Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Gerechtigkeit oder Rachejustiz in Georgien

Nach der Parlamentswahl in Georgien stellt zwar die Koalition des Milliardärs Bidzina Iwanischwili die Regierung. Micheil Saakaschwili, dessen Nationale Bewegung unterlag, ist aber nach wie vor Präsident. Nun wurden in den letzten Wochen mehrere ehemalige Regierungsbeamte verhaftet – das sorgt für Unmut.

Von Gesine Dornblüth | 22.11.2012
    Mehr als zehn ehemalige Regierungsbeamte Georgiens wurden in den vergangenen Wochen verhaftet, darunter der ehemalige Verteidigungsminister und der Generalstabschef der Südkaukasusrepublik. Einige von ihnen kamen unter Auflagen wieder auf freien Fuß, andere sitzen in Untersuchungshaft. Die Vorwürfe lauten meist auf Amtsmissbrauch.

    Die Nationale Bewegung von Präsident Saakaschwili, bis vor Kurzem an der Macht, nun einzige Oppositionspartei im Parlament, wirft der neuen Regierung politische Justiz vor. Micheil Saakaschwili, nach wie vor Präsident Georgiens, mahnte kürzlich bei einem Auftritt vor dem Jugendparlament, die neue Regierung solle anstelle von Racheakten doch lieber ihre Wahlversprechen umzusetzen.

    Die Verhaftungen würden allerdings vermutlich weitergehen, so Saakaschwili zu den Jugendlichen. Chiora Taktakischwili war während des Wahlkampfes Sprecherin der Nationalen Bewegung, nun sitzt sie für die Opposition im Justizausschuss.
    "Es gibt mehrere internationale Kriterien dafür, was als politisch motivierte Justiz gelten kann. Viele dieser Kriterien treffen auf die Verhaftungen ehemaliger Regierungsbeamter in Georgien zu: Die jetzige Regierung äußert sich zum Beispiel öffentlich zu den Beschuldigten. Und das Recht wird ungleich und selektiv angewandt."

    Die neue Regierung weist die Vorwürfe zurück. Sie hält im Gegenteil der Partei um Präsident Saakaschwili vor, sie habe die Justiz gelenkt – und zahlreiche politische Gegner ins Gefängnis gebracht. Neun Jahre war die Nationale Bewegung an der Macht. Auch internationale Organisationen wie der Europarat rügten Justizwillkür unter der alten Regierung. In einem Interview sagte der neue Premierminister Bidzina Iwanischwili, die Justiz handele jetzt völlig unabhängig. Iwanischwili hatte dem Deutschlandradio vor der Parlamentswahl Anfang Oktober gesagt:

    "Ich werde gleich nach der Wahl Gerechtigkeit wieder herstellen. Ich werde dafür sorgen, dass es wieder unabhängige Gerichte gibt. Gerechtigkeit bedeutet den Menschen sehr viel."

    Um das zu unterstreichen, bereitet das Parlament derzeit eine Amnesty vor für alle politischen Häftlinge, die unter der alten Regierung verhaftet wurden. Auf der Liste stehen 184 Namen, darunter auch der von Irakli Okruaschwili. Okruaschwili war mal Verteidigungsminister unter Saakaschwili, dann zerstritten sich die beiden. Gerichte verurteilten ihn 2008 zu elf Jahren Haft wegen Korruption. Da war er aber schon ins Ausland geflohen. Vorgestern kehrte er nach Georgien zurück, es heißt, in der Hoffnung, dass sein Fall jetzt, nach dem Regierungswechsel, neu aufgerollt und er freigesprochen werde. Okruaschwili landete aber erst mal im Gefängnis. Das deutet zunächst einmal auf die Unabhängigkeit der Strafverfolgungsbehörden.

    Ob die neue Regierung nun tatsächlich für Gerechtigkeit sorgt oder im Gegenteil Rachejustiz übt, wie die Opposition ihr vorwirft, ist offen. Es sei zu früh, das zu beurteilen, meint Eka Kopadze von der Vereinigung junger georgischer Anwälte.

    "Wir haben an verschiedenen Anhörungen der letzten Wochen teilgenommen. Da ging es darum, ob die Beschuldigten ins Gefängnis müssen oder ob sie gegen Auflagen freikommen. Unsere Anwälte haben nicht beobachtet, dass bei diesen Anhörungen grundsätzlich gegen Recht verstoßen wurde. Dementsprechend können wir bisher auch nicht sagen, dass es sich um politische Fälle handelt."

    Ausschließen will sie das aber nicht. NATO-Chef Anders Fogh Rasmussen hatte sich Anfang voriger Woche besorgt anlässlich der Verhaftungen von ehemaligen Regierungsvertretern in Georgien geäußert. Georgien möchte Mitglied in der NATO werden. Damit das überhaupt möglich werden kann, muss das Land zunächst einmal demokratische Standards einhalten.