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Gerade noch ein Klassiker

"Glossen zu Fontane": das ist der Untertitel einer kleinen Textsammlung aus der Feder des 1996 verstorbenen Philosophen Hans Blumenberg, die jetzt zurn hundertjährigen Todestag Theodor Fontanes im Hanser Verlag erschienen ist.

Sylvia Bovenschen | 18.09.1998
    Ein Satz, eine Redewendung, ein Aphorismus, eine Anektode, eine Briefstelle, eine Gedichtzeile des Dichters geben Blumenberg immer wieder Anregung zu kurzen Ausführungen, gedanklichen Exkursen, gelehrten Anmerkungen, geschichtsbewußten Überlegungen und zeitnahen Assoziationen.

    Dort, wo sich der Dichter bereits glossierend auf Älteres bezieht, handelt es sich gewissermaßen um Glossen über Glossen. Der Untertitel "Glossen zu Fontane" ist wörtlich zu nehmen, gemeint sind nämlich beide: der Dichter und sein Text. Der Dichter aber nicht im Sinne einer psychologisierenden Vereinnahmung, wie in der biographisch orientierten Literaturwissenschaft üblich - Fontane kommt leicht posthum auf die Couch - auch wird nicht nach authentischen Motivationen und Intentionen geschnüffelt: Fontane erscheint vielmehr mit seinen Texten und durch seine Texte hindurch, eine Silhouette wird sichtbar, eine Kunstfigur in ihrer Zeit, die durch die Mark wandert, bestimmte Formen der Geschichtsaneignung präferiert, die ins Theater geht und rezensiert und den Kindern mehrerer nachfolgenden Generationen ein Gedicht schenkt, das von einem handelt, der Birnen schenkt. Was es heißt, das Gedicht noch gelernt zu haben in der Jugend, und was es heißt, im Alter sowohl über das Gedicht nachzudenken, als auch darüber, daß dieses Gedicht heute nicht mehr gelernt wird, über solche Fragen zum Beispiel räsoniert Blumenberg.

    In der Glosse über die "Gräber der Humboldts", die eine der gelungensten Stücke in diesem Band ist, zitiert Blumenberg eine bewundernde Äußerung Fontanes über das Schloß Tegel: dessen Geist, so Fontane, sei "gleich weit entfernt von Orthodoxie wie von Frivolität". Dieser Satz läßt sich auch auf den Geist Fontanes beziehen und nötigt zugleich seinen Bewunderern entsprechende Distanzen auf. Blumenbergs Bewunderung ist angemessen, weil dezent. Wenn er behauptet, daß Fontane deshalb eine Zuneigung zur Anekdote habe, weil sie seinem Verlangen diene, bewundern zu dürfen, ohne zu auratisieren", so trifft dies auch auf Blumenbergs Verhältnis zu Fontane zu. Dort, wo er auf die Figur Fontane blickt, etwa auf die des Wanderers duch die Mark Brandenburg, bleibt er diskret, wenn auch nicht ohne Hinterlist.

    "Die Hinterlist des Lesers" bestehe darin, so Blumenberg, "die Blickrichtung zu verweigern und statt aufs Erwanderte auf den Wanderer zu sehen." Und was sieht der Leser Blumenberg wenn er auf diese Textfigur des Wanderers blickt? Er sieht eine "Wehmut des Rückblicks", eine "Zurückhaltung in Überzeugungen", eine Bessesenheit durch Geschichte"; er sieht "Untergänge in Nebensätzen", den "Nachhall einer versunkenen Welt", die "Kunst der Resignation", ein "Zögern vor dem Authentischen", "abbrechende Vertiefungen", "dosierte Ungenauigkeiten"; er sieht die Züge einer Textphysiognomie, die alle, die sich bewundernd mit Fontane beschäftigt haben, wiedererkennen und bestätigen werden. Blumenberg war ein Liebhaber Fontanes. Ein Liebhaber vor dem man Fontane nicht schützen, gegen den man Fontane nicht verteidigen muß. Ein Liebhaber indes, den offensichtlich nur bestimmte Seiten dessen, wofür der Name Fontane steht, faszinieren. Sein Interesse gilt weniger dem großen Romancier, (nur der Namensgebung im "Stechlin" wird eine kleine Aufmerksamkeit geschenkt), sondern mehr dem Wanderer durch die Mark Brandenburg, dem Kriegsberichterstatter, dem Brief- und Balladenschreiber, dem Rezensenten, dem Anekdotiker und Chronisten. Diese Aussparung mag verwundern, die Liebhaber der großen Romane sogar schmerzen, zu tadeln ist sie nicht, schließlich kann man niemandem vorschreiben, was er zu lieben habe, zumal sich diese gewählte Form der Glossierung ja gerade in ihrer Subjektivität von anderen zu größerer Objektivität verpflichteten Formen, etwa die der literaturtheoretischen Wertung, wohltuend unterscheidet.

    Gleichwohl hat die Aussparung Methode, gleichwohl schleicht sich in diese Glossensammlung doch so etwas wie eine generelle Wertung ein, die schon mit ihrem Haupttitel: "Gerade noch ein Klassiker" angesprochen wird: "Als hätte er verhindern wollen, zum ‘Klassiker der Moderne’ zu werden", schreibt Blumenberg, sei "Fontane im vorletzten Jahr des Jahrhunderts gestorben", und konsequenterweise und mit guten Gründen setzt er den Fontaneliebhaber Thomas Mann zum legitimen Erben ein. Aber auch Samuel Beckett liebte Fontane, und auch dafür kann man sich Gründe denken.

    Das soll heißen: Blumenberg zeichnet ein poetologisch eher konservatives Bild des geschichtsbesessenen Traditionalisten Fontane, das Bild eines genialen Causeurs, eines Balladendichters, der es mit einem "Reim-Kobold" zu tun hat, und eines Chronisten, der die Wirklichkeit des preußischen Adels wirklicher zu beschreiben vermag als sie je gewesen sein kann. Gewiß auch das ist Fontane. Aber es wird ungeachtet dieses Titels und auch des suggestiven Spiels mit dem Todesdatum immer auch die Liebhaber geben, die sich weder von der scheinbaren Harmlosigkeit des Konversationstils und der Sujets noch von der Duldsamkeit im Ton über die poetischen Radikalitäten des Erzählers Fontane hinwegtäuschen lassen, und die auch zukünftig nicht davon abzubringen sein werden, im Romancier Fontane einen kühnen Erneuerer, vielleicht sogar einen Klassiker der Moderne zu sehen.