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Geplante Corona-Hilfen für Studierende
Müller (CHE): KfW-Darlehen eine Art "Lockvogelangebot"

Ulrich Müller vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) hat die von der Bundesregierung in Aussicht gestellten zinslosen KfW-Darlehen kritisiert. Studierende bräuchten langfristige Sicherheiten, sagte er im Dlf. Dafür brauche es mehr als ein Darlehen, bei dem es "im Kleingedruckten" hapere.

Ulrich Müller im Gespräch mit Bernd Lechler |
Bündel von 10-, 20-, 50-, 100- und 200-Euro-Banknoten.
Ulrich Müller (CHE) forderte im Dlf langfristig zinslose Darlehen für Studierende in der Coronakrise (imago / Thomas Imo)
Der Bundestag entscheidet aktuell über zinslose KfW-Studienkredite für von der Coronakrise besonders betroffene notleidende Studierende. Ulrich Müller, Leiter der politischen Analysen beim Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) und seine Kollegen sehen diese Notfallpläne allerdings kritisch.
Bernd Lechler: Der Bildungsausschuss des Bundestags hat Sie um eine Stellungnahme gebeten zu den bisherigen Corona-Nothilfeplänen für Studierende, und man könnte ja meinen, dass solche Maßnahmen jetzt Ihre uneingeschränkte Zustimmung finden. Warum sind Sie doch gespalten, welche Einwände haben Sie?
Müller: Na ja, die Bundesregierung muss jetzt in dieser Notlage, finde ich, sehr zügig ein Signal setzen, dass das Studium nicht unterbrochen oder abgebrochen werden muss, und genau das tut sie nicht. Studierende brauchen jetzt eine klare Ansage, eine klare Lösung, die verlässlich das Weiterstudieren auch ohne Nebenjob oder ohne große Unterstützung durch die Eltern ermöglicht, die Sicherheit verschafft, und genau das kriegen sie nicht.
Lechler: Das heißt, Sie zweifeln da an der grundsätzlichen Haltung auch der Bundesbildungsministerin?
Müller: Der grundsätzliche Ansatz von Anja Karliczek ist nicht verkehrt. Sie sagt ja, wir brauchen einerseits so eine Art kurzfristigen Rettungsring, also eine Überbrückungshilfe ohne Rückzahlungsverpflichtung für Studierende, und parallel zu diesem Rettungsring so ein Rettungsboot, was länger wirkt als ein Darlehen. Das ist grundsätzlich richtig, aber es hapert ziemlich bei dem Kleingedruckten.
Sie sehen farbige Briefkästen eines Studentenwohnheimes in München.
Hilfe für Studierende in Notlagen - "Nicht abgerufene BAföG-Mittel jetzt verwenden"
Der Vorschlag von Bildungsministerin Anja Karliczek, Studierende in Notlagen durch das Hartz-IV-System zu unterstützen, sei nicht realitätsnah, sagte Bildungspolitikerin Nicole Gohlke (Linke) im Dlf. 920 Millionen nicht abgerufene BAföG-Mittel müssten jetzt verwendet werden.
Lechler: Da kommen wir im Detail noch drauf. Dieses Instrument KfW-Studienkredit ist ja nicht neu, das bekommen schon Studierende. Wie ist es mit denen, die das schon bekommen und denen jetzt zusätzlich noch der Nebenjob zum Beispiel wegbricht?
Müller: Die haben ein Problem. Das ist in der Tat leider so, dass die grundsätzlichen Modalitäten vom KfW-Studienkredit bleiben, das heißt, keine Chance für Studierende ab dem elften Semester, also außerhalb der Regelstudienzeit, keine Chance für Studierende über 45. Und Studierende, die bisher schon diese Zweigleisigkeit hatten – Nebenjob plus KfW-Kredit, und dann fällt ihnen der Nebenjob weg –, die haben ein Problem. Die sparen höchstens 150 Euro Zinsen im nächsten Jahr, aber können keine weiteren Mittel aufnehmen, das heißt, sie können den wegfallenden Nebenjob damit nicht kompensieren.
Lechler: Wie ist es mit Studiengebühren? Die sind in Deutschland nicht die Regel, aber es gibt schon immer mehr private Hochschulen, die Gebühren verlangen. Sind solche Kosten in diesen zinslosen Krediten mit drin?
Müller: Nicht per se vorgesehen, man kann aber die Auszahlung dafür nutzen – das ist so die diplomatische Sprachregelung bei der KfW.
Lechler: Der Bund will als eine weitere Hilfsmaßnahme den Nothilfefonds des Deutschen Studentenwerks auch aufstocken mit 100 Millionen, und wer in einer akuten Notlage ist und keine Unterstützung hat, kann bei seinem örtlichen Studierendenwerk dann eine kurzfristige Überbrückungshilfe beantragen, die nicht zurückgezahlt werden muss. Das müsste dann doch in Ihrem Sinne sein.
Müller: Genau, das ist diese Überbrückungshilfe, das finde ich völlig in Ordnung. Es erreicht nicht viele Studierende, aber die, die es erreicht, die werden damit sehr glücklich und zufrieden sein – ohne Rückzahlung, das ist gut.
Müller: KfW-Darlehen sind eine Art "kurzfristiges Lockvogelangebot"
Lechler: Was wären denn Ihre Vorschläge, also die vom Centrum für Hochschulentwicklung, wie könnte eine finanzielle Unterstützung der Studierenden aussehen, die Sie für effizienter halten als diese zinslosen KfW-Studienkredite?
Müller: Na ja, da muss ich erst mal das Problem ein bisschen schildern. Das Problem ist, wenn man sagt, an sich ist Rettungsring und Rettungsboot richtig, dieser Rettungsring, der Härtefallfonds ohne Rückzahlungsverpflichtung, der erreicht gerade mal 2,3 Prozent aller Studierenden – von der Summe, die da reingeht, die 100 Millionen, das heißt, 97 Prozent der Studierenden können davon gar nicht partizipieren. Diese zinslosen KfW-Darlehen, wie Sie zu Recht sagen, was ja schon existiert, was jetzt nur zinsfrei gestellt wird – das Problem ist, das ist auch nicht auf Dauer zinslos gestellt, sondern nur ein Jahr, und das reicht nicht aus.
Das heißt, die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, die schenkt den Studierenden für ein Jahr lang ungefähr 150 Euro Zinsen, aber bindet sie gleichzeitig bis zum Ende der Rückzahlungszeit, also bis zu 25 Jahre lang, an eine Rückzahlung mit Zinsen.
Böswillige Menschen könnten jetzt den Eindruck gewinnen, das sei so ein kurzfristiges Lockvogelangebot, um damit langfristig zahlende Kunden zu gewinnen für die KfW, aber – verzeihen Sie den vielleicht etwas unpassenden Vergleich – das ist ein bisschen so, als wenn ein Schiffbrüchiger auf Rettung wartet, und dann gerät er an ein Schiff, das ihn zwar aufnehmen will, aber erst, wenn er unterschreibt, dass er nach der Einfahrt in den sicheren Hafen eine gesalzene Rechnung begleicht für Kost und Logis, für Bettwäsche, für Handtücher, für was weiß ich. Das ist kleinkariert. In Notsituationen geht es darum zu helfen, und da geht es nicht um Geschäfte.
Müller: Darlehen sollten dauerhaft zinslos sein
Lechler: Und wie holen Sie denn nun diese Schiffbrüchigen aus dem Wasser?
Müller: Den Ansatz mit zinslosen Darlehen finde ich richtig, aber dauerhaft zinslos, und das erreicht man am besten, wie das zum Beispiel Bündnis90/Die Grünen vorschlagen oder die Fraktion der FDP, indem man diese zinslosen Darlehen an das BAföG andockt. Da ist vorgesehen auch ein zinsloses Volldarlehen, das man kriegen kann, elternunabhängig, und das sollte man öffnen für alle Studierenden, ohne große Bedürftigkeitsprüfung.
Das muss auch zurückgezahlt werden, aber ist dauerhaft wirklich verlässlich zinsfrei, es gibt wesentlich kulantere Rückzahlungsmodalitäten. Aus Studierendensicht schafft das Sicherheit – zum Beispiel Erlass der Restschuld nach 20 Jahren, eine Ruhephase vor der Rückzahlung und die Rückzahlung frühestens fünf Jahre nach Abschluss. Das ist für mich ein Signal, zu sagen, wir helfen euch, und ihr könnt euch drauf verlassen, ihr könnt das Studium zu Ende bringen, bitte, brecht nicht ab. Das Modell von Frau Karliczek schafft hier eher Unsicherheit, Hürden und Verschuldungsangst.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
"Studienfinanzierung ist konjunkturabhängig"
Lechler: Und vielleicht zum Schluss noch: Wenn BAföG so ein Instrument, ein wirkungsvolleres, sein könnte, es gehen ja trotzdem zurzeit die BAföG-Anträge zurück.
Müller: Völlig korrekt, Sie legen da den Finger in eine Wunde. Was wir aktuell sehen als Krise auch der Studierenden, Finanzierungskrise, das ist zum Teil ein hausgemachtes Problem und konkret eine Folge ausbleibender BAföG-Reformen. Seit Jahren steigen die Studierendenzahlen, aber sinkende BAföG-Förderzahlen, und weil parallel auch Studienkredite und Stipendien nicht ansteigen, heißt das, dass die Studienfinanzierung seit Jahren immer mehr erfolgt durch Nebenjobs und durch Unterstützung der Eltern und immer weniger durch BAföG.
Das heißt ganz zugespitzt, Studienfinanzierung ist konjunkturabhängig geworden. In goldenen Zeiten läuft das gut, aber wir haben leider keine goldenen Zeiten mehr seit Corona, und wenn die Konjunktur einbricht, fallen Nebenjobs weg und Eltern haben weniger Geld, und das gefährdet Chancengerechtigkeit.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.