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Geordnetes Chaos als Prinzip

Ein umgedrehtes Fahrrad in einer Kunsthalle weckt Assoziationen an Picassos Fahrradlenker als Stierkopf mit Hörnern oder Marcel Duchamps einzelnes Rad mit Speichen auf Hocker. Der Künstler Jonathan Monk stellt im Kunstverein Hannover aus und scheint solche Zitate aus der Kunstgeschichte zu lieben. Er holt aber die Werke zurück in die menschliche Lebenswelt, er holt sie herunter vom Sockel und verändert sie.

Von Carsten Probst |
    Von sich selbst sagt der 38-jährige Jonathan Monk, dass er von Reproduktionen fasziniert und eigentlich ein Romantiker sei. Dabei unterschlägt er allerdings, dass sich sein Werk vor allem auch durch einen feinen, manchmal etwas vertrackten Humor auszeichnet. Als Künstler benutze ich stets nur das, was da ist, sagt Monk ganz lapidar. Er versuche, sich die Sichtweisen anderer anzueignen, er mache beispielsweise Fotografien ungern selbst, sondern lasse sie am liebsten von anderen machen. Hier beginnt bereits der Humor Monkscher Prägung. Denn es gibt Werke, die er geschaffen hat, die er selbst nicht einmal kennt. Er hat die Idee anderen weitergegeben, die sie dann für ihn ausgeführt haben, Ergebnis unbekannt. Doch halten wir uns lieber an die Dinge, die wir sehen können, insbesondere bei dieser ziemlich großen Ausstellung im Kunstverein Hannover, die wohl die erste wirklich umfassende Werkschau des 1967 geborenen Briten mit Wohnsitz in Berlin ist.

    Was des Künstlers Vorliebe für Reproduktionen anbelangt, lassen sich hier ziemlich viele typische "Monks" besichtigen: Sein "Selbstportrait Nummer 6" beispielsweise zählt gewiss zu den sinnfälligsten Beispielen für seine ironische Begabung, mit der er zugleich immer wieder die jüngste Kunstgeschichte gegen den Strich bürstet. Insbesondere die Konzeptkunst und die Minimal Art haben es ihm angetan.

    Für sein "Selbstportrait Nummer 6" ließ er zunächst ein bewusst amateurhaftes Portraitfoto von sich knipsen: Etwas unbeholfen lächelnd, mit roten Augen und gepflegter Unschärfe. Das Negativ ließ er dann von fünfzig verschiedenen Fotolaboren in aller Welt entwickeln (so behauptet es zumindest die Werksbeschreibung), und die fünfzig Abzüge, die nun in kleinen Rahmen an der Wand hängen, sind so unterschiedlich in ihrer Belichtung, Farbigkeit und Schärfe, dass man beinah vergessen könnte, dass es sich hier um das immerselbe Bild handelt. Während bei dieser Reihe die Variationen innerhalb des ständig Wiederholten noch offensichtlich sind, bedarf es bei anderen Bildern schon einer gewissen Erläuterung: "One in ten in one" enthält zehn mittelgroße Bilderrahmen mit demselben Motiv: Der Vorderseite einer Verpackung für Fotopapier. Unterschiede zwischen den einzelnen Bildern sind nicht zu erkennen Von der Hinweistafel daneben erfährt man, dass Monk zunächst die Verpackung fotografiert und dann dieses Foto auf den zehn Bögen Fotopapier entwickelt hat, die die Verpackung enthielt. Das mag zum einen als erheiternde Sinnlosigkeit erscheinen, deren Skurrilität man sich wohl kaum entziehen kann, ohne nicht ein wenig die Lippen zu verziehen. Vor allem thematisiert Monk jedoch dadurch den ganzen Wust theoretischer Probleme, die die Konzeptkunst seit den sechziger Jahren bis heute so unermüdlich aufwirft: Die Frage nach dem Original, nach der Originalität und Einzigartigkeit eines Kunstwerks, des Künstlers selbst. Beeinflusst unter anderem von Jeff Koons, Sol LeWitt oder Bruce Nauman neigt auch Jonathan Monk zu der Ansicht, dass es nichts gibt, was es nicht schon gab, und dass das Originäre immer nur eine Aktualisierung von Geschichte ist. Künstlerische Vollendung ist demnach nichts als ein Phantasma. Vielleicht ist das der romantische Kern von Monks künstlerischem Gemüt.

    Zugleich jedoch macht er sich aber auch lustig über seine künstlerischen Ahnen. Konzeptkunst und Minimal Art mit ihrem seltsamen Eigendünkel der "absoluten" und "letzten Kunst", jener fortschrittlichen Kunst, die die Kunst letztlich selbst abschaffen wollte, sie entlarvt Monk ebenfalls als künstlerische Inszenierung. Er hat ein Fahrrad in den Raum gestellt, mit dem Sattel nach unten, und die beiden Räder drehen sich permanent in gegensätzliche Richtungen, vorwärts und rückwärts zugleich. Er hat den Luftraum über seinem Kopf bis zur Decke vermessen und die Distanz als Kupfer- oder Eisenrohr in die Ecken gestellt, um, wie er sagt, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Er hat eine rechteckige Steinplatte mit seinem Namen und seinem Geburtsdatum versehen lassen, das Sterbedatum ist offen gelassen, und nennt dies ein "Work in Progress". So scheinbar simpel und lapidar all dies in seiner Form daherkommt, so hintersinnig spielt es mit den Prämissen der so genannten "Anti-Kunst" der letzten vierzig Jahre und überführt sie eines Kerns der ewigen und traurigen Wiederholung des immerselben Prinzips: Der nie Vollendbaren. Der Brite erzählt den alten Witz: Kommt ein Hot Dog in eine Bar und bestellt einen Drink. Der Barkeeper antwortet: Sorry, aber wir bedienen keine Mahlzeiten. Romantik à la Monk. Doch auch diesen Witz hat Monk nicht erfunden.