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Gerechtigkeit statt Wohltaten

"Zu Wirken für andere war ihres Lebens ergiebigster Quell", steht auf dem Grabstein Emma Ihrers in der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Lichtenberg. Sie kämpfte für die Rechte der Arbeiterinnen, als den Frauen noch jede politische Betätigung verboten war.

Von Eva Pfister | 03.01.2007
    Besonders revolutionär erscheint uns heute nicht, was Emma Ihrer und ihre Mitkämpferinnen erreichen wollten: Materielle und geistige Förderung der Arbeiterinnen, Wahrnehmung ihrer Berufsinteressen, Darlehen in Notfällen und eine Unterstützung bei Erwerbsunfähigkeit. Dennoch waren die Vereine, die Emma Ihrer in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts mitbegründete, der preußischen Obrigkeit ein Dorn im Auge. Denn es ging um politische Forderungen, nicht bloß um Hilfe und Wohlfahrt wie bei den bürgerlichen Frauenvereinen. Von diesen grenzte sich Emma Ihrer deutlich ab, auch in der 1898 erschienenen Broschüre "Die Arbeiterinnen im Klassenkampf":

    "Wo jene Wohltaten erweisen, fordern wir Gerechtigkeit!"

    1883 wurde auf einem Kongress in Berlin erstmals öffentlich über die materielle Not der Arbeiterinnen debattiert, die viele in die Prostitution trieb. Dort setzte sich die Erkenntnis durch, die auch Emma Ihrers Forderungen zugrunde lag:

    "Es müssen vor allen Dingen die Arbeiterinnen selbst gemeinsam gegen die erbärmlichen Löhne Front machen so wie gegen jede unwürdige Behandlung seitens der Arbeitgeber. Die Prostitution ist einfach eine Gefolgschaft der ungesunden wirtschaftlichen Zustände des Klassenstaates und der rechtlosen Stellung der Frauen in demselben."

    Emma Ihrer selbst war keine Proletarierin. Sie wurde am 3. Januar 1857 als Tochter eines Schuhmachers im schlesischen Glatz geboren und von ihren Eltern streng katholisch erzogen. Sehr jung heiratete sie den 22 Jahre älteren Apotheker Emanuel Ihrer, mit dem sie später nach Velden bei Berlin zog.

    1885 gründete Emma Ihrer den "Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen", der in kurzer Zeit auf mehrere tausend Mitglieder anwuchs. Rechtsanwälte halfen unentgeltlich bei Lohnstreitigkeiten, Ärzte behandelten Arbeiterinnen ohne Krankenkasse. Ein Flugblatt nannte das Hauptziel des Vereins, das auch heute noch nicht erreicht ist:

    "Wir müssen uns aufraffen und im Namen der Gerechtigkeit eine Forderung erheben, deren Erfüllung Rettung verheißt: Lohngleichheit der Männer- und Frauenarbeit!"

    Schon nach einem Jahr wurde der Verein aufgelöst und seine Leiterinnen zu Geldstrafen verurteilt. Noch galt ja der berüchtigte Paragraf, der den Frauen politische Aktivitäten verbot. Drei Mal stand Emma Ihrer deswegen vor Gericht.

    Die Sozialistin kämpfte an zwei Fronten: gegen die preußische Obrigkeit und ihre Gesetze, aber auch gegen manche Genossen. Beim Kongress der II. Sozialistischen Internationale in Paris 1889 konnte sie gemeinsam mit Clara Zetkin einen Antrag gegen die Frauenerwerbstätigkeit verhindern und erreichte sogar die Gleichberechtigung der Frauen in der Gewerkschaftsarbeit.

    So wurde Emma Ihrer im Herbst 1890 als erste Frau neben sechs Männern in die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands gewählt. Zugleich konnte sie einen weiteren Erfolg verbuchen. Auf dem SPD-Parteitag in Halle wurde, wie sie schrieb,

    "auf allseitigen Wunsch die Gründung einer Zeitung für Frauen beschlossen, welche dem erwachenden Verständnis der Frauen angepasst sein sollte."

    "Die Arbeiterin - Zeitschrift für die Frauen und Mädchen des arbeitenden Volkes" erschien wöchentlich ab Januar 1891, herausgegeben und redigiert von Emma Ihrer, die auch eigenes Geld hineinsteckte. Nach einem Jahr übernahm der Dietz Verlag in Stuttgart die Zeitung und führte sie unter dem Namen "Die Gleichheit" weiter.

    Bis zu ihrem Tod am 8. Januar 1911 setzte sich Emma Ihrer für die Organisation der Arbeiterinnen ein, zuletzt gründete sie sogar einen Zentralverband der Hausangestellten. Nur zwei Schriften sind von der Sozialistin überliefert. An das Ende ihrer Broschüre "Die Arbeiterinnen im Klassenkampf" stellte sie ein Lied, das sie wohl selbst verfasst hat, und das auf die Melodie der "Internationalen" passt:
    "
    "Ihr Schwestern in der Arbeit Heere
    Vernehmt auch ihr den Ruf der Zeit!
    Uns drückt dasselbe Los, das schwere
    Das längst die Männer rief zum Streit.

    Sprecht nicht vom 'schwächeren Geschlechte'
    Sind wir zur Arbeit stark genug
    Sind wir auch stark für unsre Rechte
    Uns einzureih'n dem Kämpferzug."

    "