Jürgen Liminski: Herr Besier, der Untertitel Ihres Buches heißt "Die Faszination des Totalitären". Beziehen Sie das nur auf die Vergangenheit oder sehen Sie auch Bezüge zur Gegenwart?
Gerhard Besier: Es gibt sowohl in der Vergangenheit Schlüsselszenen - aber dieses Thema betrifft selbstverständlich auch die Gegenwart.
Liminski: Inwiefern?
Besier: Es ist so, dass wir etwa mit den Erfahrungen des Islamismus hier nun auch eine Offenbarungsreligion haben, die Plurales nicht gewillt ist anzuerkennen, was daran hängt, dass die Bevölkerung in den orientalischen Ländern etwa die Aufklärung nicht mitgemacht hat. Dort weiß man nicht, was Liberalismus ist. Es fehlt im Grunde die geistesgeschichtliche Entwicklung, die wir vom 18. bis zum 20. Jahrhundert durchgemacht haben. Die müsste nun - in einem Eilverfahren sozusagen - durchlaufen werden und dann hätten wir einen Gleichstand in der Reflexion, auch in der Betrachtung dessen, was Religion sein kann in einer offenen Gesellschaft.
Liminski: Bleiben wir mal bei der Vergangenheit und in Europa. Bekannt sind ja die Urteile, vielleicht auch Vorurteile: Hochhuth und sein Stück "Der Stellvertreter". Können Sie denn aufgrund Ihrer Forschungsarbeiten mit und für dieses Buch diese Vorurteile bestätigen, oder gibt es da ganz Neues?
Besier: Nein, es gibt ganz Neues. Man könnte sagen, Hochhuth ist ein Romantiker der Religion. Er hat von der römisch-katholischen Kirche Dinge erwartet, die sie gar nicht leisten konnte. Beispielsweise kann man sehr deutlich sehen, dass Pacelli alles tat - 39 - um ein konkretes Beispiel zu nehmen, um Christen jüdischer Herkunft auswandern zu lassen. Der brasilianische Präsident Vargas hatte zugesagt, 3000 dürfen auswandern, wollte hinterher aber nicht mehr zu seinem Wort stehen. Nun hat Pacelli alle seine diplomatischen und kirchlichen Möglichkeiten nutzen wollen. Die Nuntien sprachen bei Vargas vor, der brasilianische Episkopat, andere Episkopate anderer Länder - und Vargas tat nichts. Hier sieht man, dass die Macht des Vatikan ein Mythos war und dem ist ein bisschen - meine ich - Hochhuth auch aufgesessen. Also, die Vorwürfe an Pius XII. treffen nicht, weil er gar nicht die Möglichkeiten hatte, das zu tun, was Hochhuth im Nachhinein von ihm erwartete.
Liminski: Wenn das so ist, wie Sie sagen, die Macht nur ein Mythos, warum ließ dann die katholische Kirche diese Funde so lange im Keller? Es ist doch eigentlich dumm und nährt Verdachtsmomente.
Besier: Das ist in der Tat rätselhaft. Die römisch-katholische Kirche hat immer einzelnen, besonders vertrauenswürdigen Historikern und Kirchenhistorikern ihre Archive geöffnet, und dies hat immer genau den Eindruck erweckt, als gäbe es irgendwelche Leichen im Keller. Und dies 70 Jahre lang. Es hat dann in den neunziger Jahren eine Historikerkommission gegeben - vom Vatikan eingesetzt. Jüdische und katholische Historiker haben gemeinsam gearbeitet, aber auch diese Kommission hat dann unter Protest die Arbeit eingestellt, weil sie nicht genug Akten haben einsehen dürfen. Erst im Frühjahr 2003 hat sich offensichtlich der Vatikan anders besonnen und nun die Türen wirklich aufgemacht für alle - also auch für Anderskonfessionelle -, und jetzt können wir den gesamten Aktenbestand sehen; wiewohl natürlich immer noch Misstrauen besteht. Viele Kollegen fragen: Wurden nicht diese Bestände inzwischen bereinigt und ähnliches mehr? Dies alles halte ich für nicht zutreffend.
Liminski: Der Forschungsgegenstand ist alt. Man redet seit einem halben Jahrhundert über die Rolle Pacellis. Was ist denn neu an Ihrem Buch außer der Einsicht in die Quellen?
Besier: Der methodische Ansatz beispielsweise. Es ist ja so, dass der Vatikan eine Weltkirche ist und dass der Vatikan im europäischen Maßstab Kirchenpolitik betrieben hat. Deswegen ist es nicht sinnvoll, alleine das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Dritten Reich zu betrachten, sondern man wird das Verhältnis des Vatikans zu den anderen europäischen Staaten mit in Augenschein nehmen müssen; insbesondere solche Staaten, die der Vatikan besonders geschätzt hat, also so genannte katholische Ständestaaten - etwa Österreich spielt eine Rolle, Portugal spielt eine Rolle, natürlich Mussolinis Italien und dann Spanien ab '36.
Hier sieht man, wie sich die römisch-katholische Kirche Staaten vorgestellt hat, die weder Demokratien noch Diktaturen waren, sondern die nach einem korporatistischen System organisiert sein sollten, in denen es keine Klasseninteressen gab, sondern die nachgebildet sein sollten einer Art großen Familie. Das ist problematisch, das ist romantisch. Der Versuch, zurück zum Mittelalter zu gehen. Thomas spielt beispielsweise eine ganz große Rolle in dieser Argumentation. Pius XI. hat eine ganze Reihe von Enzykliken erlassen, die eben einen anderen Aufbau der Gesellschaft propagiert haben. Und Österreich beispielsweise hat versucht Anfang der dreißiger Jahre, dem besonders nahe zu kommen.
Und dann haben wir natürlich auch ein anderes Bild von Pacelli gewonnen, sozusagen die Person Pacellis, die ja immer verborgen bleibt hinter diesem Vorhang von Frömmigkeit, auch eine gewisse Entrücktheit dieser Gestalt. Sie wirkt ja unnahbar. Wir haben eine Reihe von Briefen noch mal überprüft, auch neu übersetzt im Blick auf die Revolutionen in München, sowohl die Revolutionen von links wie die von rechts, also dem Hitler-Putsch. Wir haben auch noch mal überprüft das Verhältnis zu dem Judentum. Pacelli war kein Antisemit, aber das Judentum war - ebenfalls wie der Protestantismus - die falsche Religion. Und darum konnte er hier auch keine Kompromisse eingehen. Die Voraussetzung für Pacelli war, dass man sich zur richtigen Religion bekehrt, und dann gab es keine Unterschiede mehr. Aber dieser Antijudaismus, den gibt es natürlich.
Liminski: Entsteht denn in Ihrem Buch auch ein neues Bild nicht vom Stellvertreter, sondern vom Menschen Pacelli?
Besier: Ja, Pacelli hatte Vorurteile, die natürlich mit seiner ethisch-moralischen Einstellung zu tun hatten. Wenn er beispielsweise in das Hauptquartier der linken Revolutionäre kam, dann lungerten Frauen herum, die Freundinnen der Revolutionäre waren, die ungewaschen wirkten - das alles widerte ihn an, solche Verhältnisse. Daraus kann man keinen Antibolschewisten machen, sondern es sind sittlich-moralische Maßstäbe gewesen, gegen die diese Leute verstoßen haben. Und hier sieht man eine deutliche Abneigung.
Interessant ist auch, dass Pacelli den Eindruck hatte, er sei der am schlechtesten bezahlte Nuntius in der ganzen Welt. Und wir finden eine ganze Reihe von Briefen dazu. Interessant ist auch, dass er Berlin nicht mochte. Er suchte so lange wie irgend möglich, in München Nuntius zu bleiben. München: Das war seine Welt, das war eine katholische Atmosphäre, und dieses preußische Berlin, das war ihm eigentlich zuwider. Und er hatte alle möglichen Gründe dann parat, um so spät wie möglich nach Berlin umzuziehen. Also hier wird etwas von der Person Pacellis deutlich.
Liminski: Die Kirchen hatten ja nicht nur in Deutschland nach dem Weltkrieg starken Einfluss. Dieser Einfluss ist verblasst heute. Kommt denn durch die Auflösung konfessioneller Milieus eine neue Chance integraler Religion, etwa des Islam? Die Orientierungslosigkeit ist ja die andere Seite des Pluralismus.
Besier: Ja. Es ist bedauerlich, dass sich die christlichen Religionen - die Milieus - auflösen, dass sie sich zerfleddern. Und es ist natürlich auch kein Weg, auf den Islam zu verweisen und mit diesem Argument sozusagen ein Wir-Gefühl bei den Christen zu wecken und sie nun aufzufordern, stärker zu glauben, weil die Anhänger des Islam ja auch so stark glauben. Das ist der falsche Weg.
Wir müssten auf der anderen Seite - das kann man den christlichen Kirchen nur empfehlen, an der Basis Mission treiben, Überzeugungsarbeit betreiben und wegkommen von diesem Amtskirchlichen. Das schadet den Kirchen ganz außerordentlich und der Islam - umgekehrt - müsste lernen, was es heißt, in einer pluralen Gesellschaft eine Religion unter mehreren zu sein. Aber auch das hat lange Zeit gekostet für die christlichen Religionen. Auch die römisch-katholische Kirche hat ja - wenn wir bis zum zweiten Vatikanum uns die Dinge anschauen - einen unglaublichen Wandel vollzogen. Bis dahin war es auch der römisch-katholischen Kirche schwer nachvollziehbar, dass sie den geistigen Einfluss, den geistlichen Einfluss teilen musste mit anderen Religionen.
Es war beispielsweise Pacelli nicht zu vermitteln, dass die katholischen Reichskanzler der Weimarer Zeit paritätische Verträge anstrebten. Sobald also mit der römisch-katholischen Kirche ein Vertrag abgeschlossen worden war, waren diese Reichskanzler dafür, auch mit dem Protestantismus einen Vertrag abzuschließen. Das konnte Pacelli nicht nachvollziehen in den zwanziger Jahren. Und hier sieht man doch, welche Lernprozesse auch innerhalb der christlichen Kirchen vonstatten gegangen sind. Diese Lernprozesse müssten nachgeholt werden von anderen Religionen."
Besier, Gerhard in Zusammenarbeit mit Piombo, Francesca: Der Heilige Stuhl und Hitler-Deutschland. Die Faszination des Totalitären, Deutsche Verlags-Anstalt, München, 415 Seiten, Euro 24,90.
Gerhard Besier: Es gibt sowohl in der Vergangenheit Schlüsselszenen - aber dieses Thema betrifft selbstverständlich auch die Gegenwart.
Liminski: Inwiefern?
Besier: Es ist so, dass wir etwa mit den Erfahrungen des Islamismus hier nun auch eine Offenbarungsreligion haben, die Plurales nicht gewillt ist anzuerkennen, was daran hängt, dass die Bevölkerung in den orientalischen Ländern etwa die Aufklärung nicht mitgemacht hat. Dort weiß man nicht, was Liberalismus ist. Es fehlt im Grunde die geistesgeschichtliche Entwicklung, die wir vom 18. bis zum 20. Jahrhundert durchgemacht haben. Die müsste nun - in einem Eilverfahren sozusagen - durchlaufen werden und dann hätten wir einen Gleichstand in der Reflexion, auch in der Betrachtung dessen, was Religion sein kann in einer offenen Gesellschaft.
Liminski: Bleiben wir mal bei der Vergangenheit und in Europa. Bekannt sind ja die Urteile, vielleicht auch Vorurteile: Hochhuth und sein Stück "Der Stellvertreter". Können Sie denn aufgrund Ihrer Forschungsarbeiten mit und für dieses Buch diese Vorurteile bestätigen, oder gibt es da ganz Neues?
Besier: Nein, es gibt ganz Neues. Man könnte sagen, Hochhuth ist ein Romantiker der Religion. Er hat von der römisch-katholischen Kirche Dinge erwartet, die sie gar nicht leisten konnte. Beispielsweise kann man sehr deutlich sehen, dass Pacelli alles tat - 39 - um ein konkretes Beispiel zu nehmen, um Christen jüdischer Herkunft auswandern zu lassen. Der brasilianische Präsident Vargas hatte zugesagt, 3000 dürfen auswandern, wollte hinterher aber nicht mehr zu seinem Wort stehen. Nun hat Pacelli alle seine diplomatischen und kirchlichen Möglichkeiten nutzen wollen. Die Nuntien sprachen bei Vargas vor, der brasilianische Episkopat, andere Episkopate anderer Länder - und Vargas tat nichts. Hier sieht man, dass die Macht des Vatikan ein Mythos war und dem ist ein bisschen - meine ich - Hochhuth auch aufgesessen. Also, die Vorwürfe an Pius XII. treffen nicht, weil er gar nicht die Möglichkeiten hatte, das zu tun, was Hochhuth im Nachhinein von ihm erwartete.
Liminski: Wenn das so ist, wie Sie sagen, die Macht nur ein Mythos, warum ließ dann die katholische Kirche diese Funde so lange im Keller? Es ist doch eigentlich dumm und nährt Verdachtsmomente.
Besier: Das ist in der Tat rätselhaft. Die römisch-katholische Kirche hat immer einzelnen, besonders vertrauenswürdigen Historikern und Kirchenhistorikern ihre Archive geöffnet, und dies hat immer genau den Eindruck erweckt, als gäbe es irgendwelche Leichen im Keller. Und dies 70 Jahre lang. Es hat dann in den neunziger Jahren eine Historikerkommission gegeben - vom Vatikan eingesetzt. Jüdische und katholische Historiker haben gemeinsam gearbeitet, aber auch diese Kommission hat dann unter Protest die Arbeit eingestellt, weil sie nicht genug Akten haben einsehen dürfen. Erst im Frühjahr 2003 hat sich offensichtlich der Vatikan anders besonnen und nun die Türen wirklich aufgemacht für alle - also auch für Anderskonfessionelle -, und jetzt können wir den gesamten Aktenbestand sehen; wiewohl natürlich immer noch Misstrauen besteht. Viele Kollegen fragen: Wurden nicht diese Bestände inzwischen bereinigt und ähnliches mehr? Dies alles halte ich für nicht zutreffend.
Liminski: Der Forschungsgegenstand ist alt. Man redet seit einem halben Jahrhundert über die Rolle Pacellis. Was ist denn neu an Ihrem Buch außer der Einsicht in die Quellen?
Besier: Der methodische Ansatz beispielsweise. Es ist ja so, dass der Vatikan eine Weltkirche ist und dass der Vatikan im europäischen Maßstab Kirchenpolitik betrieben hat. Deswegen ist es nicht sinnvoll, alleine das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Dritten Reich zu betrachten, sondern man wird das Verhältnis des Vatikans zu den anderen europäischen Staaten mit in Augenschein nehmen müssen; insbesondere solche Staaten, die der Vatikan besonders geschätzt hat, also so genannte katholische Ständestaaten - etwa Österreich spielt eine Rolle, Portugal spielt eine Rolle, natürlich Mussolinis Italien und dann Spanien ab '36.
Hier sieht man, wie sich die römisch-katholische Kirche Staaten vorgestellt hat, die weder Demokratien noch Diktaturen waren, sondern die nach einem korporatistischen System organisiert sein sollten, in denen es keine Klasseninteressen gab, sondern die nachgebildet sein sollten einer Art großen Familie. Das ist problematisch, das ist romantisch. Der Versuch, zurück zum Mittelalter zu gehen. Thomas spielt beispielsweise eine ganz große Rolle in dieser Argumentation. Pius XI. hat eine ganze Reihe von Enzykliken erlassen, die eben einen anderen Aufbau der Gesellschaft propagiert haben. Und Österreich beispielsweise hat versucht Anfang der dreißiger Jahre, dem besonders nahe zu kommen.
Und dann haben wir natürlich auch ein anderes Bild von Pacelli gewonnen, sozusagen die Person Pacellis, die ja immer verborgen bleibt hinter diesem Vorhang von Frömmigkeit, auch eine gewisse Entrücktheit dieser Gestalt. Sie wirkt ja unnahbar. Wir haben eine Reihe von Briefen noch mal überprüft, auch neu übersetzt im Blick auf die Revolutionen in München, sowohl die Revolutionen von links wie die von rechts, also dem Hitler-Putsch. Wir haben auch noch mal überprüft das Verhältnis zu dem Judentum. Pacelli war kein Antisemit, aber das Judentum war - ebenfalls wie der Protestantismus - die falsche Religion. Und darum konnte er hier auch keine Kompromisse eingehen. Die Voraussetzung für Pacelli war, dass man sich zur richtigen Religion bekehrt, und dann gab es keine Unterschiede mehr. Aber dieser Antijudaismus, den gibt es natürlich.
Liminski: Entsteht denn in Ihrem Buch auch ein neues Bild nicht vom Stellvertreter, sondern vom Menschen Pacelli?
Besier: Ja, Pacelli hatte Vorurteile, die natürlich mit seiner ethisch-moralischen Einstellung zu tun hatten. Wenn er beispielsweise in das Hauptquartier der linken Revolutionäre kam, dann lungerten Frauen herum, die Freundinnen der Revolutionäre waren, die ungewaschen wirkten - das alles widerte ihn an, solche Verhältnisse. Daraus kann man keinen Antibolschewisten machen, sondern es sind sittlich-moralische Maßstäbe gewesen, gegen die diese Leute verstoßen haben. Und hier sieht man eine deutliche Abneigung.
Interessant ist auch, dass Pacelli den Eindruck hatte, er sei der am schlechtesten bezahlte Nuntius in der ganzen Welt. Und wir finden eine ganze Reihe von Briefen dazu. Interessant ist auch, dass er Berlin nicht mochte. Er suchte so lange wie irgend möglich, in München Nuntius zu bleiben. München: Das war seine Welt, das war eine katholische Atmosphäre, und dieses preußische Berlin, das war ihm eigentlich zuwider. Und er hatte alle möglichen Gründe dann parat, um so spät wie möglich nach Berlin umzuziehen. Also hier wird etwas von der Person Pacellis deutlich.
Liminski: Die Kirchen hatten ja nicht nur in Deutschland nach dem Weltkrieg starken Einfluss. Dieser Einfluss ist verblasst heute. Kommt denn durch die Auflösung konfessioneller Milieus eine neue Chance integraler Religion, etwa des Islam? Die Orientierungslosigkeit ist ja die andere Seite des Pluralismus.
Besier: Ja. Es ist bedauerlich, dass sich die christlichen Religionen - die Milieus - auflösen, dass sie sich zerfleddern. Und es ist natürlich auch kein Weg, auf den Islam zu verweisen und mit diesem Argument sozusagen ein Wir-Gefühl bei den Christen zu wecken und sie nun aufzufordern, stärker zu glauben, weil die Anhänger des Islam ja auch so stark glauben. Das ist der falsche Weg.
Wir müssten auf der anderen Seite - das kann man den christlichen Kirchen nur empfehlen, an der Basis Mission treiben, Überzeugungsarbeit betreiben und wegkommen von diesem Amtskirchlichen. Das schadet den Kirchen ganz außerordentlich und der Islam - umgekehrt - müsste lernen, was es heißt, in einer pluralen Gesellschaft eine Religion unter mehreren zu sein. Aber auch das hat lange Zeit gekostet für die christlichen Religionen. Auch die römisch-katholische Kirche hat ja - wenn wir bis zum zweiten Vatikanum uns die Dinge anschauen - einen unglaublichen Wandel vollzogen. Bis dahin war es auch der römisch-katholischen Kirche schwer nachvollziehbar, dass sie den geistigen Einfluss, den geistlichen Einfluss teilen musste mit anderen Religionen.
Es war beispielsweise Pacelli nicht zu vermitteln, dass die katholischen Reichskanzler der Weimarer Zeit paritätische Verträge anstrebten. Sobald also mit der römisch-katholischen Kirche ein Vertrag abgeschlossen worden war, waren diese Reichskanzler dafür, auch mit dem Protestantismus einen Vertrag abzuschließen. Das konnte Pacelli nicht nachvollziehen in den zwanziger Jahren. Und hier sieht man doch, welche Lernprozesse auch innerhalb der christlichen Kirchen vonstatten gegangen sind. Diese Lernprozesse müssten nachgeholt werden von anderen Religionen."
Besier, Gerhard in Zusammenarbeit mit Piombo, Francesca: Der Heilige Stuhl und Hitler-Deutschland. Die Faszination des Totalitären, Deutsche Verlags-Anstalt, München, 415 Seiten, Euro 24,90.