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Geplantes Netzwerkdurchsetzungsgesetz
Showdown in Hamburg

Facebook und das Bundesjustizministerium führen schon seit Wochen eine harte Auseinandersetzung – meist hinter verschlossenen Türen. Bei der Jahrestagung des Netzwerk Recherche in Hamburg kam es zur öffentlichen Debatte zwischen Justiz-Staatssekretär Gerd Billen und Facebook-Sprecherin Eva-Maria Kirschsieper.

Von Stefan Fries | 12.06.2017
    Ein Facebook-Logo am Fenster eines Hauses
    Facebook hat Einwände gegen das geplante Netzwerkdurchsetzungsgesetz (AFP / Tobias Schwarz)
    Staatssekretär Gerd Billen forderte von Facebook mehr Informationen – etwa darüber, welche Postings und Kommentare Facebook löscht, weil es sie als strafbare Inhalte einstuft. Was er bekommen habe, reiche ihm nicht. Facebook-Lobbyistin Eva-Maria Kirschsieper hält dagegen: "Wir haben Ihnen durchaus Informationen zur Verfügung gestellt, wir haben Ihnen sehr klar dargelegt, nach welchen Kriterien gelöscht und auch diverse…"
    Billen: "Machen Sie's doch öffentlich, Frau Kirschsieper. Das sieht das Gesetz vor, dass die Dinge nicht nur mir als Person und dem Ministerium bekannt werden, sondern dass öffentlich gemacht wird. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, das zu wissen, und Sie können es immer gerne jetzt auch schon freiwillig tun. Aber wenn das Gesetz tun, kostet es was, wenn die Pflicht nicht erfüllt wird."
    Kirschsieper: "Aber nochmal: Basierend auf der Problematik der Transparenz halte ich es für äußerst schwierig, mit einem derartigen Gesetz darauf zu reagieren, weil dieses Gesetz uns nicht zu mehr Transparenz verpflichtet, sondern es bringt uns letztendlich in die Situation, dass wir den Job eines Richters übernehmen müssen, und diese Rolle wollen wir nicht haben."
    Denn das Gesetz verlangt, dass Facebook genauso wie andere Soziale Netzwerke offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden löscht – und also erst mal beurteilt, was offensichtlich rechtswidrig ist. In komplizierteren Fällen haben sie sieben Tage Zeit. Wenn die Unternehmen dieser Pflicht nicht systematisch nachkommen, drohen Bußgelder von bis zu 50 Millionen Euro. Verbraucherstaatssekretär Billen sagte, er habe die Sozialen Netzwerke im Herbst angeschrieben, um Statistiken zu bekommen: Wie viele Beschwerden gibt es? Wie viele davon betreffen Straftatbestände? Wie viele sind einfach zu lösen, wie viele nicht so einfach?
    Die Antworten seien total unbefriedigend gewesen und das Beschwerde-Management etwa bei Facebook schlicht eine Black Box, sagte Billen: "Ein Unternehmen, das in der Lage ist, über seine User nach 20.000 verschiedenen Kriterien zu selektieren und das im Online-Marketing anzubieten, finde ich, muss doch in der Lage sein, eine einfache Statistik zu führen."
    Facebook: Offenlegung fördert Missbrauch
    Kirschsieper verteidigte die Haltung ihres Unternehmens, solche Daten nicht offenzulegen, und brachte im Gespräch mit Moderatorin Sarah Tacke ein Argument, das viele Social-Media-Redakteure kennen, die Facebook-Accounts von Medien bedienen, etwa auch beim Deutschlandfunk und der Tagesschau:
    Kirschsieper: " In dem Moment, wo man sehr sehr spezifisch und sehr sehr detailliert über alles Bescheid weiß, wird dem Missbrauch dieser Kriterien Tür und Tor geöffnet."
    Tacke: "Das heißt, dass sich Menschen die Mühe machen, das zu studieren und dann ihre Postings so formulieren, dass sie nicht gelöscht werden?"
    Kirschsieper: "Das findet statt, natürlich, Und das ist auch heute schon so. Das ist permanent so."
    Auch wenn Facebook selbst diese Regeln nicht offen legt – die britische Zeitung "Guardian" und auch das SZ-Magazin haben es im Mai getan. Ein Beispiel aus den internen Unterlagen beschreibt den Umgang mit der Leugnung des Holocausts: Solche Beiträge werden zwar in Deutschland, Österreich und Israel gelöscht, nicht aber in einigen anderen Ländern, obwohl Holocaustleugnung dort ebenfalls strafbar ist. In den Dokumenten heißt es den Berichten zufolge, Facebook werde Inhalte "nicht entfernen, bis ein Land den politischen Willen nachgewiesen hat, nationale Zensurgesetze durchzusetzen". Und außerdem wörtlich: "Wir respektieren lokale Gesetze, heißen diese aber nicht gut, wenn sie ein Hemmnis für eine offene und vernetzte Welt darstellen." Was die Justiz nicht verfolge, könne auch Facebook nicht in deren Auftrag tun. Eine Haltung, die auch Facebook-Lobbyistin Eva-Maria Kirschsieper in Hamburg verteidigte.
    Kirschsieper: "Es gibt aber auch Inhalte, die wir nicht löschen, weil wir sagen: Wir wissen nicht, ob das rechtswidrig ist. Da brauchen wir eine Instanz wie ein Gericht oder eine Behörde, die zu uns kommen und sagen, dass das klar rechtswidrig ist oder auch eben nicht klar."
    Justizministerium: Straftaten können auch Nicht-Experten erkennen
    Staatssekretär Gerd Billen entgegnete, dass es nicht immer einen Richter brauche, um festzustellen, was eine Straftat ist und was nicht. Das sei auch heute in anderen Situationen auch schon so, etwa wenn die Polizei im Stadion gegen Hooligans einschreite. Im Übrigen stünden im Gesetz ganz klar die Straftaten drin, um die es gehe.
    Billen räumte aber ein: "Es gibt Fälle, und da hat Frau Kirschsieper Recht, da kann man nicht sagen schwarz oder weiß, hü oder hott."
    Kirschsieper: "Und das ist die Mehrheit der Fälle."
    Billen: "Da ich ja nicht weiß, wie viele Fälle Sie haben, kann ich das schlecht beurteilen, weil über Transparenz hatten wir…"
    Kirschsieper: "Das ist ehrlich gesagt ein bisschen billig, weil Sie können sich sehr gerne einfach mal zehn Fälle aus dem Internet raussuchen und dann ne kleine Abschätzung eingeben: Ist das alles klar rechtswidrig oder nicht?"
    Kirschsieper zufolge sind Hasskommentare – um die es im Gesetz gar nicht geht – und strafbare Inhalte ein gesamtgesellschaftliches Problem, und nicht alleine das von Facebook. Auch deshalb sei das "Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken" ungeeignet. Im Moment wird es in den Bundestagsausschüssen beraten, Ende Juni will die Große Koalition es im Plenum beschließen.