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Geogefahren
Expertenkomitee empfiehlt neuen Welt-Risikorat

Geowissenschaften. - Eine relativ moderate Eruption des isländischen Eyjafjallajökull legte im Frühjahr 2010 den europäischen Flugverkehr lahm. Der Ausbruch zeigte, dass unsere moderne Gesellschaft auf Ereignisse wie Vulkanausbrüche schlecht vorbereitet ist. Experten mahnen jetzt in einem Weißbuch über Geo-Gefahren eine bessere globale Risikovorsorge an.

Von Volker Mrasek | 16.10.2014
    Brodelnder Lava-See des Nyiragongo Vulkans
    Vulkane, wie hier der Nyiragongo in der Republik Kongo, gehören zu den geologischen Großrisiken. (picture alliance / Yannick Tylle)
    Im Jahr 1783 bricht auf Island der Laki aus. Lava bedeckt am Ende fast 600 Quadratkilometer Land. Noch im Jahr danach verdunkelt Vulkan-Schwebstaub den Himmel. Missernten sind die Folge, viele Menschen verhungern.
    "Der Ausbruch des Laki tötete fast ein Viertel der isländischen Bevölkerung - über 9000 Menschen. Heute gäbe es in einem solchen Fall viel mehr Opfer."
    Hans-Peter Plag, Geophysiker und Professor an der staatlichen Old Dominion University im US-Bundesstaat Virginia. Drei Jahrzehnte nach der Laki-Eruption kommt es noch schlimmer. In Indonesien bricht 1815 der Tambora aus und produziert gigantische Aschemengen. Diesmal sind die Ernteausfälle noch viel größer.
    "100.000 Menschen starben schätzungsweise. Heute läge die Zahl der Todesopfer vermutlich nahe einer Million."
    Plag möchte niemanden verängstigen, wie er sagt. Sondern die Gesellschaft dazu bringen, bestimmte Naturgefahren ernster zu nehmen. Der deutsche Forscher, der schon lange in den USA arbeitet, spricht von "extremen Geo-Risiken". Und meint damit in erster Linie so verheerende Vulkanausbrüche wie die des Laki und Tambora.
    "Die heutige Risikovorsorge orientiert sich an Naturdesastern, wie wir sie selbst schon erlebt haben. Wir sollten aber auch für größere Katastrophen gerüstet sein, die zwar sehr selten sind und hoffentlich ausbleiben. Doch wenn sie kämen, wären wir darauf nicht vorbereitet."
    Menschheit sollte für große Naturkatastrophen gerüstet sein
    Seit dem Jahr 2002 gibt es ein Zwischenstaatliches Forum für Erdbeobachtung mit Sitz in Genf. 90 Regierungen und knapp 80 Fachorganisationen gehören ihm an. Ein Expertenkomitee des Forums hat jetzt ein Weißbuch über Geo-Gefahren verfasst. Und mahnt darin eine bessere globale Risikovorsorge an. Hans-Peter Plag zählt zu den Autoren des Papiers. Eine der Empfehlungen ist es, ein globales Fachgremium einzurichten für die Bewertung von Risiken durch Naturgefahren:
    "Wie der Weltklimarat würde dieser Ausschuss regelmäßig die aktuelle Forschung auswerten und Ideen entwickeln, wie wir mit großen Naturkatastrophen umgehen können. Nehmen wir zum Beispiel die Welternährung: Was machen wir, wenn wir durch einen starken Vulkanausbruch ein oder zwei Ernten verlieren?"
    Die zweite Empfehlung der Experten: Die Staatengemeinschaft solle ein weltweites Überwachungs- und Frühwarnsystem für Vulkanausbrüche einrichten. Mit zusätzlichen Radarsatelliten im All, die Verformungen der Erdkruste erfassen, wie sie bei aktiven Vulkanen vorkommen. Und mit einem globalen Netz aus Infraschall-Sensoren. Diese Geräte registrieren Schallwellen, die unterhalb unserer Hörgrenze liegen. Dazu die italienische Geophysikerin Paola Campus von der Europäischen Wissenschaftsstiftung ESF:
    "Infraschall ist äußerst nützlich, wenn es darum geht, die Aktivität eines Vulkans einzuschätzen. Die Gase, die aus seinem Kegel strömen, erzeugen eine Art Pumpeffekt in der Atmosphäre, und dabei entstehen Infraschall-Wellen. Wenn man sie überwacht, hilft das bei der Einschätzung, ob ein Vulkan eher ruhig ist oder ob sich die Lage zuspitzt."
    Ein solches Infraschall-Netz existiert ohnehin schon. Mit weltweit 60 Stationen, von denen einige noch im Aufbau sind. Nur dienen sie einem anderen Zweck: der Überwachung von Kernwaffen-Tests. Paola Campus und ihre Kollegen hoffen aber, daß auch sie Zugang zu diesen Daten erhalten. Das neue Weißbuch über extreme Geo-Risiken soll in Kürze den Regierungen vorgelegt werden. Sie müssen dann entscheiden, ob sie den Expertenvorschlägen folgen. Einen Haken hat die Sache: Ob sich Vulkanausbrüche wirklich frühzeitig ankündigen, vielleicht sogar Jahre im voraus – das ist in der Fachwelt noch umstritten. Aber klar ist auch: Die Daten aus einer globalen Vulkan-Überwachung würden auch die Forschung auf diesem Feld voranbringen.