Für die Frauen gab es manchmal einen Eierlikör oder eine Schachtel Pralinen, für die Männer auch etwas Härteres. Bei den regelmäßigen Treffen zwischen dem Führungsoffizier und seinem Informanten sollte eine behagliche Atmosphäre herrschen, im besten Fall wurde die konspirative Wohnung zu einer zweiten Heimat mit Sofa und Beistelltisch, an dem man über Gott und die Welt reden konnte.
Je sicherer sich der Informant selbst fühlte, desto wertvoller war er für den, an den er seine Informationen abgeliefert hat. Es war das eine der Binsenweisheiten der Staatssicherheit, und dieser Maßgabe wurde auch die Auswahl und die Einrichtung einer konspirativen Wohnung untergeordnet.
Eine solche Wohnung war, zumindest für einige Stunden, ein Nicht-Ort, ein Treffpunkt der Namenlosen, die für den Moment Schulze, Meyer oder Lehmann hießen. Die Stadt Erfurt mit ihren 220.000 Einwohnern hatte knapp 500 solcher Wohnungen, und im Rahmen dieser Ausstellung sind sie nun als rote Punkte auf einem Stadtplan verteilt.
"Die Staatssicherheit hat überwiegend Wohnungen von ehemaligen SED-Genossen genommen, da hat man schon sicher gestellt, dass diese Inhaber dieser konspirativen Wohnungen nicht selber gelauscht haben - in der Regel war es auch so, dass der Wohnungsbesitzer während der Zeit seine Wohnung verlassen sollte, es gab ein Regime mit Legenden und irgendwelchen ausgedachten Geschichten, wo begründet wurde, warum läuft der Sowieso in dieses Haus, in diese Haustür hinein, da hatte der jederzeit ’ne andere Ausrede parat."
Die Historikerin Andrea Herz gehört zu jenen, die dieses Kunstprojekt als Wissenschaftlerin mit betreut haben. Den entscheidenden künstlerischen Beitrag liefert Pam Skelton aus London, die sich in den letzten Jahren mehrfach mit der Topologie verwundeter, von politischer Geschichte gezeichneter Orte beschäftigt hat. So hat sie das heutige Tschernobyl und seine ewige Stunde Null dokumentiert, und sie ist, so wie jetzt auch in Erfurt, den Hinterlassenschaften der kommunistischen Ordnung an verschiedenen Orten Osteuropas nachgegangen.
Mit ihren Arbeiten war sie in renommierten Galerien und Ausstellungen vertreten. Hier in Erfurt sieht man nun eine wie endlos in Serie geschaltete Folge von Videoaufnahmen, auf denen jene Häuser und vor allem Neubaublocks zu sehen sind, in denen sich einst die konspirativen Wohnungen befanden. Natürlich, es geht um die Leerstellen im urbanen Gedächtnis, die ja seit einigen Jahren unentwegt und meist in ähnlichen Floskeln beschworen werden. Auch Pam Skeltons Konzept ist insofern wenig überraschend:
"Ich bin sehr interessiert an Gebäuden, an Architektur, an den Hüllen, die sich um unsere Körper legen und Gebäude enthalten Erinnerungen, Plätze enthalten Erinnerungen und in vielen meiner Projekte versuche ich diese Ströme zu finden, dieser Spur der Erinnerung nachzugehen."
Man weiß schon: Die stumme Gewalt der Bilder, unter denen dann sekundenlang eine entsprechende Zuordnungsnotiz aus der Stasi-Kartei aufleuchtet, soll den Betrachter überwältigen, soll seinen Selbsbefragungsstrom in Gang setzen. Denn man sieht ja diesen, von Pam Skelton in den Jahren 2004 bis 2006 gefilmten Häusern ihr dunkles Geheimnis nicht an. Es sind Neubaublocks oder Altbauten, und irgendwo da, hinter diesem oder jenem Fenster, hat also vor zwanzig Jahren der eine seinen besten Freund, der andere seine eigene Ehefrau ans Messer geliefert. Doch diese Bilder von mittlerweile renovierten Allerweltshäusern erzählen nicht - sie raunen nur. Man ist wohl erschrocken, wie viele konspirative Wohnungen es in Erfurt gab, aber diese Erfahrung hat man ja schon vor dem nachgestellten Erfurter Stadtplan mit seinen hunderten roten Punkten gemacht. Die Kunst verlässt sich hier allzu sehr auf die Kraft der reinen Dokumentation, des reinen Da-und-genau-da-ist-es gewesen, aber sie verzichtet auf jede Überhöhung, auf jeden Bruch.
Zu viel schon haben wir in den letzten Jahren, mal auf der Sonnenallee, mal aus dem Birthler-Haus, über das System der Staatssicherheit erfahren. Und wir wissen seit dem Film über das Leben der anderen auch von der Einsamkeit des Spitzels auf dem konspirativen Dachboden. Das, was an Untertönen oder Perspektivverschiebungen beim Thema Staatssicherheit möglich wäre, wird in der Erfurter Ausstellung allenfalls und in Ansätzen von der beigegebenen Audiostation geleistet. Zwei der Künstler sind mit erinnerungswilligen und gesprächsbereiten Erfurter Bürgern durch die Stadt gezogen und haben sie über die Stasi und die untergegangene DDR reflektieren lassen.
"Mein Führungsoffizier war ein guter Schulkamerad von mir, wir brauchten also keine besonderen Rituale zu pflegen, wenn wir uns im freien getroffen haben, haben wir unsere Zigarette geraucht und dann ging er wieder nach Hause, oder fuhr nach hause, und wenn wir uns in einer konspirativen Wohnung getroffen haben wurde ein Kaffee getrunken und dann ging es wieder auseinander wir kannten uns schon aus der Schulzeit das war insofern etwas einfacher, und wenn ein anderer da war wurde der auch vorgestellt durch den Manfred."
Solch freimütige Auskünfte aus der Mein-Kumpel-Manfred-Perspektive des Informanten sind dabei allerdings die Ausnahme. Öfter hört man Erfurter Poeten, die ihre Nachwendeballaden erwartungsgemäß Wolf Biermann widmen, oder man erfährt etwas über die Strategien der Stasi, in Kirchengruppen durch gezielt gestreute Gerüchte eine Atmosphäre des Mißtrauens zu schaffen. Es sind Episoden, die man so oder ähnlich schon gehört hat und sich nun halt noch einmal anhört. Warum es aber in diesem Teil der Stadt Erfurt mehr konspirative Wohnungen gab als in jenem, wer warum und für welchen Lohn seine Wohnung stundenweise an die Stasi vermietet hat, all das erfährt man aus der zur Ausstellung erschienenen Broschüre der drei Wissenschaftler Heinrich Best, Joachim Heinrich und Heinz Mestrup. Hier findet man jene Statistiken und Beweisführungen, um die herum das Kunstprojekt "Konspirative Wohnungen" eine Geografie der Überwachung hätte entwerfen können. Mit dem ästhetischen Konzept einer Stadtrundfahrt ist ein solcher Plan dann aber doch nicht zu verwirklichen.
Je sicherer sich der Informant selbst fühlte, desto wertvoller war er für den, an den er seine Informationen abgeliefert hat. Es war das eine der Binsenweisheiten der Staatssicherheit, und dieser Maßgabe wurde auch die Auswahl und die Einrichtung einer konspirativen Wohnung untergeordnet.
Eine solche Wohnung war, zumindest für einige Stunden, ein Nicht-Ort, ein Treffpunkt der Namenlosen, die für den Moment Schulze, Meyer oder Lehmann hießen. Die Stadt Erfurt mit ihren 220.000 Einwohnern hatte knapp 500 solcher Wohnungen, und im Rahmen dieser Ausstellung sind sie nun als rote Punkte auf einem Stadtplan verteilt.
"Die Staatssicherheit hat überwiegend Wohnungen von ehemaligen SED-Genossen genommen, da hat man schon sicher gestellt, dass diese Inhaber dieser konspirativen Wohnungen nicht selber gelauscht haben - in der Regel war es auch so, dass der Wohnungsbesitzer während der Zeit seine Wohnung verlassen sollte, es gab ein Regime mit Legenden und irgendwelchen ausgedachten Geschichten, wo begründet wurde, warum läuft der Sowieso in dieses Haus, in diese Haustür hinein, da hatte der jederzeit ’ne andere Ausrede parat."
Die Historikerin Andrea Herz gehört zu jenen, die dieses Kunstprojekt als Wissenschaftlerin mit betreut haben. Den entscheidenden künstlerischen Beitrag liefert Pam Skelton aus London, die sich in den letzten Jahren mehrfach mit der Topologie verwundeter, von politischer Geschichte gezeichneter Orte beschäftigt hat. So hat sie das heutige Tschernobyl und seine ewige Stunde Null dokumentiert, und sie ist, so wie jetzt auch in Erfurt, den Hinterlassenschaften der kommunistischen Ordnung an verschiedenen Orten Osteuropas nachgegangen.
Mit ihren Arbeiten war sie in renommierten Galerien und Ausstellungen vertreten. Hier in Erfurt sieht man nun eine wie endlos in Serie geschaltete Folge von Videoaufnahmen, auf denen jene Häuser und vor allem Neubaublocks zu sehen sind, in denen sich einst die konspirativen Wohnungen befanden. Natürlich, es geht um die Leerstellen im urbanen Gedächtnis, die ja seit einigen Jahren unentwegt und meist in ähnlichen Floskeln beschworen werden. Auch Pam Skeltons Konzept ist insofern wenig überraschend:
"Ich bin sehr interessiert an Gebäuden, an Architektur, an den Hüllen, die sich um unsere Körper legen und Gebäude enthalten Erinnerungen, Plätze enthalten Erinnerungen und in vielen meiner Projekte versuche ich diese Ströme zu finden, dieser Spur der Erinnerung nachzugehen."
Man weiß schon: Die stumme Gewalt der Bilder, unter denen dann sekundenlang eine entsprechende Zuordnungsnotiz aus der Stasi-Kartei aufleuchtet, soll den Betrachter überwältigen, soll seinen Selbsbefragungsstrom in Gang setzen. Denn man sieht ja diesen, von Pam Skelton in den Jahren 2004 bis 2006 gefilmten Häusern ihr dunkles Geheimnis nicht an. Es sind Neubaublocks oder Altbauten, und irgendwo da, hinter diesem oder jenem Fenster, hat also vor zwanzig Jahren der eine seinen besten Freund, der andere seine eigene Ehefrau ans Messer geliefert. Doch diese Bilder von mittlerweile renovierten Allerweltshäusern erzählen nicht - sie raunen nur. Man ist wohl erschrocken, wie viele konspirative Wohnungen es in Erfurt gab, aber diese Erfahrung hat man ja schon vor dem nachgestellten Erfurter Stadtplan mit seinen hunderten roten Punkten gemacht. Die Kunst verlässt sich hier allzu sehr auf die Kraft der reinen Dokumentation, des reinen Da-und-genau-da-ist-es gewesen, aber sie verzichtet auf jede Überhöhung, auf jeden Bruch.
Zu viel schon haben wir in den letzten Jahren, mal auf der Sonnenallee, mal aus dem Birthler-Haus, über das System der Staatssicherheit erfahren. Und wir wissen seit dem Film über das Leben der anderen auch von der Einsamkeit des Spitzels auf dem konspirativen Dachboden. Das, was an Untertönen oder Perspektivverschiebungen beim Thema Staatssicherheit möglich wäre, wird in der Erfurter Ausstellung allenfalls und in Ansätzen von der beigegebenen Audiostation geleistet. Zwei der Künstler sind mit erinnerungswilligen und gesprächsbereiten Erfurter Bürgern durch die Stadt gezogen und haben sie über die Stasi und die untergegangene DDR reflektieren lassen.
"Mein Führungsoffizier war ein guter Schulkamerad von mir, wir brauchten also keine besonderen Rituale zu pflegen, wenn wir uns im freien getroffen haben, haben wir unsere Zigarette geraucht und dann ging er wieder nach Hause, oder fuhr nach hause, und wenn wir uns in einer konspirativen Wohnung getroffen haben wurde ein Kaffee getrunken und dann ging es wieder auseinander wir kannten uns schon aus der Schulzeit das war insofern etwas einfacher, und wenn ein anderer da war wurde der auch vorgestellt durch den Manfred."
Solch freimütige Auskünfte aus der Mein-Kumpel-Manfred-Perspektive des Informanten sind dabei allerdings die Ausnahme. Öfter hört man Erfurter Poeten, die ihre Nachwendeballaden erwartungsgemäß Wolf Biermann widmen, oder man erfährt etwas über die Strategien der Stasi, in Kirchengruppen durch gezielt gestreute Gerüchte eine Atmosphäre des Mißtrauens zu schaffen. Es sind Episoden, die man so oder ähnlich schon gehört hat und sich nun halt noch einmal anhört. Warum es aber in diesem Teil der Stadt Erfurt mehr konspirative Wohnungen gab als in jenem, wer warum und für welchen Lohn seine Wohnung stundenweise an die Stasi vermietet hat, all das erfährt man aus der zur Ausstellung erschienenen Broschüre der drei Wissenschaftler Heinrich Best, Joachim Heinrich und Heinz Mestrup. Hier findet man jene Statistiken und Beweisführungen, um die herum das Kunstprojekt "Konspirative Wohnungen" eine Geografie der Überwachung hätte entwerfen können. Mit dem ästhetischen Konzept einer Stadtrundfahrt ist ein solcher Plan dann aber doch nicht zu verwirklichen.