zur Bestimmung des Länderfinanzausgleichs ein.

    "Da unsere Kommunen mit Abstand am besten dastehen, andere aber außerordentlich schlecht, denken Sie nur an Nordrhein-Westfallen, da lebt ja die Hälfte der Kommunen schon von Kassenkrediten. Da kann es sein, dass das Verfassungsgericht das aus Solidaritätsgründen noch mal ändert. Dann wäre die Möglichkeit, dass für uns da der Schuss nach hinten losgeht. Es könnte also gut sein, dass da die Bayern und Hessen profitieren, aber wir nicht."

    Derweil sind bayerische Politiker nicht zimperlich. Mit deftigen Worten keilt etwa der CSU-Generalsekretär gegen die – Zitat – "Transferschmarotzer" und wirft ihnen eine "griechische Hängemattenpolitik" vor. Ein Land hat Alexander Dobrindt dabei besonders auf dem Kieker: das hoch verschuldete Nordrhein-Westfalen, seit 2010 Nehmerland im Länderfinanzausgleich. NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans gibt jedoch sich gelassen: Statt vor den Kadi zu ziehen, so appelliert der Sozialdemokrat, sollten Bayern und Hessen lieber weiter an einer gemeinsamen Reform mitarbeiten. Denn bis 2020 muss der dann auslaufende Länderfinanzausgleich ohnehin neu geregelt werden:

    "Wer jetzt zum Verfassungsgericht läuft, der unterbricht diesen Prozess, und der muss sich dann wirklich fragen lassen, ob es nicht auch ein bisschen Gedankenlosigkeit ist oder sehr kurzfristiges Denken, weil man – ganz ehrlich – auf eine Wahl schielt und nicht auf eine richtige Lösung."

    Seit seinem Amtsantritt vor knapp drei Jahren verwaltet der Düsseldorfer Finanzminister einen gewaltigen, wenn auch größtenteils geerbten Schuldenberg von über 130 Milliarden Euro. Der erste Haushalt, den Walter-Borjans selbst aufstellte, fiel 2011 vor dem Landesverfassungsgericht dann auch direkt durch. Kritische Fragen ist der Rheinländer also gewohnt – und kontert deshalb alle Vorwürfe mit einer gewissen Routine. Dass das Geberland Nordrhein-Westfalen nach Jahrzehnten zum Bittsteller wurde, dafür gibt es aus seiner Sicht gute Gründe, die freilich etwas plakativ klingen: Da sei zum einen der Strukturwandel mit seinen großen finanziellen Lasten. Zweitens argumentiert Rot-Grün auch gerne mit der Energiewende, die für das Industrieland NRW besonders teuer ausfällt.

    "Hier wird wirklich eine Irreführung betrieben, und das wissen diejenigen, die das sagen, auch. Denn der Länderfinanzausgleich hat mit der Frage, wie die Länder über ihre Haushalte bestimmen, überhaupt nichts zu tun."

    Vordergründig ist das richtig, denn die föderalen Ausgleichszahlungen werden nicht nach dem Haushaltsvolumen eines Landes, sondern nach dessen jeweiligen Steuereinnahmen berechnet. Nimmt ein Bundesland also besonders viel Umsatzsteuer ein, so fließt ein Großteil der Einnahmen den ärmeren Nachbarn zu – diese Verteilung ist dem eigentlichen Länderfinanzausgleich sozusagen vorgeschaltet. Hier hat Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr 2,4 Milliarden Euro Umsatzsteuer an andere Bundesländer überwiesen, im Gegenzug aber nur rund 200 Millionen Euro zurückerhalten. Die "Mär" vom Nehmerland Nordrhein-Westfalen stimme deshalb nicht, sagt Finanzminister Walter-Borjans.

    "Also, er argumentiert mir zu plakativ…"

    … hält Markus Optendrenk dagegen, haushaltspolitischer Sprecher der CDU-Opposition im Düsseldorfer Landtag. Er sieht sehr wohl einen Zusammenhang zwischen Finanzausgleich und solider Haushaltsführung. Denn entscheidend sei am Ende die Wirtschaftskraft des jeweiligen Bundeslandes, und da setzt die rot-grüne Landesregierung aus Sicht des Christdemokraten die falschen finanzpolitischen Signale:

    "Das, was jetzt im Moment gemacht wird, durch immer neue Belastungen der Unternehmen, ob das nun das neue Tariftreue- und Vergabegesetz oder das neue Klimaschutzgesetz sind, das sind Belastungen, die sich auf die Wirtschaftskraft, auf die Wettbewerbsfähigkeit negativ auswirken, und das wirkt sich dann auch auf die Steuerkraft aus. Das schwächt Nordrhein-Westfalen insgesamt, und das sieht man dann im Ergebnis im Länderfinanzausgleich."

    Geschwächt ist das bevölkerungsreichste Bundesland aber auch wegen seiner immensen Schulden. Zwar verspricht Rot-Grün bis 2020 eine Schuldenbremse in der Landesverfassung, doch im neuen Haushalt für das laufende Jahr steht NRW schon wieder mit rund 3,5 Milliarden Euro in den Miesen, trotz Rekordsteuereinnahmen. Angesichts dieser Haushaltspolitik fühlt sich Christdemokrat Optendrenk – ähnlich wie seine Parteifreunde von der CSU in Bayern – an griechische Verhältnisse erinnert:

    "Die Tatsache, dass diese Landesregierung nicht versteht, dass sie in das gleiche Dilemma rein läuft, als einzige Landesregierung in Deutschland, in das andere gekommen sind im Süden Europas, weil sie nicht auf die Ausgabenseite geachtet haben, sondern einfach weiter Wahlversprechen gegeben und erfüllt haben – das hier über die Verhältnisse gelebt wird, das ist wohl richtig."

    Ein vielleicht wahrer, aber doch sehr populistischer Vorwurf. Derer wird es die nächsten Monate viele geben. Denn – und auch das muss an dieser Stelle erwähnt sein: Es ist kein Zufall, dass Bayern und Hessen jetzt gegen den Länderfinanzausgleich klagen. In beiden Bundesländern läuft man sich für den Wahlkampf warm, in beiden Ländern werden im September neue Landtage gewählt.