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George Monbiot: United People, Manifest für eine neue Weltordnung

Während die Wirtschaft mit ihren Interessen den Erdball fest im Griff hält, hinken die politischen Institutionen weit hinterher. Frei gewählte Parlamente, soziale Sicherheit, Umwelt- und Arbeitsschutz, die Gleichberechtigung der Geschlechter sind für die Mehrheit der Weltbevölkerung noch in weiter Ferne. Die Kritiker dieser Form der Globalisierung, die die Interessen der reichen Industriestaaten einseitig begünstigt, verschaffen sich zunehmend Gehör, doch immer öfter werden sie auch gefragt, wie denn die ökonomische Ungerechtigkeit und der Mangel an demokratischen Institutionen zu beheben seien. George Monbiot, britischer Journalist, hat sich an das Unterfangen gewagt, eine neue Weltordnung zu skizzieren. "United People" heißt sein Buch, und Nicola Balkenhol hat es für uns gelesen:

Nicola Balkenhol | 08.12.2003
    Die zehn reichsten Menschen der Welt besaßen im vergangenen Jahr fünfmal so viel Geld wie die begüterten Nationen der Welt für Entwicklungshilfe ausgegeben haben. - Der Schuldenberg der ärmsten afrikanischen Länder wächst weiter wegen der hohen Zinsen, obwohl sie ihren ursprünglichen Kredit längst abgezahlt haben.
    Das sind zwei beliebig herausgegriffene Fakten, von denen der britische Journalist und Globalisierungskritiker George Monbiot in seinem Buch "United People" viele auflistet. G-8-Staaten, Weltbank und Internationaler Währungsfonds zementieren seiner Ansicht nach die weltweite Ungerechtigkeit durch ihre Politik. Das sei nicht, was die meisten Menschen wollen, meint Monbiot, und verlangt eine Demokratisierung auch auf internationaler Ebene.

    Also plädiert er für ein direkt gewähltes Weltparlament. Es könnte z.B. 600 Sitze haben, so dass auf 10 Millionen Wahlberechtigte ein Abgeordneter käme. Zunächst hätte dieses Weltparlament nur moralische ität, es stellt ja keine Regierung. Seine Aufgaben wären unter anderem die Überprüfung der Beschlüsse von internationalen Institutionen und die Gesetzgebung für den Internationalen Strafgerichtshof. Für Fragen der internationalen Sicherheit und des weltweiten Friedens könnte die UNO-Generalversammlung zuständig sein. Sie bildete dann die zweite Kammer des Parlaments. Die Stimmen hier würden gewichtet, und zwar je nach Bevölkerungsanteil und Demokratisierungsgrad des vertretenen Staates.

    Ein Weltparlament müsste natürlich auch bezahlt werden, und zwar sowohl sein Zustandekommen, also die Wahl, als auch sein Unterhalt, also Gebäude, Verwaltung und Abgeordnete. Weil das Parlament unabhängig sein soll, kommt eine Finanzierung durch Industriestaaten oder Konzerne für Monbiot nicht in Frage. Er tut eine andere Geldquelle auf: IWF und Weltbank wurden geschaffen, um die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen des Zweiten Weltkriegs in den Griff zu bekommen. Was 1944 in Bretton Woods beschlossen wurde, hätte auch ganz anders aussehen können, wären die Verhandlungspartner unter der Führung der USA damals einem Vorschlag des britischen Vertreters gefolgt, des Ökonomen Keynes. Um den Teufelskreis von zunehmender Verschuldung armer Staaten und gleichzeitiger Anhäufung von Reichtum auf Seiten der wohlhabenden Staaten zu durchbrechen, schlug Keynes vor, dass die Nationen, die einen Überschuss erwirtschaften, dieses Geld in den Wirtschaftskreislauf der Schuldnernationen zurückführen. Dazu müssten natürlich Defizite und Überschüsse kontrolliert werden. Beides, das Schulden-Machen und das Ansammeln großer Summen, sollte sanktioniert werden: Kreditnehmer zahlen Straf-Zinsen und Gläubiger Abgaben auf ihre Überschüsse. Diese Gelder könnten in einen Fonds fließen, aus dem internationale Aufgaben finanziert würden, unter anderem eben das Weltparlament.
    In Bretton Woods fiel die Entscheidung zu Ungunsten dieses Modells, es wurden IWF und Weltbank gegründet. Sind Keynes Vorschläge denn heute durchsetzbar? Unter der Bedingung, dass sich die armen Länder zusammenschließen, schon, meint Monbiot. Sie müssten kollektiv damit drohen, ihre Schulden nicht zurückzuzahlen. Die dann einsetzende Angst vor dem Zusammenbruch der Finanzmärkte würde die reichen Länder dazu bringen, der Einrichtung einer Internationalen Clearing-Union nach dem Modell von Keynes zuzustimmen.

    Die Clearing-Union allein schaffte aber keine gleichmäßigere Verteilung des Wohlstands. Dazu bedürfte es zusätzlich eines faireren Handelssystems, das den Industrieländern zunächst ein Handicap verordnete, um die schlechtere Ausgangsposition der armen Länder auszugleichen. Monbiot will den armen Ländern Protektionismus erlauben, während die reichen Handelsbarrieren und Subventionen abbauen müssten. Je mehr sich demnach die armen Staaten entwickeln, desto weniger Schutzmaßnahmen würden ihnen zugestanden. Eine Internationale Organisation für fairen Handel würde diese und weitere Bedingungen durchsetzen und kontrollieren.

    Während die Clearing-Union also für möglichst ausgeglichene Handelsbilanzen sorgen soll, ist die Aufgabe der Organisation für fairen Handel, die armen und die reichen Länder einander anzunähern, indem sie die Handelsbilanz-Verhältnisse zwischen ihnen umkehrt. Das bedeutet, dass die armen Länder zunächst mehr exportieren als importieren sollen und die reichen mehr ein- als ausführen.
    Damit widersprechen sich aber die Ziele der beiden Institutionen, bemerkt Monbiot selbst. Also muss die Reihenfolge der Schritte geändert werden, die zu einer demokratischeren und damit gerechteren Weltordnung führen.

    1. müssen die Regeln für den internationalen Handel geändert werden,
    2. müssen die Handelsbilanzen zwischen den Ländern angeglichen werden und
    3. kann schließlich das Weltparlament gegründet werden, weil ja erst dann Geld aus dem Ausgleichsfonds der Clearing Union zur Verfügung stehen würde. Damit habe die Bewegung der Globalisierungsgegner ein politisches Programm, mit dessen Umsetzung sofort begonnen werden könne.

    Diese Reihenfolge ergibt sich zwar logisch aus den Funktionen, die Monbiot seinen neu zu gründenden Institutionen zuschreibt, hat aber einen entscheidenden Nachteil: es fehlt der Hebel, mit dem die Mächtigen der Welt dazu bewegt werden, den ersten Schritt auch zu tun. Das war ja das selbst gesetzte Ziel des s: Einen Mechanismus zu entwickeln, der den Druck auf die reichen Länder so erhöht, dass sie der Demokratisierung internationaler Institutionen zustimmen müssen. Die gemeinsame Drohung der armen Länder, ihre Schulden nicht zurückzuzahlen, sollte ja zwangsläufig zur Gründung der Clearing-Union führen. Wenn nun aber diese Union erst nach der Organisation für fairen Handel ins Spiel kommt, begibt sich Monbiot seines Druckmittels. Es bleibt dann die Frage, warum die Industrieländer einer Änderung des internationalen Handelssystems zu ihren Ungunsten zustimmen sollten.

    Dieser konstruktive Mangel fällt Monbiot gegen Ende seines Buchs durchaus auf, eine Lösung innerhalb seines Institutionenmodells bietet er aber nicht an. Stattdessen richtet er seitenlange Appelle an die Leser, seine normative Ausgangslage zu akzeptieren. Die weltweite Reichtumsverteilung ist ungerecht? Sicher, das aber rechtfertigt noch nicht ihre - wenn auch indirekte Enteignung - durch mehr oder weniger demokratische Institutionen. Am Ende seines Buchs macht Monbiot das kapitalistische Wachstum für die herrschende Ungerechtigkeit zwischen armen und reichen Ländern verantwortlich: es zerstöre durch seinen ungeheuren Ressourcenverbrauch die Erde. Wirklich entkommen ließe sich dieser Spirale nur, wenn Kapital nicht mehr durch bloßes Zinswachstum vermehrt werden könne, sondern nur noch durch wertschöpfende Investitionen. Dann entstünde ein ressourcen-schonender Kreislauf - eine Lieblingsidee vieler Globalisierungskritiker, vor deren Umsetzung aber noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten wäre.
    Dieser Systemwechsel ist aber eigentlich gar nicht Monbiots Thema. Er will am Ende ja das seiner Ansicht nach Nahe liegende zuerst: die Schaffung eines fairen internationalen Handelssystems. Und schon das ist von der politischen Wirklichkeit so weit entfernt, dass kaum erkennbar ist, wie die ersten Schritte auf dem Weg dorthin zu gehen wären.

    Wenn Monbiot also der lange Atem bei der Konstruktion einer konsistenten Theorie der weltweiten Demokratisierung auszugehen scheint, so hat er doch viele gute Ideen für die Ausgestaltung seiner Institutionen. Damit könnte er möglichen Kritikern viel Wind aus den Segeln nehmen, wenn sie sich überhaupt an sein Buch heranwagten. Aber diese Hürde ist hoch: Einerseits wendet sich Monbiot mit "United People" nämlich direkt an die Globalisierungskritiker, spricht von sich ständig als Teil dieser Gruppe, diskutiert und verwirft viele - auch abstruse - Ideen dieser Bewegung. Das wird aber die "Anderen" ermüden, die er auch erreichen will, diejenigen, die eher ins Lager der Gleichgültigen oder Ablehnenden gehören.

    Wer willens ist, sich durch die Polemik und die Appelle zu kämpfen, die Monbiots "Manifest für eine neue Weltordnung" durchziehen, wird ein entwicklungsfähiges Institutionenmodell kennen lernen und viele Anregungen mitnehmen, die weitere Nachforschungen lohnen.


    Nicola Balkenhol besprach: United People; Manifest für eine neue Weltordnung von George Monbiot, übersetzt von Elisabeth Liebl, erschienen im Riemann Verlag. Das Buch hat 300 Seiten und kostet 21 Euro.