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Genug gebaut - jetzt wird geforscht

Raumfahrt. - Nach dem der Ausbau der ISS-Raumstation abgeschlossen ist, geht es jetzt darum, zu forschen. Europas Weltraumorganisation ESA und das Raumfahrtunternehmen Astrium haben nun Abkommen unterzeichnet, die die Nutzung der ISS bis zum Jahr 2020 sicherstellen sollen.

Von Dirk Lorenzen | 13.12.2011
    ""Die Internationale Raumstation ist vollständig aufgebaut, ab jetzt wird geforscht."

    Die Erleichterung ist Jan Wörner anzusehen. Der Vorstandschef des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt ist heilfroh, dass seit dem Sommer dieses Jahres alle Module im All montiert sind. Beim Stichwort Internationale Raumstation denkt man künftig weniger an wacklige Shuttle-Flugpläne als mehr an wissenschaftliche Experimente. Es geht von der Aufbauphase in die Betriebsphase, betont auch Thomas Reiter. Er hat als Astronaut selbst fast ein halbes Jahr auf der Station zugebracht und ist nun ESA-Direktor für bemannte Raumfahrt:

    "Betrieb heißt, dass man die ISS für ihren ursprünglichen Zweck nutzt, nämlich die Durchführung von wissenschaftlicher Forschung. Im Inneren befinden sich eine Vielzahl von Laboratorien: Von japanischer Seite, von europäischer Seite das Columbus-Labor natürlich, von russischer und amerikanischer Seite. Dort werden also tagtäglich eine Vielzahl von Experimenten durchgeführt. Allein von europäischer Seite her inzwischen zweihundert Experimente, über 800 Experimente seit 2001 insgesamt."

    Zwar ist die ISS nicht ganz so umfangreich wie ursprünglich geplant – aber knapp vierhundert Tonnen Masse und ein Rauminhalt von der Größe eines Jumbojets lassen sich durchaus sehen. Die sechs Menschen an Bord haben jedenfalls genügend Platz zum Leben und Arbeiten.

    "Mit der Ankunft von insgesamt sechs Personen hat sich natürlich der Anteil der Zeit, die für Forschung aufgewendet werden kann, massiv erhöht. Man braucht statistisch gesehen die Arbeitskraft von zweieinhalb Personen, um die Station am Laufen zu halten. Also kann man sagen, dass inzwischen im Prinzip drei, dreieinhalb Personen ganztags für die Forschung dort oben beschäftigt sind."

    So ist aus der gefühlt ewigen Baustelle im All nun das himmlische Forschungslabor geworden. Die Experimente an Bord haben ebenso Grundlagenforschung im Bereich Physik, Biologie oder Medizin zum Thema als auch die stark anwendungsbezogene Entwicklung neuer Werkstoffe und Technologien. Da geht es unter anderem um die Vorgänge im Innern der Erde, das Verhalten von Flüssigkeiten, das Züchten von Proteinkristallen oder um Pflanzenwachstum in der Schwerelosigkeit. Jetzt hat Europas Weltraumorganisation ESA den organisatorischen Betrieb der Forschung im All in diesem und im kommenden Jahr zum Festpreis von insgesamt 240 Millionen Euro an das Unternehmen Astrium vergeben.

    "Wir machen die Wissenschaft möglich. Das heißt also, die Industrie ist dafür zuständig, um die Experimentanlagen zu bauen, auch die Experimente zum Teil selber zu bauen – nach den Vorgaben der Wissenschaftler, das heißt also faktisch, deren Gedanken und das, was sie in terrestrischen Laboren machen, in ein Weltraumlabor zu übertragen."

    Michael Menking ist Direktor für bemannte Raumfahrt und Weltraumerkundung bei Astrium, der Firma, die einst Europas Raumlabor Columbus gebaut hat. Das Astrium-Team hat viel Erfahrung im Weltraum; denn es ist sehr viel zu bedenken, wenn man aus einer Idee am Boden ein Experiment in der Umlaufbahn machen will.

    "Welche Ressourcen brauche ich? Wie viel Astronautenzeit brauche ich? Brauche ich Wasser? Brauche ich Kühlung? Welche Datenströme habe ich? Dann natürlich alles, was mit der Logistik zu tun hat: Wie bringe ich meine Experimente zur Internationalen Raumstation? Da gibt es zum einen aus europäischer Sicht das Fahrzeug ATV, aber es gibt auch Partnerfahrzeuge wie das japanische HTV oder die russischen Progress. Dann wird im Endeffekt oben das Experiment durchgeführt. Da unterstützen wir mit, über unsere Expertise. Ja und dann müssen die Daten wieder zurück zur Erde kommen und zum Teil auch die Experimente selber werden dann dort ausgewertet. Und das ist sozusagen einmal ein kleines Beispiel für einen Zyklus, was unter Betrieb zu verstehen ist."

    Die Nutzung der Raumstation soll jetzt deutlich kostengünstiger erfolgen als der Aufbau. Die ESA hat dem Unternehmen in Aussicht gestellt, dass es bis zum Jahr 2020 den Betrieb organisiert, verlangt aber eine Kostensenkung um dreißig Prozent. Denn während die Forschung in der Schwerelosigkeit in Deutschland große Bedeutung hat, stellen sich manche der europäischen Partner quer, bedauert DLR-Chef Jan Wörner:

    "Insbesondere auf der Seite der Italiener und Franzosen. Die haben andere Interessen im Moment in den Vordergrund gestellt, vor allem Launcher, also Raketen. Aber wir werden jetzt versuchen im Rahmen der Vorbereitung für die internationale Ministerratskonferenz auch wieder eine gemeinsame solidarische Lösung zu entwickeln."

    In Deutschland will man jetzt die Früchte des jahrelangen Aufbaus der Raumstation einfahren. Doch in Frankreich denkt man lieber über eine Neuentwicklung der Ariane-Rakete und in Italien über die kleine Vega-Rakete nach. In diesen Staaten interessiert sich die Raumfahrtpolitik weniger für die Forschung im All – es geht wohl mehr darum, die heimische Industrie zu beschäftigen. Im Herbst 2012 kommen die Raumfahrtminister alle ESA-Staaten zum dreijährlichen Treffen zusammen und legen die künftige Marschroute fest. Da wird Deutschland keinen leichten Stand haben. Bisher heißt es bei den Partnern in aller Welt, die Raumstation werde bis zum Jahr 2020 in Betrieb sein – dabei ist es durchaus möglich, dass sie noch länger am Himmel ihre Kreise zieht.

    "Im Moment reden alle über 2020. Die Russen haben gesagt, sie können sich auch eine längere Nutzung vorstellen. Wenn man optimistisch ist, dann wird man 2025 sagen, wenn man pessimistisch ist, eher 2020. Wichtig aber ist, dass wir auch schon heute langsam anfangen darüber nachzudenken, was ist danach. Denn wir werden Experimente und Untersuchungen in der Schwerelosigkeit auch nach diesem Zeitpunkt brauchen, weil sie einfach zu wichtig sind."