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Gepflegte Langeweile in schaurig-schönen Kulissen

Die Zusammenarbeit von Tim Burton und Johnny Depp begann 1990 mit dem Märchen "Edward mit den Scherenhänden". Jetzt kommt der mittlerweile achte gemeinsame Film ins Kino - und enttäuscht: Das komische Potenzial der 60er-Fernsehserie "Dark Shadows", auf der Burtons Vampirfilm basiert, bleibt ungenutzt.

Von Jörg Albrecht | 09.05.2012
    Unser Filmkritiker stellt außerdem die Komödie "21 Jump Street" vor, den britischen Dokumentarfilm "Sound It Out" sowie die beiden deutschen Produktionen "Das Hochzeitsvideo" und "Ausgerechnet Sibirien".

    "Sag mir, welchen Monat schreiben wir und welches Jahr?"

    "72."

    "1972?"

    "Ja."

    Knapp 200 Jahre sind vergangen, seitdem Johnny Depp alias Barnabas Collins zum letzten Mal einem Menschen begegnet ist. 1776 hatte ihn die Frau, deren Liebe er verschmähte, mit einem Fluch belegt und einen Vampir aus ihm gemacht. Befreit aus seiner Gruft, sucht Collins jetzt Anschluss bei den Nachfahren seiner Familie:

    "Ich gedenke zu bleiben. Ich gedenke, wieder ein Teil dieser Familie zu werden."

    Eine schrecklich nette Familie, deren Mitglieder rund um die Uhr von einer trinkfreudigen Psychiaterin betreut werden, und ein Vampir, der in einer für ihn fremden Welt erwacht. Das komische Potenzial der Gruselgeschichte, die auf der Fernsehserie "Dark Shadows" aus den 1960er-Jahren basiert, ist offensichtlich. Doch es bleibt sträflich ungenutzt, weil Regisseur Tim Burton überhaupt nichts mit seinen Figuren anzufangen weiß und zwei Stunden für gepflegte Langeweile in schaurig-schönen Kulissen sorgt.

    "Die Leute, die Entscheidungen treffen, sind vollkommen unkreativ. Die haben keine neuen Ideen mehr. Und jetzt fällt Ihnen nichts Besseres ein, als den alten Müll zu recyceln und zu hoffen, dass das niemandem von uns auffällt."

    <im_79926>"21 Jump Street" NUR FILMSTART</im_79926>Nein – kein Statement zu Tim Burtons Recyclingfilm. Diese Aussage stammt ebenfalls aus einem Remake und beweist somit immerhin eine gehörige Portion Selbstironie. Wir bleiben bei Johnny Depp und der Fernsehserie "21 Jump Street", die ihn Ende der 1980er-Jahre berühmt gemacht hat:

    "Ihr werdet als verdeckte Ermittler in einer Highschool eingeschleust. Ihr habt diese Justin-Bubi-Miley-Cyrus-Milchfressen."

    Im Gegensatz zur Fernsehserie, in denen die Drogen- und Beziehungsprobleme von Jugendlichen durchaus ernst genommen wurden, brennt die Kinoversion ein Gagfeuerwerk ab. Der oft ungezügelte und rüde Klamauk versteht sich als Parodie.

    "21 Jump Street" von Phil Lord und Chris Miller: akzeptabel! Im Gegensatz zum enttäuschenden "Dark Shadows" von Tim Burton.

    "I think the shop is an escape for a lot of people and that´s important."

    <im_79927>"Sound It Out - The very last record shop" NUR FILMSTART</im_79927>Sein Laden sei für viele eine Zufluchtsstätte. Ein Ort, an den man geht, um für eine Stunde seinem Leben zu entfliehen. Tom Butchart über seinen Plattenladen "Sound It Out Records" in Stockton-on-Tees im Nordosten Englands. Ein Tante-Emma-Laden, dessen Besitzer Herr über 50.000 Schallplatten und CDs ist. Tom weiß genau, wo jede Einzelne steht. Seine Begeisterung und Leidenschaft für die Musik sind es, mit denen er sich eine Stammkundschaft aufgebaut hat. Die hält dem Geschäft, das wie ein Relikt aus einer anderen Zeit scheint, seit vielen Jahren die Treue. Von diesen Kunden und von Tom und seinen Mitarbeitern erzählt der Dokumentarfilm "Sound It Out – The Very Last Record Shop".

    "It is definitely a male obsession. I don´t wanna grow up. All these responsibilities."

    Es sei definitiv eine männliche Obsession - hier zumindest. Sagt Tom Butchart. 99 Prozent Jungs und ein Prozent Mädchen kaufen hier Platten. Eigentlich schrecklich. Er wisse nicht, was es ist. Typen würden einfach gern sammeln und ihre Jugend kultivieren. Jungs wollten nicht erwachsen werden. Auch er nicht.

    Umso erstaunlicher ist es, dass eine Frau den Film über den Kultplattenladen gemacht hat. Regisseurin Jeanie Finlay ist ganz in der Nähe aufgewachsen und hat ein sympathisches Porträt über teilweise kauzige Menschen gemacht, über deren ganz persönliche Liebe zur Musik und ihr Refugium. "Sound It Out" von Jeanie Finlay: Empfehlenswert!

    "Liebe Pia, lieber Sebastian, ich bin sehr stolz, dass Ihr mich gebeten habt, Euer Hochzeitsvideo zu drehen."

    <im_79928>"Das Hochzeitsvideo" NUR FILMSTART</im_79928>Im dokumentarischen Stil hat Sönke Wortmann seinen neuen Film gedreht. In der Komödie "Das Hochzeitsvideo" wird das komplette Geschehen aus der Perspektive des besten Freundes vom Bräutigam erzählt. Der filmt den vermeintlich schönsten Tag eines Paares mit seiner Kamera, um ihn auf diversen Internetportalen der Nachwelt zu hinterlassen. Wortmann und sein Drehbuchautor versuchen hier amerikanische Erfolgskomödien wie "Hangover" zu kopieren – Filme, in denen eine Party aus dem Ruder läuft. Stereotype chargieren sich durch Kalauer und Klischees und machen "Das Hochzeitsvideo" zum Katastrophenfilm. Nicht der Erste in Wortmanns Karriere. Wesentlich besser macht es sein Kollege Ralf Huettner in seinem Film "Ausgerechnet Sibirien".

    "Logistik folgt immer einem Kosten-Nutzen-Kalkül."

    <im_79947>"Ausgerechnet Sibierien" NUR FILMSTART</im_79947>Joachim Król alias Matthias Bleuel ist der personifizierte Biedermann. Auf einer Geschäftsreise nach Russland muss Bleuel erkennen, dass ihm sein Organisationstalent im fernen Sibirien nicht weiterhilft. Da es in der Natur des Roadmovies liegt, dass der Protagonist sein Leben überdenken muss, sieht das Drehbuch eine besondere Begegnung vor. Bei einem Straßenfest hört Bleuel die Stimme einer Sängerin aus Bergschorien. Tief im Innersten hat ihn ihr ungewöhnlicher Kehlkopfgesang berührt und er muss sie unbedingt wiedersehen.

    "Sie ist nicht da. Sie hat heute Abend einen Auftritt."

    "Und wann ist sie wieder da?"

    "Keine Ahnung."

    "Ich möchte, dass Sie ein Auto mieten und mit mir nach ... fahren."

    "Das schaffen Sie nicht an einem Tag."

    "Dann suchen wir uns einen Fahrer und übernachten da."

    Auch Ralf Huettner bedient sich Klischees, um den Zusammenprall zweier Kulturen zu schildern. Das ist anfänglich hin und wieder platt, entwickelt sich aber immer mehr zur liebenswerten Aussteigerkomödie, die ganz vom feinsinnigen Spiel Joachim Króls lebt.

    Während Sönke Wortmanns "Das Hochzeitsvideo" enttäuscht, ist "Ausgerechnet Sibirien" von Ralf Huettner empfehlenswert.

    Linktipp:
    Corso-Gespräch mit Joachim Król über seinen Film "Ausgerechnet Sibirien"