Donnerstag, 18. April 2024

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Geraubtes Kulturgut
"Ausmaß der Zerstörung ist unermesslich"

Die Erbeutung von Schätzen aus archäologischen Grabungsstätten habe weltweit eine unglaubliche Dimension erreicht, sagte Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, im DLF. Dass Deutschland die Gesetze bis hin zur Beweislastumkehr verschärfen will, hält er für angemessen.

Hermann Parzinger im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 11.12.2014
    Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger
    Hermann Parzinger hält die Verschärfung deutscher Gesetze für angemessen. (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
    Burkhard Müller-Ullrich: Im Auswärtigen Amt findet heute und morgen eine Tagung mit dem Titel „Kulturgut in Gefahr: Raubgrabungen und illegaler Handel" statt. Organisiert und unterstützt wird die Tagung von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, dem Deutschen Archäologischen Institut, dem Deutschen Verband für Archäologie und dem Staatsministerium für Kultur und Medien. Gerade jetzt hört man ja viel von der Zerstörung archäologischer Grabungsstätten, vor allem in Syrien und im Irak, in Gegenden also, die noch immer die frühesten Zeugnisse der Zivilisation bergen. Man hört aber auch ziemlich sonderbar anmutende Behauptungen. Kürzlich gab es zum Beispiel die Meldung, die Terrortruppen des Islamischen Staats würden sich hauptsächlich durch den Verkauf von Raubkunst finanzieren. Deshalb die Frage an Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und selbst Archäologe: Nehmen wirklich die Probleme zahlenmäßig zu, oder wird bloß unsere Wahrnehmung schärfer?
    Hermann Parzinger: Sie haben vollkommen Recht: Es ist nicht so, dass man das konkret beziffern kann. Man kann auch nicht sagen, dass der Islamische Staat sich überwiegend über antiken Raub finanziert. Das wäre sicher falsch. Da sind andere Quellen, die die Finanzierung von solchen terroristischen Vereinigungen sichern. Aber wir haben gerade in einem der ersten Beiträge heute gesehen die Situation in Syrien, gerade auch aus Rakka und dem Ressort, Luftaufnahmen, Satellitenaufnahmen: Es ist schon verheerend, was hier zerstört wird.
    Unglaubliche Dimension erreicht
    Auch diese Behauptungen früher, dass es mindestens so eine hohe Einnahmequelle ist wie Waffenhandel, Drogenhandel oder an dritter Stelle steht, das sind alles Dinge, die kann man nicht wirklich belegen, die sind nicht zu erhärten. Fakt ist aber, dass es inzwischen in diesen Krisenländern ganz besonders, obwohl es ein weltweites Problem natürlich ist, eine Dimension erreicht hat, die einfach unglaublich ist.
    Es gibt andere Überlegungen auch, die sagen, Islamischer Staat, der gräbt nicht selber aus und verkauft das dann, sondern kassiert praktisch ab von diesen Antikenräubern. Wie auch immer, es spielt eine Rolle in der Finanzierung. Das Ausmaß kann man nicht einschätzen. Aber das Ausmaß der Zerstörung des kulturellen Erbes der Menschheit ist unermesslich.
    Müller-Ullrich: Jetzt ist das ja auch eine zweischneidige Sache mit der Zerstörung. Die Raubgrabungen, die finden in Kriegsgebieten statt. Es gibt, auch wenn keine Raubgräber tätig sind, viele andere Möglichkeiten, dass dort Bomben einschlagen oder Zerstörungen passieren. Und ganz generell könnte man ja auch argumentieren, es ist vielleicht gut, wenn diese Stücke in ordentlich geführten westlichen Museen Asyl finden, einfach aus konservatorischen Gründen.
    Parzinger: Wir hatten da gerade wieder einen Fall des Kollegen aus Syrien, der sagt, dass aus verschiedenen syrischen Provinzmuseen Stücke gerettet werden konnten, die heute in Damaskus verwahrt werden, quasi als Asyl, aber innerhalb des Landes in einem gesicherten Museum, an einem sicheren Ort. Das ist durchaus denkbar. Theoretisch ist auch denkbar, dass ausländische Museen sozusagen ihre Depots zur Verfügung stellen und solche Objekte aufnehmen. Das Problem ist einfach immer die praktische Umsetzung. Das ist aber heute auch diskutiert worden.
    Verschärfung unbedingt notwendig
    Müller-Ullrich: Jetzt plant die Bundesregierung ja eine Verschärfung des diesen Bereich betreffenden Gesetzes. Wie notwendig war aus Ihren Augen die Verschärfung?
    Parzinger: Das war unbedingt notwendig. Das deutsche Gesetz, die Umsetzung der UNESCO-Konvention 1970 in deutsches Recht, die war so was von lax, die Kriterien so weich. Im Grunde schützt das nur, was in Listen erfasst ist, und in Listen kann nicht erfasst sein, was durch Raubgrabungen aus dem Boden kommt. Insofern konnte man mit Raubgut ungehindert Handel treiben, und das geht natürlich gar nicht. Und die Pflicht ist, dass man gesetzliche Regelungen schafft, und das ist hier auch vorgesehen bei der Novellierung dieses Gesetzes, dass ein klarer Herkunftsnachweis verlangt wird, eine Ausfuhrgenehmigung, und zwar vom Ursprungsland, nicht von irgendwelchen Drittländern, und das würde den legalen Handel schon ganz erheblich einschränken, denn es wird dann nur noch sehr, sehr wenige archäologische Objekte wirklich zum Verhandeln geben.
    Müller-Ullrich: Und es dreht im Grunde die Unschuldsvermutung zunächst mal um, denn bei dem großen Bereich der Stücke, die man grau nennt, wo man eigentlich nicht ganz genau weiß, wo die herkommen und wie sie überliefert wurden, da hat man bisher eher angenommen, dass sie vielleicht weiß sind, weil es ja nicht bewiesen ist, dass sie schwarz sind - schwarz in dem Fall gestohlen, geraubt -, sondern jetzt geht das alles anders herum. Ist das nicht ein bisschen zu scharf?
    Museen keine Kunden von illegalen Händlern
    Parzinger: Es ist teilweise schon ein bisschen eine Beweislastumkehr. Aber ich glaube, das ist dem angemessen. Schauen Sie, wenn heute ein renommiertes Auktionshaus ein Gemälde der klassischen Moderne verkaufen möchte, dann bin ich absolut sicher, dass man erst mal die Provenienzen klärt, weil man nicht dabei ertappt werden möchte, dass das irgendwie von den Nazis jüdischen Mitbürgern entzogen worden ist. Und ich finde, für jede Art von Kulturgut sollten solche Kriterien einfach gelten, dass das, was man verhandelt, wirklich rechtmäßig im Handel sich befindet. Dieser Aufgabe müssen sich, finde ich, alle Museen in Deutschland stellen, alle öffentlichen Museen. Wir werden das offenlegen, die Provenienzen. Dann, wenn illegale Kontexte zu vermuten sind, müssen diese Dinge zurückgegeben werden. Aber in unserem Fall wird das kaum Objekte betreffen. Das ist in ganz geringem Ausmaß, weil das muss man sich auch mal klar machen: Die Museen sind nicht der Kunde von diesen illegalen, international verzweigten, mafiamäßig organisierten Raubgräbern und illegalen Antikenhändlern. Das sind im Grunde wohlhabende Privatleute, an die ein Großteil dieser Dinge geht.
    Müller-Ullrich: ..., sagt der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, als Mitveranstalter einer Tagung in Berlin zum Thema Raubgrabungen und illegaler Handel.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.