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Georg-Büchner-Preis 2018 für Terézia Mora
"Unglaubliche Sensibilität für Möglichkeiten der Sprache"

Der Schriftsteller und Historiker György Dalos kennt die Büchner-Preisträgerin Terézia Mora und ihr literarisches Werk sehr gut. Er schätzt ihr sprachliches Talent. Der Preis tue auch Ungarn gut, sagte Dalos im Dlf, weil man dadurch über das Land wieder positiv reden könne.

György Dalos im Gespräch mit Anja Reinhardt | 03.07.2018
    Der ungarische Autor György Dalos präsentiert ein Buch.
    Der ungarische Schriftsteller György Dalos. (imago/Star-Media)
    Anja Reinhardt: Der Blick der Büchner-Preisträgerin 2018, Terézia Mora, auf Ungarn ist eher düster. Das verbindet sie mit vielen ungarischen Autoren, einer von ihnen ist György Dalos, der - wie Terézia Mora - in Berlin lebt und Laudator anlässlich der Verleihung des Straelener Übersetzerpreises an Mora war. Dalos selbst gehört zu den Mitbegründern der demokratischen Oppositionsbewegung in Ungarn. In den 90ern arbeitete er als Direktor des ungarischen Kulturinstituts in Berlin, seine Texte waren und sind immer politisch, zeitweise durften seine Schriften deswegen in Ungarn nicht publiziert werden. Auch er hat viele Preise bekommen, unter anderem den Chamisso-Preis, mit dem auch Terézia Mora ausgezeichnet wurde.
    In der Begründung der Jury für den Büchner-Preis heißt es heute: "In ihren Romanen und Erzählungen widmet sich Terézia Mora Außenseitern und Heimatlosen, prekären Existenzen und Menschen auf der Suche und trifft damit schmerzlich den Nerv unserer Zeit."
    Ich habe György Dalos gefragt, ob das für ihn auch nach einer Entscheidung, klingt, die auf die Abschottungspolitik Europas Bezug nimmt?
    György Dalos: Ja, ich finde diese Erklärung richtig. Aber es hat sicher einen ganz spezifischen Hintergrund, und zwar Terézia Moras Zweisprachigkeit, denn sie ist in Sopron geboren, in Ödenburg. Das ist eine Stadt, die halbwegs nicht österreichisch, sondern sogar deutsch war. Und zweisprachig aufgewachsen ist sie dann in die noch existierende DDR gekommen, also ein Landwechsel, und dann begann sie erst in den 90er-Jahren, Deutsch zu schreiben. Sie hat ursprünglich auch Ungarisch geschrieben. Dieses Deutsch schreiben ist ihr in einem Maße gelungen, was nicht einfach ein sprachliches Talent bedeutete, sondern auch eine unglaubliche Sensibilität für die inneren Möglichkeiten der Sprache.
    Schwierigkeit der Kommunikation ist Moras Thema
    Reinhardt: Mit anderen Worten: Wenn man sich der deutschen Sprache und dem poetischen Schreiben auf Deutsch nähert, dann gelingt das auch gerade dann, wenn man von außen kommt? Das ist ja auch ein Signal, oder?
    Dalos: Das ist ein Signal, und in ihrem Roman – das ist ihr erster Roman "Alle Tage" - da ist es sehr bezeichnend, dass der Held Abel Nema heißt. Das Wort Nema, das ist in allen slawischen Sprachen, aber auch in Ungarisch bedeutet das Stumm. Die Deutschen, die Niemcy hießen Stumm, weil die Slawen ihre Sprache nicht verstanden haben. Ich glaube, dass das eine Metapher ist. Das ist eben das Problem: Hier wird um einen Polyglotten geredet. Der Held ist es, der einfach unglaublich viele Sprachen kennt und doch mit diesen Sprachen es nicht fertig bringt, eine richtige Kommunikation aufzubauen. Das ist eigentlich das Thema von späteren Büchern: Die Schwierigkeit der Kommunikation, der Weg von Seele zu Seele, und wie man bei einem solchen langen Weg auch gescheitert wird.
    Reinhardt: Es geht ja auch um das Wort, und das finde ich schon interessant: Schmerzlich, dass sie mit ihren Geschichten schmerzlich den Nerv unserer Zeit trifft. Darauf würde ich jetzt gerne noch mal zurückkommen. Wie deuten Sie dieses schmerzlich?
    Dalos: Ja! Schmerzhaft ist das, weil auch in späteren Romanen gibt es immer Figuren, die nie wirklich ankommen. Entweder flüchten sie aus irgendeiner Föderation wie Jugoslawien, wo es Krieg gibt, oder sie flüchten aus einer anderen Einsamkeit, und sie versuchen immer, in einer Stadt B. anzukommen, die natürlich auch Berlin sein kann. Und schmerzhaft ist das, weil hier wird das Wort Flüchtling nicht in dem jetzigen aktuellen Sinn, sondern als Metapher verwendet. Das ist die Situation des Menschen, der in die Welt geworfen ist. Was aber als Schicksal von Millionen Menschen und dann in irgendwelchen Charakteren sich verkörpert, das ist das, was Terézia Mora am meisten beschäftigt. Das ist eigentlich ein alter Topos der Weltliteratur. Bei den Russen ist das der Typus der sogenannten überflüssigen Menschen.
    Bedeutende Leistungen als Übersetzerin
    Reinhardt: Das ist natürlich ein Begriff, der im Moment von Rechtsnationalen in allen Ländern natürlich ganz gerne aufgegriffen wird. Verstehen Sie auch das Schreiben von Terézia Mora als ein Schreiben dagegen?
    Dalos: Ich glaube, weder dafür noch dagegen. Sie schreibt darüber und überlässt den Lesern die Gefühle, die sie damit auslöst. Aber sie versucht nicht nur als Autorin, das Problem des Ankommens irgendwie aufzufassen und zum Ausdruck zu bringen, sondern sie hat viel Bedeutendes geleistet auch als Übersetzerin der ungarischen Literatur, weswegen sie auch in Ungarn sehr respektiert wird. Texte von Peter Esterhazy oder die Minutennovellen von Istvan Örkeny oder Prosa von Lajos Parti Nagy, nicht die leichtesten Texte übrigens, gehören eigentlich auch zu ihrem Oeuvre.
    Reinhardt: Sie selbst wiederum wird von anderen Übersetzern ins Ungarische übersetzt. Sie haben mal gesagt, dass die Intellektuellen in Ungarn im Moment keine große Rolle mehr spielen oder keinen Raum mehr haben für eine öffentliche Meinung. Ist es gut für Ungarn, wenn solche Signale von außen kommen?
    Dalos: Es tut Ungarn gut, wenn man über dieses Land endlich positiv und lobend reden kann, weil das ist, was ich persönlich erlebt hatte mit Ungarn und mit Ungarns Bekanntheit in der Welt. Das war durchweg positiv, weil in den 90er-Jahren (am Ende dieses Jahrzehnts ist auch dann Terézia Mora bekannt geworden) bedeutete Ungarns gutes Image, dass es dort gute Schriftsteller gibt, und es war ein sehr angenehmes Gefühl, zu der Zeit Ungar zu sein und auf Leistungen stolz sein zu können und ohne vor irgendwelche andere und jetzt leider sehr aktuelle politische Probleme gestellt zu werden.
    Fähigkeit, in Bildern zu sprechen
    Reinhardt: Sie kennen das Deutsche, gerade Berlin. Sie kennen das Ungarische. Gibt es etwas, was Ihnen da sehr nahesteht in der Literatur von Terézia Mora?
    Dalos: Ja! Bei Terézia habe ich wirklich dieses Erleben der deutschen Sprache als einen Höhepunkt, weil es ist eine Sache, zweisprachig aufzuwachsen und quasi perfekt Deutsch zu sprechen. Hier geht es aber auch darum, dass sie diese Sprache noch perfekter macht - vor allem ihre Fähigkeiten, in Bildern zu sprechen, Beschreibungen, Schilderungen, die wirklich völlig in der deutschen Sprache und den Geheimnissen dieser Sprache zum Ausdruck kommen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.