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Gerechter Bombenkrieg?

Schossig: Die Diskussion um das in England bisher nur in Auszügen veröffentlichte Buch schlägt auf der Insel hohe Wellen. Warum, die Briten sehen sich doch mit diesem wenig glorreichen Kapitel ihrer Kriegsgeschichte nicht zum ersten Mal konfrontiert?

Jürgen Krönig im Gespräch. | 22.11.2002
    Krönig: Nein, und genau deshalb schlägt das auch jetzt wieder Wellen. Natürlich kommt so etwas periodisch hoch. Wir hatten die letzte große Bomber-Harris, Dresden-Bombadierungsdiskussion Mitte der 90er. Es hat immer wieder die Diskussion über das Für und Wider gebeben, ob es ein Kriegsverbrechen war, ob es gerechtfertigt war, wenn auch furchtbar in den Folgen. Also es ist keine neue Diskussion, aber man nimmt natürlich mit Interesse wahr, dass das ausgerechnet jetzt von Deutschland in einer ganz bestimmten Weise und an einer bestimmten publizistischen Plattform wieder angezettelt wird.

    Schossig: Historisch bringt Friedrichs Rückblick ja keine grundlegend neue Erkenntnisse. Das Ungewohnte ist vielleicht nur, dass da längst Bekanntes auch jetzt von einem Deutschen gesagt wird. Etwa so wie von Günter Grass mit seinem jüngsten Buch "Im Krebsgang" auch die Leiden der deutschen Zivilbevölkerung literarisch thematisiert wurden.

    Krönig: Das führt natürlich zu der Frage, warum gerade jetzt. Verbirgt sich dahinter eine politische Absicht oder, noch anders ausgedrückt, ist das ein Trend, der uns, die europäischen Nachbarn Deutschlands beunruhigen muss? Ist dort ein Revisionismus im Gange? Das sagt beispielsweise Cornelli Barnett, ein Militärhistoriker, heute in einem Artikel in der Daily Mail: Das ist ein gefährlicher Revisionismus, der da von Friedrich betrieben wird, zumal er letztendlich darauf hinauslaufe, die Gräueltaten der Nazis mit dem Bombenkrieg moralisch gleichzusetzen, der vor allen Dingen die Zivilbevölkerung traf. Dieses sei strikt zurückzuweisen und sei eine gefährliche Entwicklung

    Schossig: Aber gegen solche Verdächtigungen ist ja Jörg Friedrich relativ gefeit. Er ist ja unter anderem Mitarbeiter des Jad-Vashem-Holocaustwerkes gewesen. Solche Einwürfe könnten ihn ja eigentlich nicht treffen oder hätte er dann objektiv diese Funktion?

    Krönig: Es gibt andere Reaktionen, beispielweise heute im Independent. Der hat die schöne Überschrift über den Artikel seines Kolumnisten gesetzt: Fawlty hatte recht. Die Deutschen haben angefangen. Darin sagt der Autor, auch ein bekannter Kolumnist, auch ein BBC-Mitarbeiter: Wir können und sollen natürlich auch Freunde sein, aber wir dürfen eines nicht vergessen. Bei aller Kritik an dem Bombenkrieg und den Flächenbombardements und den Brandbomben, die Deutschen haben angefangen. Und die Deutschen haben den totalen Krieg ausgerufen. Sie haben Hitler nicht gestoppt. Das muss man leider sagen. Da kann man natürlich auch nicht widersprechen. Ich glaube, was das Beunruhigende ist, selbst wenn man ganz distanziert urteilt, ist dass dieses Buch von Friedrich wieder eines dieser historischen Werke zu sein scheint, das aus der Perspektive von heute herausgeschrieben wird und nicht genug auf die historischen Umstände und die psychologische Verfassung der Zeit eingeht. Das sagen auch die Briten. Sie fragen: Wie waren denn Großbritannien, als sie diesen Krieg konzipierten? Sie standen alleine, sie waren gnadenlos von der deutschen Luftwaffe bombardiert worden, bevor sie deutsche Städte erreichten. Selbst Coventry über das East End, Belfast, das waren Wohnviertel. Es gab Zehntausende von Toten. Solche Kriegsführungen waren damals noch nicht in diese moralische Diskussion, die wir heute führen, eingebettet. Dennoch haben die Briten stets den 'Bomber-Harris' mit sehr gemischten Gefühlen, mit sichtlichem Unbehagen behandelt. Nach dem Krieg wurde er jahrzehntelang nicht geehrt, er wurde nicht zum Ritter geschlagen.

    Schossig: Es könnte ja durchaus sein, dass diese Flächenbombardements auch damals schon militärisch durchaus umstritten waren. Man wusste ja, was sie bewirken, nämlich relativ wenig. Sie führten eher zu einem Zusammenschluss der deutschen Bevölkerung um die Nazi-Partei und nicht zu einer Entsolidarisierung mit den Nazis.

    Krönig: Deshalb hat ja auch Churchill auch über das Ausmaß Bedenken gehabt. Nun gibt es auch eine Eigendynamik solcher Entscheidungen. In einem Krieg ist man nicht zimperlich. In einem Krieg gibt es nicht die Moraldiskussion, die wir führen. Ein Krieg ist eine existentielle Situation, in der es um Überleben, Siegen oder Niederlage geht. Diesen Zwiespalt habe ich eigentlich immer zu allen Diskussion, zu allen Zeiten, wann immer sie hochkam, über Dresden und 'Bomber-Harris' empfunden.

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