Samstag, 04. Mai 2024

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Georadar macht römische Stadt sichtbar
"Diese Technik kann eine ganze Stadt wieder auferstehen lassen"

Wissenschaftlern ist es erstmals gelungen eine antike Siedlung zu erforschen, ganz ohne Grabungsarbeiten - mithilfe eines Georadars. Das Verfahren ermögliche auch einen Blick in verschiedene Phasen der Stadtentwicklung, erläuterte der beteiligte Archäologe Lieven Verdonck im Dlf.

Lieven Verdonck im Gespräch mit Monika Seynsche | 09.06.2020
Rekonstruierte Konturen der römischen Stadt Falerii Novi auf der Grundlage einer Georadar-Analyse
Rekonstruierte Konturen der römischen Stadt Falerii Novi auf der Grundlage einer Georadar-Analyse (AFP PHOTO / L. Verdonck / University of Cambridge)
Mit Hilfe eines Bodenradars haben Archäologen aus Belgien und Großbritannien die verschüttete römische Stadt Falerii Novi als 3-D-Modell wiederauferstehen lassen. Dabei hätten sie neue Erkenntnisse über den Städtebau und die Architektur der damaligen Zeit gewonnen, erläuterte Lieven Verdonck von der belgischen Universität Gent im Dlf-Interview.
Die Stadt Falerii Novi liegt in der italienischen Region Latium rund 50 Kilometer nördlich von Rom. Nach ihrer Gründung im Jahr 241 vor Christus war sie bis zum frühen Mittelalter bewohnt und ist nun seit Jahrhunderten unter der Erde begraben.
Monika Seynsche: Herr Lieven Verdonck, wie funktioniert ein Georadar?
Lieven Verdonck: Im Prinzip wie ein normales Radar etwa am Flughafen. Es wird eine Radiowelle losgeschickt, in diesem Fall in den Boden, und diese Welle trifft auf die Strukturen unter der Erde, die die Welle zurück zum Radar reflektieren. Aus diesen Reflektionen können wir auf das schließen, was da vergraben liegt. Wenn alles gut geht. Es braucht gute Bedingungen, der Boden muss zum Beispiel der richtige sein und darf nicht zu feucht sein. Wenn es gut funktioniert liefert es uns wirklich spektakuläre Aufnahmen von den Dingen unter der Erde von denen oberirdisch nichts zu sehen ist. So kann diese Technik eine ganze Stadt wieder auferstehen lassen.
"Falerii Novi war keine Standardstadt"
Seynsche: Das haben Sie in Falerii Novi gemacht. Können Sie mir etwas über diese Stadt erzählen? Wer lebte dort und was war das für eine Stadt?
Lieven Verdonck: Die Stadt wurde im 3. Jahrhundert vor Christi gegründet. Zu dieser Zeit begann gerade die Phase der Urbanisierung. Es gab schon Städte, aber diese entwickelten sich noch. Und das ist die interessante Frage für uns: Was waren die Ursprünge solcher römischen Städte? Wie haben sie sich dann weiterentwickelt? Die meisten Leute stellen sich bei römischen Städten so was wie Pompeii oder Ostia vor. Aber wenn wir uns unsere Stadt hier genauer anschauen, sehen wir dass sie sich deutlich von diesen beiden Städten unterscheidet.
Falerii Novi war keine wirkliche Standardstadt. Natürlich gibt es Gebäude, die man in jeder römischen Stadt findet, wie etwa ein Theater, ein öffentliches Bad oder ein Marktgebäude. Aber es gibt auch Unterschiede. Zum Beispiel haben wir im äußeren Bereich der Stadt acht oder neun Tempel gefunden, die an die Stadtmauern grenzen. Da stellt sich natürlich die Frage: Warum sind da so viele Tempel? Zumal wir in einer ähnlichen Stadt etwas weiter südlich, die wir mit der gleichen Methode untersucht haben, keinen einzigen Tempel gefunden haben. Also gab es in Städten von ähnlicher Größe große kulturelle und architektonische Unterschiede.
Ein anderes Beispiel sind ganz einzigartige Gebäude in Falerii Novi, die wir so noch in keiner anderen römischen Stadt gefunden haben. Eines davon ist ein großes rechteckiges Haus, fast 100 Meter lang, das von einem sehr besonderen doppelten Säulengang umgeben ist. Wir vermuten, dass es als öffentliches Monument diente. Unsere Ergebnisse zeigen also, dass sich sowohl der zugrundeliegende Stadtplan, also auch einzelne Gebäude deutlich von den Funden in Pompeii und anderen Ausgrabungsstätten unterscheidet.
Hypothesen über die verschiedenen Phasen der Stadt
Seynsche: Und wie können Sie in unterschiedliche Tiefen der Geschichte dieser Stadt schauen? Wie bekommen Sie ein 3-D-Bild von der Stadt und dem was dort über die Jahrhunderte hinweg passiert ist?
Lieven Verdonck: Das ist ein spezielles Feature unseres Georadar-Instruments. Anders als andere geophysikalische Instrumente kann es auch einen 3-D-Blick liefern, denn es gibt uns auch Informationen zur Tiefe. Die Reflektionen, die wir sehen werden von Objekten in unterschiedlichen Tiefen zurückgeworfen. Und indem wir die Zeit messen, die eine Welle braucht, um in den Boden zu dringen und wieder zurück zu kommen, erfahren wir, in welcher Tiefe welches Objekt liegt. Damit können wir horizontale Schichten durch den Boden erzeugen.
Das könnte man fast mit Ausgrabungsplänen aus verschiedenen Tiefen vergleichen. Wir können also Hypothesen über die verschiedenen Phasen der Stadt aufstellen, also die früheste Phase als die ersten Siedler ankamen. Und dann die späteren Ergänzungen der Stadt oder Veränderungen. Wobei die tiefsten Schichten nicht unbedingt die ältesten Schichten sind. Zum Beispiel wenn der Boden nachträglich gestört wurde. Da brauchen wir dann noch viele zusätzliche Informationen, um die Daten unserer Feldarbeit richtig zu interpretieren und ein wirkliches 3-D-Bild zu erhalten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.