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Geographisches Täterprofil

Biologie. - Geografische Täterprofile gehören zum Handwerkszeug jeder Polizei, jetzt wenden britische Biologen diese Instrumente auf die Beobachtung invasiver Arten an. Denn Neuankömmlinge, die sich daneben benehmen und ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen, folgen offenbar ähnlichen Prinzipien wie Schwerverbrecher.

Von Volker Mrasek | 23.02.2012
    Keine Angst! Steve Le Comber ist kein Serienkiller! Aber der Evolutionsbiologe von der Queen Mary University in London tut einfach mal so. Um zu veranschaulichen, worüber er forscht:

    "Wenn ich ein Serienmörder wäre, würde ich wahrscheinlich Menschen in London umbringen und dafür nicht nach Berlin oder Hamburg fahren. Das kostet nämlich Zeit und Geld. Also mache ich das eher nicht."

    Das ist Punkt Nummer eins, wenn Polizei-Ermittler das geographische Profil von Serientätern erstellen: Ihre Verbrechen begehen sie in der Regel nicht übermäßig weit von ihrem Wohnort entfernt.

    "Andererseits würde ich niemanden in meiner Straße umbringen. Zeugen könnten mich erkennen. Sie würden sagen: Das ist der Kerl aus Nr. 95. Die Polizei wäre im Handumdrehen da."

    Das ist die zweite Komponente des räumlichen Täterprofils: eine Tabuzone um das eigene Zuhause.

    "Also, ich begehe Verbrechen nicht zu nah am Wohnort und auch nicht zu weit davon entfernt. Man kann nun ein mathematisches Modell mit dem räumlichen Muster von Tatorten füttern und daraus ein Geo-Profil des Täters ableiten. Es liefert einem Zonen auf der Landkarte, in denen er mit größter Wahrscheinlichkeit wohnen dürfte. Man kann sich dann auf Verdächtige in diesen Regionen konzentrieren."

    Steve Le Comber möchte mit der bewährten Fahndungsmethode keine Kriminellen einfangen. Der Biologe glaubt, daß Geo-Profile auch auf einem ganz anderen Feld nützlich wären: im Kampf gegen die Ausbreitung von eingeschleppten Tier- und Pflanzenarten. Und zwar solchen, die als Risiko gelten, weil sie einheimische Arten verdrängen oder auf andere Weise Schaden anrichten. Die Tatorte entsprechen dabei den Stellen, an denen eine invasive Art auftritt. Und der Wohnort dem Ausgangspunkt der Invasion. Der Kniff mit der Tabuzone funktioniert auch bei Pflanzen und Tieren. Einfach deshalb, weil die Zahl geeigneter Habitate für die Ausbreitung in alle Himmelsrichtungen mit der Entfernung vom Startpunkt wächst ...

    "Nehmen wir als Beispiel die Herkulesstaude, eine lästige invasive Pflanze. Sie kommt heute an vielen Standorten in Großbritannien vor. Aber nicht alle sind Trittsteine für die weitere Ausbreitung der Art. Bei manchen Populationen fehlen geeignete Standortbedingungen in der Umgebung. Man würde also gerne wissen: An welchen Stellen ist es wichtig, die Pflanze auszumerzen?"

    Täter-Profile nach dem Vorbild der Verbrecherjagd könnten dabei helfen. Steven Le Comber ist davon überzeugt, nachdem seine Arbeitsgruppe die Methode erfolgreich getestet hat. Dafür wählte sie über 50 invasive Arten, über deren Ausbreitung man gut Bescheid weiß, weil sie schon lange in einer Datenbank festgehalten wird. Mit ihrem mathematischen Modell rechneten die Biologen dann rückwärts in der Zeit. Sie erstellten Geo-Profile der Arten und versuchten mit ihrer Hilfe, die Ausgangspunkte der Invasionen einzugrenzen. Vom dem Ergebnis ist auch Tim Blackburn beeindruckt, der Direktor des Londoner Instituts für Zoologie – ein Experte für invasive Arten:

    "Steve und seine Kollegen sind die Ersten, die die Täterprofil-Methode auf invasive Arten anwenden. Und sie liefert wesentlich bessere Ergebnisse als die Verfahren, die wir zur Zeit benutzen. Als besonders nützlich könnten sich Geo-Profile im Kampf gegen Krankheitserreger erweisen. Sie werden ja auch eingeschleppt. Denken Sie zum Beispiel an die Vogelgrippe! Eine Methode zu haben, mit der man die Quellen solcher Erreger aufspüren und ihre Ausbreitung vor Ort dann eindämmen kann - das wäre außerordentlich wichtig!"

    In Großbritannien breitet sich seit Monaten eine fremde Stechmücke aus. Steven Le Combers Team ist gerade dabei, ein Geo-Profil der Art zu erstellen. Um zu ermitteln, wie und wo das Insekt eingeschleppt wurde. Es ist die erste praktische Bewährungsprobe für die neue Methode der Fahndung nach invasiven Arten.